Bevor ich über die Jurysitzung berichte: Das Klischée vom weltfremden Jurymitglied, das seine Nase lieber in Büchern als in der grossen, kalten Weite des WorldWideWeb hat, stimmt nicht so ganz. Weshalb wir die aus dem Internet kopierten und als Eigenbeiträge eingesandten Texte einiger gewitzter Jugendlichen schnell entlarvt und ausgesiebt hatten. So viel dazu.
Nun aber zur Jurysitzung: Neugierig waren wir. Wie hat mein Kollege, meine Kollegin die Texte bewertet? Ähnlich wie ich? Total anders? Liege ich irgendwo weit daneben mit meinen Ansichten oder finden wir einen gemeinsamen Nenner? Beim Übertragen unserer Bewertungen in eine Tabelle wurde schnell klar: es ist etwas von Beidem. Einige Zeilen sahen aus wie Bingozeilen beim Spielautomaten. Gleiche Punktzahl durchs Band. Bei anderen war die Übereinstimmung weniger klar, die Abweichung grösser. Bei mir kamen schräge, irrwitzige Texte durchwegs besser weg als bei den Kollegen, ja, einer meiner Favoriten musste sogar bös untendurch. Ich war die Einzige, die den Text als aberwitzigen Wortsturm sah und ihre helle Freude daran hatte (ich hab's gerne furchtbar schräg!). Und da gab es auch noch den Text, der in unser aller Augen richtig literarisch und richtig gut anfing und dann total auseinanderfiel. Wie bewertet man so etwas? Belohnt man das riesige Talent, das da durchscheint, oder schaut man sich das Gesamtbild an? Wir entschieden uns mit viel Bedauern für das Gesamtbild. Nein, einfach war es nicht. Aber spannend. Anregend. Interessant. Denn: Wir übertrugen nicht einfach nur Punkte, sondern diskutierten bei gröberen Abweichungen das Warum. Selten wird Literatur so lebendig wie in solchen Diskussionen, in denen das Feuer, die Begeisterung oder auch der totale Frust so heftig ausbrechen kann. Es war ein lebendiger Morgen, von dem ich jede einzelne Minute genossen habe und mich privilegiert fühlte, in so einer Runde mitmachen zu dürfen.
Am Ende hatten wir uns auf die besten der drei Kategorien geeinigt. Nun geht es in eine nächste Runde: Innerhalb der Besten eine Rangliste erstellen. Die Aufgabe jagt mir Respekt ein. Zum Glück muss ich nicht alleine entscheiden, sondern bin Teil einer Jury, in deren Gesamturteil ich vertaue. Mehr in einem dritten Teil nach der nächsten Jurysitzung.
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