Dienstag, 5. Mai 2020

E-Mail für dich - Wenn die Worte und der Fokus fehlen

Liebe Jutta

Vielen lieben Dank für deine Antwort auf meine E-Mail an dich.

Wie gut ich das mit den fehlenden Worten verstehe. Ich habe zwar Worte für und in Mails und Social Media gefunden, auch Worte ganz privat mit meinen Liebsten. Ja, sogar für virtuelle Kurzlesungen haben sie gereicht (mehr dazu weiter unten). Mir fehlten die Worte in anderen Bereichen des Lebens.

Beim Schreiben meiner Geschichten: Ich schreibe immer noch nicht. Weil ich immer noch nicht weiss, wie. Meine Geschichten spielen im realen Leben, das seit Wochen surreal ist. Nichts, was ich schreiben würde, wäre von Bestand. Was heute gilt, gilt morgen nicht mehr. Wir Autoren nennen das "Setting" - und zurzeit wandelt sich das Setting täglich. Es ist mir ein Rätsel, wie ich dieses Problem angehen oder gar lösen könnte, mal abgesehen davon, dass ich meine Geschichten einfach zurückdatieren könnte. Vielleicht werde ich das irgendwann machen müssen, aber im Augenblick liegen meine Projekte erst einmal auf Eis.

Beim Lesen: Ich habe letzten Monat ein halbes Buch gelesen. Mehr nicht. Ich verstehe nicht, warum das so ist. Keine Ahnung. Gut, die ersten zwei Drittel des April hatte ich keine Zeit. Die hätte ich aber mittlerweile. Doch es hakt.

Was mich am meisten erstaunt: Ich vermisse weder das Schreiben noch das Lesen. Beides will ich nicht hinterfragen, sondern einfach mal so hinnehmen. Spätestens Mitte Mai werde ich wieder schreiben müssen, weil es dann mit dem Radioprojekt weitergehen soll. Und ich bin sicher, dass ich früher oder später wieder begeistert in Bücher eintauchen werde.

Meine freie Zeit nutze ich im Moment für den Garten, den Hausputz, das Entrümpeln. Du siehst, da haben wir vieles gemeinsam. Das Entrümpeln geht nur langsam vor sich, weil ich im Estrich begonnen habe und da ziemlich schnell auf die Zeichnungen der Kinder gestossen bin. Da ich sie nicht einfach wegwerfen wollte, habe ich beide Kinder gefragt, ob sie sich die Zeichnungen noch anschauen wollen. Beide haben geantwortet, ich solle ihnen doch einfach ein paar fotografieren.

Und so blieb ich an den Zeichnungen hängen. Frau Tochter hatte noch Witze darüber gemacht, dass ich mir jetzt jede Menge Bauchnäbel anschauen könne. Was sie meinte, wurde mir ziemlich schnell klar. Beim ersten Bauchnabel hatte ich einen Lachflash. Bei den weiteren kam ich ins Staunen. Ich habe Frau Tochter ein paar Bauchnabelzeichnungen geschickt, sie hat mir eine Bauchnabelerklärung gegeben, und danach haben wir stundenlang gemeinsam Bilder angeschaut. Am Ende habe ich ganz viele Zeichnungen weggeworfen, aber auch viele behalten. Ich brachte es nicht übers Herz, alle wegzuwerfen. Das müssen unsere Kinder dann mal tun, wenn ich nicht mehr da bin.

Von den Zeichnungen ging es zu den Fotos. All jenen, die es nicht in ein Fotoalbum geschafft haben. Ich sass vor den Schachteln und dachte: So, Frau, jetzt machst du für beide Kinder ein Album über ihre Kindheit. Tja ... und dann habe ich damit begonnen. Du ahnst es, Jutta, diese Estrichentrümpelung wird JAHRE dauern.

Auch beim Hausputz wurde ich ausgebremst. Weil ich eine alte Leiter gefunden habe.  Die doch perfekt in ein Zimmer passte. Noch perfekter mit Zimmerpflanzen drauf ... Und dann habe ich mich entschieden, endlich dieses Möbel anzustreichen, das schon lange ... Ich habe mit Farben experimentiert und gerade vorhin die passende Farbe im Fachgeschäft bestellt.


Dabei hatte ich mir noch vor Kurzem vorgenommen, das mit dem FOKUSSIEREN endlich hinzubekommen. Aber ganz ehrlich: Ich liebe meine Art, das Leben chaotisch zu leben. Es gibt Zeiten und Tätigkeiten, wo der Fokus wichtig ist (für mich ist das vor allem die Arbeit), und dann gibt es Zeiten und Tätigkeiten, wo ich es fliessen lassen will.

Gestern war ich sehr lange zu Fuss unterwegs. Unter anderem im Wald. Ich wanderte vor mich hin, liess die Gedanken schweifen. In mir war die totale Ruhe und Gelassenheit und ich war zutiefst glücklich. Ich bin bei und mir dir im Gedanken, dass es nicht so weitergehen kann. Immer höher, immer schneller, immer mehr, Wachstum über alles blablabla. Am Anfang der Krise hatte ich die Hoffnung, dass sie uns als Gesellschaft verändern würde. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Bei uns tagt seit gestern das Parlament, und alles deutet darauf hin, dass sich gar nichts ändern wird. Nicht im grossen. Aber das soll mich und uns nicht davon abhalten, die Dinge im kleinen zu verändern. Wenn das genug Menschen tun, ändert sich vielleicht ja doch noch was.

