Mittwoch, 28. Oktober 2020

dead.end.com reloaded - oder - choose happy

Ich weiss gar nicht mehr so genau, wann der Thienemann-Verlag dead.end.com aus dem Programm genommen hat. Was ich weiss: Es war zu einer Zeit, als ich paradoxerweise bei Lesungen vermehrt auf dead.end.com Klassensätze gestossen bin. Leider erfuhr ich einmal mehr erst vom Ende eines Buches, als der Verlag schon fast keine mehr hatte. Ich habe dann die wenigen Exemplare gekauft, die noch bei Thienemann lagerten und habe auf meiner Webseite auf meinen kleinen Notvorrat hingewiesen. Heute sind nun die letzten Exemplare an eine Schule weg.

Ich weiss auch gar nicht mehr so genau, wann ich die Arbeit am dead.end.com Buchsatz für das Self Publishing unterbrach. Wahrscheinlich im Sommer, als es heisser wurde. Auf jeden Fall vor dem Implodieren meines PCs. Als ich die Datei dann auf dem neuen System öffnete, verschnetzelte es sie, weil sämtliche lizenzfreien Schriften, die ich mir im Laufe der Jahre auf mein altes Maschinchen geladen hatte, weg waren. Schnell zeigte sich: Eine der Schriften war für immer weg. Blöderweise die Titelschrift im Buchinnern. Damit pulverisierte sich ein grosser Teil des Layouts. Die Zeilen am Ende der Buchseite spielten verrückt. Ich seufzte einmal tief, schloss die Datei wieder und verschob die Arbeit auf später.

Jetzt - wo die letzten Notfallexemplare weg sind - ist dieses Später da. Ich habe mich heute Morgen wieder an den Satz gemacht, habe Schriftgrössen und Abstände neu definiert und formatiert und den Fliesstext von Neuem perfekt sitzend gemacht. 25 Seiten habe ich in diesen ersten 60 Minuten geschafft. Viel länger will ich im Normalfall die täglichen Arbeitseinheiten für diesen Buchsatz nicht machen. Es kann also noch eine Weile dauern, bis das Buch wieder erhältlich ist, aber ich arbeite daran. 

Weil ich mir Schriften, Schriftgrössen, Abstände usw. immer IRGENDWO aufschreibe, habe ich eine Tendez, diese wichtigen Informationen entweder sehr lange suchen zu müssen oder gar nicht mehr zu finden. Das soll ab heute anders werden. Ich schreibe mir all diese Schriften und Zahlen in mein neues, wunderschönes choose happy Notizbuch. 

 Choose happy ist übrigens auch das Motto, an dem ich mich in diesen verrückten Zeiten orientieren will. Es gelingt mir nicht immer. An manchen Tagen rollt der neue Corona-Alltagswahnsinn über mich weg wie eine riesige Welle, ich verliere den Boden unter den Füssen und bin ausschliesslich damit beschäftigt, wieder auf die Beine zu kommen. Nicht, weil ich Angst vor Corona habe (ich habe Respekt vor dem Virus, aber keine Angst), sondern aus Frust darüber, wie unsere Landes- und Kantonsregierungen sehenden Auges in die Katastrophe gerannt sind. Und über all die Menschen, die die Situation auf die allzu leichte Schulter nehmen und das Gefühl haben, sich an keine Sicherheitsmassnahmen halten zu müssen.

Zum Glück bin ich umgeben von wunderbaren Menschen, die diesen neuen Alltag mit mir leben und sinnvoll füllen. Einer dieser Menschen ist Jutta Wilke. Ich tausche mich seit Wochen fast jeden Tag in Morgenmails aus. Das hilft, Gefühle und Geschehen zu reflektieren und einzuordnen und vor allem auch, beruflich motiviert zu bleiben. Mein Tipp: Versucht es mal. Vor allem, wenn ihr wie ich alleine zu Hause arbeitet und tagsüber weit und breit keine Menschenseele ist, die euch zuhört oder / und in den Arm nimmt.

Vor allem: Tragt euch und euren Lieben Sorge. Das ist wichtig in Zeiten wie diesen.

Montag, 26. Oktober 2020

Lesungen in Zeiten von Corona - oder - Wie das so ist mit der Eigenverantwortung

Am letzten Freitagnachmittag bin ich von meiner Lesetour im Kanton Aargau zurückgekommen. Es war eine Tour, zu der ich am Montagabend statt mit der üblichen Vorfreude mit bangem Bauchgrummeln aufgebrochen bin. Den Grund für dieses Grummeln habe ich in meiner letzten Ya!-Kolumne beschrieben. Link: Lesungen in Zeiten von Corona. 

