Ich übernachtete im Bed & Breakfast der Organisatorin der Lesetour. Weil ich der einzige Gast war, hatte ich das ganze obere Stockwerk für mich. Der Kühlschrank war gefüllt, die Kaffeemaschine wartete schon auf mich, es war alles da, was ich brauchte. Trotzdem schlief ich schlecht, weil ich am Dienstagmorgen zwei Lesungen mit je gut 60 Jugendlichen hatte. Würde der Abstand reichen? Würden sie Masken tragen? Würde lüften möglich sein?
Der Empfang war herzlich und distanziert, wobei sich das distanziert auf den Abstand bezieht, nicht auf die Herzlichkeit. Der Abstand zu den Jugendlichen war da, unter ihnen nicht; sie sassen dicht an dicht auf den Stufen der Aula, ohne Masken, ich hinter Plexiglas. In der Pause ging ich spazieren und saugte jede Menge frischer Luft in mich auf.
Auch am Mittwoch:
herzlicher Empfang, wunderbare Betreuung, grosser Raum, rund 45 unschlagbar tolle Kinder mit Masken, extrem nette Bibliothekarinnen.
Aber am frühen Nachmittag dann die neusten Schweizer Fallzahlen. Ich hatte damit gerechnet, und dennoch erschrak ich. Wegen der Fallzahlen, viel mehr noch jedoch ob der Reaktion unserer Kantonsregierungen und Landesregierung. Beide taten mehr oder weniger ... nichts. Vor allem die Landesregierung. Die war „sehr besorgt“ wie seit Tagen schon und wollte die Situation „sehr genau und sorgfältig beobachten.“ Ich entschied, dass der Augenblick für die viel beschworene Eigeninitiative gekommen war und sagte die Veranstaltungen der kommenden Zeit ab.
Am Donnerstag sass ich wieder hinter Plexiglas, in einer Bibliothek, bei je zwei Mal zwei Schulklassen. Alle mit Maske, alle neugierig und voll dabei. Auch hier war ich wunderbar betreut. Am Freitag denn die letzten Lesungen. Aula, gut gelüftet, zwei Lesungen mit je ca. 60 Jugendlichen mit Maske. Die Bibliothekarin, die mich ursprünglich eingeladen hatte, konnte nicht dabei sein, weil sie in Quarantäne war. Eine sehr nette Kollegin sprang für sie ein.
Trotz all der sehr
liebenswerten Bibliothekarinnen, Lehrer*innen und Schüler*innen war ich
erleichtert, am Ende der Tour angekommen zu sein. In die letzte Lesung der
Woche schlich sich eine leise Wehmut: Ich hatte erst gerade so richtig wieder
angefangen mit den Lesungen nach dem Lockdown im Frühjahr – und jetzt war schon
wieder Schluss. Denn nach den Lesungen am Freitag begab ich mich in meinen ganz persönlichen Lockdown. Heute bin ich doppelt froh darum, denn die neusten Zahlen sind schlicht beängstigend, vor allem jene der Hospitalisierungen. Die nächsten zehn Tage werde ich mich strikt von Menschen fernhalten, bis sicher ist, dass ich mich auf der Tour nicht angesteckt habe.
Was mich
beschäftigt und nachdenklich macht: Schulen sagen die Termine nicht ab. Sie
haben ihre Sicherheitsmassnahmen, denken jedoch nicht daran, dass ich (oder generell wir Autor*innen) auf einer
Tour jeden Tag in anderen Schulhäusern bin, jeden Tag auf unzählige neue
Erwachsene und Jugendliche treffe, dass ich anreisen und abreisen muss,
meistens in vollen Zügen und Bussen, dass ich irgendwo übernachten und irgendwo auswärts essen muss. Wenn ich das nicht mehr verantworten kann
und will, trage ich die finanziellen Konsequenzen. Ich will und kann mir das
leisten, aber nicht alle Kolleg*innen können das.
Bei den Schulen, denen ich abgesagt habe, bin ich mit meinen Absagen auf Verständnis gestossen. So sehr sie den Ausfall bedauern, sie können meine Entscheidung nachvollziehen. Ich habe aber nicht nur die Lesungen abgesagt, sondern auch sämtliche Workhoptermine der nächsten Zeit auf Eis gelegt, weil sie für mich mit Maske und Distanz einfach nicht funktionieren.
Jetzt sitze ich in der Wärme, draussen tobt ein doppelter Sturm: der eine um steigende Zahlen und Entscheidungen, die getroffen werden sollten, der andere ganz real, so ein richtiger Spätherbststurm mit einer Schneefallgrenze, die immer weiter runter kommt.
Ich würde diesem Blogpost ein Happy End wünschen, aber ich denke, die Geschichte fängt erst so richtig an, und ich fürchte, sie könnte zu einem Drama werden.
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