Ganz viele Menschen suchen die Antworten im Moment in Zahlen und Daten: Wann dürfen wir das wieder? Und wann das? Und wann das andere? Und fangen an zu motzen, wenn die Antwort nicht klar ist. Aber wie soll sie denn klar sein in diesen Zeiten, wo nichts sicher ist? Warum können wir nicht einfach damit leben, dass es keine Antworten gibt. Dass sie sich dann ergeben, wenn die Zeit da ist? Ein Grund ist sicher die Sorge um das Abgesichertsein. Zu wissen, wann man wieder arbeiten kann, damit man planen oder zumindest hoffen kann. Das verstehe ich. Und dennoch mussten und müssen wir lernen, auf Antworten zu warten.

Wir arbeiten beide in einem Beruf, in dem das besonders schwierig ist. Uns fallen Lesungen und Workshops aus, die Zahl der Buchverkäufe ist aufgrund der geschlossenen Buchhandlungen gefallen. Zum Glück wurde bei uns in der Schweiz früh klar gemacht, dass die Kulturschaffenden nicht leer ausgehen sollen. Die Rede war von einer Honorarausfallentschädigung, im Augenblick erhalte ich jedoch eine Erwerbsausfallentschädigung, obwohl ich mein ausgefallenes Honorar gemeldet hatte. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe, und im Augenblick ist nicht ganz klar, wie das weitergehen soll, aber ich habe Geld überwiesen bekommen, etwas, woran ich nicht wirklich geglaubt habe. Es macht im Augenblick noch lange nicht alle ausgefallenen Einnahmen wett, aber es ist ein guter Anfang. Ich wünschte mir, es wäre in Deutschland ähnlich. Anerkennung ist wichtig. In Form von Wahrgenommen werden, von Geschätztwerden, aber halt auch in finanzieller Form (weil wir die Miete nur vom Geschätztwerden nicht bezahlen können).

Womit ich bei den AutorInnen und ihren Aktivitäten im Netz angekommen bin. Auch ich habe anfangs etwas befremdet eine Hyperaktivität festgestellt. Aber ich habe sie verstanden. Wenn dir plötzlich so ziemlich alles wegbricht, suchst du nach Wegen, beachtet zu werden, nicht vergessen zu gehen, IRGENDWAS zu tun. Vieles hatte etwas Verzweifeltes. Mittlerweile denke ich: Jeder so, wie es für ihn / sie passt.

Bei uns in der Schweiz wird grad sehr viel online gelesen. Das hängt unter anderem mit dem Vorlesetag zusammen, der dieses Jahr eher privat und in Kleinstgruppen stattfinden wird. Nicht wenige AutorInnen stellen dafür Kurzlesungen ins Netz. Ich stelle Kurzlesungen ins Netz, weil ich weiss, dass sich viele Schulen auf meine Lesungen vorbereitet haben; so bekommen sie wenigstens eine kleine "Entschädigung" dafür, besonders jene Klassen, die ein Buch von mir als Klassenlektüre gelesen haben.

Nicht zuletzt macht das auch Spass. Ich werde diesen oder nächsten Monat voraussichtlich meine erste Skype-Lesung machen. Das war nicht meine Idee, sondern der Wunsch einer Schule. Und für eine andere Schule, die sich intensiv mit meinen Büchern auseinandergesetzt hat, werde ich Fragen virtuell beantworten und den Clip dann auch online stellen.

Natürlich ersetzt beides keine Lesung. Nie und nimmer. Weil Lesungen interaktiv sind, weil wir direkt auf unsere ZuhörerInnen reagieren und eingehen können. Weil wir sie miteinbeziehen können. Das ist von unschätzbarem Wert und kann nur in der direkten Begegnung geschehen.

Ich könnte noch endlos lang weiterschreiben, aber ich mache hier jetzt mal einen Punk und fasse die Zeit bis jetzt für mich so zusammen: Ich bin unfassbar glücklich und zufrieden (das mag irr klingen, ist aber so), ich bekomme grad unendlich viel von all dem, was wichtig ist und das man NICHT kaufen kann, allem voran Liebe. Wie dich macht mich das sehr dankbar.

Donnerstag, 30. April 2020

Kurzlesungen aus meinen Büchern

Seit März fallen mir sämtliche Lesungen aus. Inzwischen sind es über 30 Lesungen, die vor den Sommerferien NICHT stattfinden werden. Was danach kommt, weiss ich nicht. Wegfallende Lesungen schmerzen, nicht nur wegen der Finanzen; an einigen Lesungsstationen wäre ich zum wiederholten Male gewesen, auf sie habe ich mich besonders gefreut. Eine dieser Stationen ist die Kinder- und Jugendbuchmesse "Buch am Bach" in Götzis. Dort bin ich so etwas wie Stammgast, darf Jahr für Jahr lesen und freue mich Jahr für Jahr schon Wochen im Voraus darauf.

Auch die "Buch am Bach" fällt Corona zum Opfer. Die Veranstalter haben mich jedoch gefragt, ob ich zu den zwei Büchern, aus denen ich gelesen hätte, virtuelle Kurzlesungen machen könne. Klar kann ich. Und so sind heute zwei Kurzlesungen virtuell auf die Reise nach Götzis gegangen: eine aus "Ich, Onkel Mike und Plan A", die andere zum Buch "Blackout".

Die erste Lesung habe ich in meinem Blog schon verlinkt (HIER), "Blackout" ist sozusagen ofenfrisch.

Als nächstes mache ich mich an die längstens versprochene Kurzlesung zu "Blue Blue Eyes".

Donnerstag, 23. April 2020

Mittwoch, 22. April 2020

Ich bin nicht nett

Auf jeden Fall nicht zu meinem Körper. Mit diesem Gedanken bin ich heute Morgen sehr früh erwacht und habe mir die Zeit genommen, etwas länger darüber nachzudenken.

Ich war immer ein "Ruech" (so sagt man bei uns zu Leuten, die ohne Rücksicht auf ihren Körper rackern), habe meinen robusten Körper für garantiert genommen, habe ihm viel zugemutet. Habe ihn Garten- und Handwerksarbeit erbarmungslos ausgesetzt, oft in Körperhaltungen bei denen Warnsignale heftig geblinkt haben. Früher habe ich das mit Sport kombiniert, seit ein paar Jahren bin ich leidenschaftliche Wanderin. Feinheiten wie Stretching und Beweglichkeitsübungen fand - und finde - ich steinlangweilig, weshalb ich sie mir zwar regelmässig vornehme, das dann aber nie wirklich durchziehe.

Essen tue ich eigentlich sehr gesund. Das Gemüse kommt per Schachtel vom Biohof, Eier und Hühnerfleisch auch. Herr Ehemann und ich kochen selber, Fertigprodukte gibt es so gut wie nie. Und trotzdem esse ich falsch. Weil zu viel. Das macht die ganze Sache dann eben trotz eigentlich gesunder Ernährung ungesund.

In letzter Zeit klemmts und zirpts an zwei Stellen schmerzhaft, an einer chronisch, ich bin mittlerweile so unbeweglich wie eine Zaunlatte. Ich mache Witze darüber, schiebe es auf mein Alter, ärgere mich zwischendurch, unternehme halbherzige Anläufe in Sachen Beweglichkeit und Essen - und lasse beides wieder sausen.

Und heute Morgen, im Bett, als ich nachdachte, da wurde mir klar, wie sehr NICHT nett ich zu meinem Körper bin. Ich pflege den Garten, verschönere die Räume im Haus, schaue mir stundenlang Videos und Magazine über Gestaltungsideen an, aber den Raum, den ich wirklich bewohne, meinen Körper, den behandle ich schon fast sträflich fahrlässig. Kein Wunder, rebelliert er.

Mein Vorsatz nicht nur für heute und morgen: Ich will netter zu meinem Körper sein. Ich muss netter zu meinem Körper sein. Denn ich gedenke, noch eine ganze Weile in ihm zu leben. Da sollte ich es  - gopf noch mal - doch schaffen, ihn mit der gleichen Sorgfalt zu behandeln wie den Garten und das Haus.

Dienstag, 21. April 2020

Was ich beruflich grad so mache in Zeiten wie diesen

Was ich beruflich so mache in Zeiten wie diesen, wo grad alle Lesungen abgesagt werden:
  • da bux Geschichten lektorieren
  • und dann satzparat machen (den Satz macht dann Tom Zai)
  • ein Briefing für die Grafikerin schreiben 
  • Autorenbios und Klappentexte verfassen
  • diverse Verträge anpassen und neu aufsetzen
  • erstes Herantasten an Lizenzverträge
  • Finanzierungsgesuche schreiben
  • mich mit den AutorInnen der Edition 6 (2021) über Setting und Themen in Corona-Zeiten austauschen
  • zusammen mit Stephan Sigg und Tom Zai an weiteren Verlagskonzepten feilen
  • Blue Blue Eyes Hörbuchvertrag unterschreiben
  • an der Veröffentlichung der nächsten Self Publishing Publikationen arbeiten
  • mir vornehmen, weitere Kurzlesungen für YouTube zu machen (und die Zeit dafür nicht finden)
  • auf die nächste Überarbeitungsrunde der Radiohörgeschichte warten
Nichtberuflich hätte ich gefühlte 1000 Ideen, was ich in Haus und Garten alles machen möchte - wenn ich denn die Zeit dazu finden würde.

Und dann auf Facebook bei Kollege Frank Maria Reifenberg einen Post lesen, in dem er berichtet, wie ihm nun als Autor empfohlen wird, sich "neu zu erfinden". ähm .... wann? und warum?