Ich übernachtete im Bed & Breakfast der Organisatorin der Lesetour. Weil ich der einzige Gast war, hatte ich das ganze obere Stockwerk für mich. Der Kühlschrank war gefüllt, die Kaffeemaschine wartete schon auf mich, es war alles da, was ich brauchte. Trotzdem schlief ich schlecht, weil ich am Dienstagmorgen zwei Lesungen mit je gut 60 Jugendlichen hatte. Würde der Abstand reichen? Würden sie Masken tragen? Würde lüften möglich sein?

Der Empfang war herzlich und distanziert, wobei sich das distanziert auf den Abstand bezieht, nicht auf die Herzlichkeit. Der Abstand zu den Jugendlichen war da, unter ihnen nicht; sie sassen dicht an dicht auf den Stufen der Aula, ohne Masken, ich hinter Plexiglas. In der Pause ging ich spazieren und saugte jede Menge frischer Luft in mich auf.

Auch am Mittwoch: herzlicher Empfang, wunderbare Betreuung, grosser Raum, rund 45 unschlagbar tolle Kinder mit Masken, extrem nette Bibliothekarinnen.

Aber am frühen Nachmittag dann die neusten Schweizer Fallzahlen. Ich hatte damit gerechnet, und dennoch erschrak ich. Wegen der Fallzahlen, viel mehr noch jedoch ob der Reaktion unserer Kantonsregierungen und Landesregierung. Beide taten mehr oder weniger ... nichts. Vor allem die Landesregierung. Die war „sehr besorgt“ wie seit Tagen schon und wollte die Situation „sehr genau und sorgfältig beobachten.“ Ich entschied, dass der Augenblick für die viel beschworene Eigeninitiative gekommen war und sagte die Veranstaltungen der kommenden Zeit ab.

Am Donnerstag sass ich wieder hinter Plexiglas, in einer Bibliothek, bei je zwei Mal zwei Schulklassen. Alle mit Maske, alle neugierig und voll dabei. Auch hier war ich wunderbar betreut. Am Freitag denn die letzten Lesungen. Aula, gut gelüftet, zwei Lesungen mit je ca. 60 Jugendlichen mit Maske. Die Bibliothekarin, die mich ursprünglich eingeladen hatte, konnte nicht dabei sein, weil sie in Quarantäne war. Eine sehr nette Kollegin sprang für sie ein.

Trotz all der sehr liebenswerten Bibliothekarinnen, Lehrer*innen und Schüler*innen war ich erleichtert, am Ende der Tour angekommen zu sein. In die letzte Lesung der Woche schlich sich eine leise Wehmut: Ich hatte erst gerade so richtig wieder angefangen mit den Lesungen nach dem Lockdown im Frühjahr – und jetzt war schon wieder Schluss. Denn nach den Lesungen am Freitag begab ich mich in meinen ganz persönlichen Lockdown. Heute bin ich doppelt froh darum, denn die neusten Zahlen sind schlicht beängstigend, vor allem jene der Hospitalisierungen. Die nächsten zehn Tage werde ich mich strikt von Menschen fernhalten, bis sicher ist, dass ich mich auf der Tour nicht angesteckt habe.

Was mich beschäftigt und nachdenklich macht: Schulen sagen die Termine nicht ab. Sie haben ihre Sicherheitsmassnahmen, denken jedoch nicht daran, dass ich (oder generell wir Autor*innen) auf einer Tour jeden Tag in anderen Schulhäusern bin, jeden Tag auf unzählige neue Erwachsene und Jugendliche treffe, dass ich anreisen und abreisen muss, meistens in vollen Zügen und Bussen, dass ich irgendwo übernachten und irgendwo auswärts essen muss. Wenn ich das nicht mehr verantworten kann und will, trage ich die finanziellen Konsequenzen. Ich will und kann mir das leisten, aber nicht alle Kolleg*innen können das. 

Bei den Schulen, denen ich abgesagt habe, bin ich mit meinen Absagen auf Verständnis gestossen. So sehr sie den Ausfall bedauern, sie können meine Entscheidung nachvollziehen. Ich habe aber nicht nur die Lesungen abgesagt, sondern auch sämtliche Workhoptermine der nächsten Zeit auf Eis gelegt, weil sie für mich mit Maske und Distanz einfach nicht funktionieren. 

Jetzt sitze ich in der Wärme, draussen tobt ein doppelter Sturm: der eine um steigende Zahlen und Entscheidungen, die getroffen werden sollten, der andere ganz real, so ein richtiger Spätherbststurm mit einer Schneefallgrenze, die immer weiter runter kommt. 

Ich würde diesem Blogpost ein Happy End wünschen, aber ich denke, die Geschichte fängt erst so richtig an, und ich fürchte, sie könnte zu einem Drama werden.

