Donnerstag, 26. August 2010

Ein Schuss ins eigene Knie

Reden wir heute mal Klartext. Werfen wir einen unsentimentalen Blick auf das, was auch viele nette Worte nicht beschönigen können. Dazu zuerst ein Beispiel.

Stellt euch vor, ich stehe an einer Lesung vor euch und sage: "Hat ungeheuer Spass gemacht, FREERUNNING zu schreiben. Ist auch ein echt tolles Buch, Leute. Und irgendwie stehe ich dazu. Aber ich sage euch gleich: Soooo unterhaltend und spannend ist es dann nicht. Kauft also lieber das vom Kollegen xy oder seht euch gleich bei Büchern eines andern Verlags um." 

Ihr würdet denken, die Gabathuler ist bescheuert. Richtig? Absolut und total bescheuert.

Genau das hat mein Verlag gemacht. Ich habe gestern den Verlagskatalog etwas näher angesehen und festgestellt, dass irgendwer in meinem Verlag auf die "geniale" Idee gekommen ist, die eigenen Bücher im Verlagskatalog mit einem Punktesystem zu bewerten. Dazu hat dieser Irgendwer verschiedene Kategorien geschaffen wie: Gefühl / Atmosphäre / Originalität / Unterhaltung / Humor / Action / Infotaiment / Aktualität / Werte. Zu jedem Buch wurden drei Kriterien ausgewählt und bewertet.

Nun wäre dieses Punktesystem ja witz- und wertlos, wenn alle Bücher überall drei von drei Punkten bekämen. Das Punktesystem wäre zudem kontraproduktiv (zum "wäre" weiter unten mehr), wenn man jenen Büchern, denen man im Katalog gleich eine Doppelseite einräumt, nicht das Maximum gäbe (Doppelseite im Katalog = Signal an die Buchhändler: Hey, der Autor / die Autorin ist uns so wichtig, dass wir ihm / ihr gleich zwei Seiten einräumen). Also streut man die Verlustpunkte unter jene Bücher, die auf einer Katalogseite Platz haben (von denen die Händler sowieso wissen, dass sie - wenn wir schon Klartext reden, dann richtig - weniger wichtig sind, sprich auch weniger keine Werbung vom Verlag erhalten).


Mein FREERUNNING gehört zur Kategorie: Eine Seite im Katalog. Da hilft auch das "Der neue Krimi von unserer Erfolgsautorin" nicht viel. Die eine Seite stört mich nicht. Ich weiss sehr wohl, wie das Geschäft funktioniert und kann damit leben, so wie ich damit leben muss, dass FREERUNNING im Foreign Rights Katalog briefmarkengross auf der letzten Seite platziert ist (sprich: Die Frage "Werden Ihre Bücher auch in andere Sprachen übersetzt?" erübrigt sich somit ein- für allemal).

Was mich gestern aber - gefühlsmässig - glatt niedergestreckt hat, war das Punktesystem. Womit wir zurück bei meinem Beispiel sind. Der Verlag bewirbt mein Buch mit dem Slogan: Ein Adrenalinrausch zum Lesen. Und vergibt dann dem Buch folgende Punkte:

Spannung: drei von drei Punkten
Action: zwei von drei Punkten
Unterhaltung: zwei von drei Punkten

Ich übersetze das mal für euch: Der Adrenalinrausch hält sich in Grenzen, denn echt, so richtig rauscht das Adrenalin nur bei maximalem Actionlevel, sprich drei von drei Punkten. Zudem gibt es Unterhaltenderes als dieses Buch. Greift also besser zu einem Krimi eines anderen Verlags.

Mir doch wurscht, könntet ihr jetzt sagen, ich kauf FREERUNNING trotzdem. Die Sache hat einen Haken. Ihr kriegt den Katalog nicht. Er geht an die Buchhändler, die aufgrund der Katalogbeschreibung entscheiden, welche Bücher sie in ihren Laden stellen. Für alle Neuerscheinungen hat es keinen Platz in der Buchhandlung. Und seid mal ehrlich: Würdet ihr euren Laden mit einem Buch verstopfen, an das - laut Punktesystem - nicht einmal der eigene Verlag so richtig glaubt? Ich nicht.

Bevor ich zur ernüchternden Konsequenz dieser ganzen Klartext-Geschichte komme, noch ein Wort zum weiter oben versprochenen "wäre". Wäre ein Verlag wirklich so blöd, einem Buch, das er auf einer Doppelseite präsentiert und damit dem Buchhändler durch die Blume sagt: "Stell dieses Buch in den Laden, das fegt, das geht weg wie warme Semmeln" einen einzigen Punkt von drei zu geben? Nein? .... Doch! Eine meiner Verlagskolleginnen hat ein wunderschönes Buch geschrieben, dessen Umschlagbild signalisiert: Ich bin witzig, ich bin unterhaltsam, ich bin originell (und ich bin sicher, genau das ist das Buch auch!). Der Verlag gibt diesem Buch für Originalität einen Punkt.

So, und jetzt zum Fazit: Lieber Verlag, das ist ein Schuss ins Knie. Die Querschläger treffen uns Autoren. Ich für meinen Fall überlege mir jetzt, ob ich statt einer begeisterten und begeisternden Lesung einfach mal vor 60 Jugendliche treten und sagen soll:
"Hat ungeheuer Spass gemacht, FREERUNNING zu schreiben. Ist auch ein echt tolles Buch, Leute. Und irgendwie stehe ich dazu. Aber ich sage euch gleich: Soooo unterhaltend und spannend ist es dann nicht. Kauft also lieber das vom Kollegen xy oder seht euch gleich bei Büchern eines andern Verlags um." Und dann lese ich aus einem anderen Buch vor. Zum Beispiel aus dem Buch jenes andern Verlags, für den ich dieses Jahr eine Geschichte für eine Weihnachtsantologie beigesteuert habe.

Keine Kommentare: