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Samstag, 30. November 2024

no way out

No_way_out ist eins meiner Herzprojekte. 2014 hat das Buch zu meiner zu meiner grossen Freude den Hansjörg-Martin-Preis als bester deutschsprachiger Krimi gewonnen, ist aber trotzdem mehr oder weniger unbeachtet geblieben und hat sich eher mittelprächtig verkauft. Vor ein paar Jahren hat es der Verlag aus dem Programm genommen, verständlicherweise, denn ein Buch, das sich pro Jahr bestenfalls noch im tiefsten dreistelligen Bereich verkauft, lohnt sich für einen Verlag schlicht nicht. 

Ich habe fast alle meine vergriffenen Bücher im Self Publishing neu herausgegeben, nicht, um damit noch einmal richtig Kohle zu machen (das wäre eine Illusion), sondern einfach, damit sie weiterhin erhältlich sind und doch noch ein wenig Einnahmen generieren. Doch bei no_way_out stellte sich sogar bei mir die Frage, ob ich die Geschichte wirklich noch einmal auf die Buchreise schicken soll. Ich kann das zwar zu sehr tiefen Kosten machen, aber der Aufwand ist beträchtlich, weil ich den ganzen Text neu setzen und korrekturlesen muss. Dazu kommt ein neues Cover. Mein Fazit: Aufwand und Ertrag hielten sich in diesem Fall nicht einmal für mich die Waage. Also beschloss ich, diese Geschichte, obwohl sie mir endlos wichtig ist, für mich zu behalten, ein bisschen wie einen kleinen, exklusiven Schatz.

Letztes Jahr hatte ich die spontane Idee, das Buch im Advent als Hörgeschichte online zu stellen, quasi als Geschenk an jene Menschen, die diesen Schatz mit mir teilen möchten. Die Geschichte hat 48 Kapitel, das ergibt für jeden Tag im Advent zwei Kapitel. Mir wurde jedoch schnell klar, dass so ein Projekt sehr zeitintensiv ist und deshalb Vorlaufzeit benötigt. Ich verschob es, und dieses Jahr setze ich diese Idee nun um. 

Während ich die ersten Kapitel einlass, sprang mich der Gedanke an, das Buch trotzdem zu machen. Einfach so. Für mich und die paar Dutzend Menschen, die es dann vielleicht kaufen oder auch nicht. Spontangedanken soll man erst einmal ruhen lassen. Theoretisch. Ich habe diese Theorie begeistert über den Haufen geworfen und sofort mit dem Buchsatz angefangen. Und dann gemerkt, dass ich ein neues Cover brauche, weil ich die Rechte für das alte Cover nicht habe, und natürlich habe ich sofort begonnen, Bilder zu suchen ... Und das in einem Monat mit vielen Lesungen, ein paar Workshops und einer Deadline für ein Buchprojekt. (Anmerkung am Rande: Wenn ihr einen vernünftigen Menschen als Vorbild braucht, nehmt nicht mich, nehmt einfach nicht mich!)

Der Buchsatz ruht im Moment, weil es halt wirklich einfach zu viel ist, aber das Cover steht. Was gut ist, denn ich werde die Hörgeschichte auf YouTube hochladen und dazu brauche ich Thumbnails (ein Thumbnail ist das, was ihr als Bild über diesem Post habt). Und weil ich so gerne Thumbnails bastle, habe ich mit viel Leidenschaft auch die Online-Posts gebastelt, die den einzelnen Kapiteln in no_way_out wie Titel vorausgehen. (Siehe dazu die Randanmerkung einen Absatz weiter oben.)

Mit dem Einlesen der Geschichte bin ich vorangekommen, aber mit all den vielen anderen nötigen und unnötigen (siehe Anmerkungen ... ach, ihr wisst schon) Arbeiten natürlich viel langsamer als geplant. Ich wollte mit mindestens sieben Tagen Vorsprung in den Dezember. Jetzt sind es fünf geworden. Das ist ein sehr kleiner Puffer, aber er muss reichen.

Morgen geht es los. Noch sind ein paar Einstellungen auf YouTube nötig. Aber grundsätzlich bin ich so weit. Ab dem ersten Dezember findet ihr hier in diesem Blogpost den Link auf die Geschichten. Einen kleinen Disclaimer bringe ich heute schon an: Ich bin keine professionelle Sprecherin, erwartet also keine Hörbuchqualität, davon bin ich weit entfernt. Dafür bekommt ihr die Geschichte von der Autorin persönlich vorgelesen. Ist ja auch schon was.

Wir hören uns :-) 


Donnerstag, 8. August 2024

Wenn Engel zweimal landen


Ich stand am Anfang meines Autorinnenlebens, als im Verlag, für den ich damals schrieb, ein Buch erschien: Landeplatz der Engel von einem Frank Maria Reifenberg. Bei mir schlug ein Blitz ein. Ich verliebte mich von jetzt auf sofort in den Buchtitel und das Cover und kaufte mir das Buch. Auch der Inhalt war Liebe auf den ersten Blick. Restlose Begeisterung für einen grandiosen Einstieg, für eine atemberaubende Erzählsprache, für etwas, das ich in dieser Form noch nicht gelesen hatte, etwas, das unter meine Haut drang und mich mitriss. Als ich die Geschichte zu Ende gelesen hatte, wusste ich: Diesen Autor willst und musst du kennenlernen, du musst wissen, wer solche Sätze schreibt, wer solche Ideen hat, wer eine solche Geschichte erfinden kann.