Mittwoch, 7. Oktober 2020

Schreibworkshop Wortflügelschläge

Ein Schreib-"Schnupper"Abend

Freitag, 20. November 2020
Zürcherstrasse 9 b, 7320 Sargans

("Schnuppern" = Mal gucken, ob mir das gefallen würde; deshalb nur ein Abend;
den Kurs gibt es im Januar auch als Vierteiler)

 
Erlebe an diesem Schnupperabend, wie viel Fantasie in dir steckt und wie viel Freude das Schreiben machen kann. Tauche gemeinsam mit Gleichgesinnten in verrückte, kreative, witzige, poetische, ernsthafte Schreibspiele ein. Bringe Ideen zum Spriessen und Wörter zum Fliessen.

Was du mitbringen darfst (aber nicht musst):
 Unsicherheit und Hemmungen.

Was du mitbringen kannst:
 Das Vertrauen darauf, dass Ideen in Dir schlummern, die es nach draussen drängt.

Was du mitbringen solltest: Die Bereitschaft, dich auf die Übungen und die anderen Kursteilnehmer*innen einzulassen.

Kurskosten: CHF 70.00
Minimale Teilnehmerzahl: 5
Maximale Teilnehmerzahl: 8
Anmeldeschluss: 13. November 2020

Samstag, 3. Oktober 2020

Herbstspaziergang

Der Sturm hat sich verzogen, die Sonne vertreibt die Wolken, die Natur sieht aus wie frisch gewaschen. 




Donnerstag, 1. Oktober 2020

Wenn Lehrer morden

Ihr ahnt ja gar nicht, welch tiefe Abgründe in Lehrer*innen schlummern! Da wird ruchlos gemobbt, erbgeschlichen, gemordet und Nationalheld Wilhelm Tell kurzerhand zum Terroristen erklärt. Drei Vertreter dieser nur auf den ersten Blick harmlosen Berufsgattung waren gestern in der Liechtensteinischen Landesbibliothek anwesend und lasen aus der Anthologie Mord zur grossen Pause vor, deren 21 Geschichten rund um die Schule allesamt von schreibenden Lehrer*innen oder lehrenden Schreiber*innen aus der Schweiz, Deutschland, Österreich und dem Liechtenstein erdacht und in die Tastatur gehauen wurden. Organisiert, orchestriert, dirigiert oder auf gut Schweizerdeutsch "tätschmeischteret" hat das Ganze Daniel Badraun.

Gestern Abend anwesend (v.l.n.r.): Armin Öhri, Daniel Badraun und Tom Zai.

Armin Öhris Lehrer hat den perfekten Mord begangen (ich sage nur: Fitnesstracker!), geht danach unterrichten und schafft sich nun mit dem perfekten Kniff das perfekte Alibi, um danach das Erbe der verstorbenen alten Dame einsacken zu können. Ihr ahnt es: Diese perfekte Sache hat einen sehr perfekten Haken ...

Daniel Badraun schickt das Lehrpersonal eines ganzen Schulhauses in ein Gruselschloss zu einem teambildenden Workshop. Da wird kein Lehrerklischee ausgelassen, aber gar keins, sondern richtiggegend darin geschwelgt, mit einem herrlichen Wortwitz. Weniger witzig sind die Toten, die da plötzlich rumhängen und rumliegen. Dafür schon fast aberwitzig die Lehrerin, die vor all dem einfach buchstäblich die Augen verschliesst. Dass das Diktiergerät der Schulleiterin (oder war's die Schuldirektorin?) mitläuft, versteht sich in dieser Geschichte fast schon von selbst.

Und dann sind da noch der Wilhelm Tell und der Herr Lehrer Odermatter von Tom Zai. Ersterer war kein Held, sondern ein Terrorist, was Zweiterer locker und problemlos an einem Elternabend begründen kann, worauf eine moderne Hetzjagd in typischer Shitstormmanier durch die Social Media rauscht (von Dritterem akribisch protokolliert), bis dem Lehrer Odermatter seine kleinen Witze am Rande wegdröseln und er zur Armbrust greift. Ein typisch grossartiger textlicher Höllenritt von Tom Zai, inspiriert von Mani Matter (Sie hei dr Wilhelm Tell ufgfüert) und dem Song Go, tell it on the mountains, was bei Tom Zai dann zu Go, Tell is on the mountain mutiert.

Sprache als Spiel. Sprache als Experiementierfeld. Sprache als Lawine, die mitreisst. Ich habe mich prächtig amüsiert. Solltet ihr irgendwann die Chance haben, eine Lesung aus dem Buch Mord zur grossen Pause in der Nähe zu haben: Geht hin. Es lohnt sich.

Mord zur grossen Pause
Herausgeber: Daniel Badraun
Gmeiner Verlag

Viel Spass!