Der glückliche Zufall wollte es, dass dieser Frank Maria Reifenberg bei der Zürcher Autoren-Schullesetour dabei war. Ich war es damals noch nicht; ich war noch zu neu, zu unbekannt, also schrieb ich ihm eine Mail. Den genauen Inhalt weiss ich nicht mehr, aber wir verabredeten uns in Zürich, das damals für ein Landei wie mich noch ziemlich weit von meiner Ostschweizer Pampa entfernt schien.

Mit dem Autor ging es mir wie mit dem Buch. Ich mochte ihn auf Anhieb. Sehr. Wir sassen da und redeten und redeten und redeten. So begann unsere Freundschaft. Später, als ich auch ein Teil der Lesetouren war, habe ich Frank immer wieder getroffen und mich jedesmal prächtig mit ihm unterhalten. Aber zurück zum Buch.

Ich war damals felsenfest überzeugt, dass Landeplatz der Engel für den deutschen Jugendliteraturpreis nominiert werden würde. Wenn nicht dieses Buch, welches denn sonst? Meine Enttäuschung war riesig, als das nicht passierte. Warum sahen andere nicht, was so offensichtlich war: dass da jemand eine Wahnsinnsgeschichte mit einem ureigenen Klang geschrieben hatte? Mutig. Anders. Sprachgewaltig.  

Das Buch ging den Weg der meisten Bücher. Irgendwann war es vergriffen. Auf meinem Bücherregal hatte es stets einen Ehrenplatz und jedes Mal, wenn ich die Regale etwas umräume, um neuen Platz zu schaffen, halte ich es eine Weile einfach in den Händen. Und dann, vor ein paar Monaten, schrieb mir Frank, dass es eine Neuauflage gibt. Ich habe mich sehr für das Buch und ihn gefreut. 

Gestern bekam ich Post. Ich sah den Absender und ahnte, was im Paket war. Es zu öffnen, stellte sich als eine mittelprächtige Kunst heraus, es war zugeklebt wie ein Tresor in Fort Knox (schiefes Bild, ich weiss, aber ich finde grad kein anderes) und so hatte ich ganz viel Zeit, mich auf den Inhalt zu freuen. Nur, als ich dann sah, was Frank mir geschickt hatte, begriff ich erst gar nichts mehr. Das war nicht der Landeplatz der Engel, das war ein Buch mit zwei Affen und einem ziemlich heftigen Titel. Aber Moment ... der Titel ... der erinnerte mich doch an etwas ...

»Scheiß was drauf. Ich hatte nicht mitbekommen, wer den Satz gesagt hatte. Irgendwer, der den weiten Weg hierher gemacht hatte, weil das Depot zum angesagtesten Club der Stadt erklärt worden war. Irgendwer, der es nicht hinter die graue Stahltür geschafft hatte oder dem die letzte Zigarette in den Dreck gefallen war. Irgendwer, der keine Ahnung davon hatte, dass er kurz vor Mitternacht noch die gute Tat des Tages tun würde, einfach, indem er mir einen Satz schenkte, einen guten Satz. Scheiß was drauf. Das ist ein Von-oben-nach-unten-Satz. Er fängt oben an, Scheiß, und rutscht dann nach unten weg, was drauf. Das was hat keine Bedeutung. Es interessiert keinen, was du draufscheißt. Drauf steht an letzter Stelle. Ist eine Falle. Du sollst den Tag nicht vor dem Abend loben (übrigens kein Von-oben-nach-unten-Satz). Du sollst auch den Satz nicht vor dem Ende eintüten, weil du sonst feststellen könntest, ziemlich oft sogar, dass er etwas ganz anderes ist, als du dachtest, dass er nachtritt, aus dem Hinterhalt schießt.«

So fängt Landeplatz der Engel an. Mit Scheiß was drauf. Ich lachte. Presste das Buch an mich. Strich über das ungewohnte Cover. Begriff: Die Engel sind zum zweiten Mal gelandet, diesmal halt als Affen, und der erste Satz des Buches ist zum Titel geworden. Ich lese es gerade wieder. Und bin so begeistert wie beim ersten Mal. Das spricht für das Buch. Es ist zeitlos, immer noch gültig. Mittlerweile schreiben viele Autor:innen in einer Erzählsprache, wie sie Frank damals zu Papier gebracht resp. in seinen Rechner getippt hat, aber immer noch sticht sie heraus. Nicht zuletzt wegen der Einfälle. Wer sonst käme darauf, dass ein Satz ein Von-oben-nach-unten-Satz ist (was übrigens stimmt, lest ihn mal laut).

Zum Inhalt selbst möchte ich nicht viel schreiben, eigentlich gar nichts. Das Buch ist eine Entdeckungsreise, ein unvorhersehbarer Trip in und durch eine Freundschaft. Eine Reise, die man ohne Vorwissen starten sollte, weil es in diesem Fall stimmt: Die tollste Reise ist die, hinter der man nicht weiss, was nach der nächsten Ecke kommt. Eine, in der man von Satz zu Satz lesen sollte, von Absatz zu Absatz, von Seite zu Seite, von Kapitel zu Kapitel. Immer weiter, immer schneller. Und doch bremsen muss, weil man das Unterwegs ja geniessen will. Bis hin zum Ende.

»Ruhe in Frieden. Wenn du tot bist, gönnen sie dir Frieden. Das war ein Scheissdreck, ein grosser Mist. Tot braucht niemand Frieden, vorher, da machte es Sinn. Ein beschissener Satz, für nichts zu gebrauchen.«

Scheiß was drauf, Frank Maria Reifenberg, Karibu-Verlag, 2024,
sechs von fünf Sternen und ein Landeplatz fürs Herz
(und Frank, das ist genau so viel Wert wie der DJP - oder zumindest fast ;-))