Mittwoch, 13. März 2024

Mittelstreifenblues

Manchmal werde ich gefragt, wie viel von mir in meinen Büchern steckt. "Ein wenig", habe ich früher geantwortet. "Ganz viel", sage ich heute. 

Als junge Frau habe ich in wahnsinnig glücklichen und furchtbar traurigen Nächten auf dem Mittelstreifen balanciert, getanzt, gelacht und geweint. Einmal, da habe ich mich bäuchlings draufgelegt und gedacht, ich sterbe vor Liebeskummer, jetzt, gleich. Nur um ein paar Tage später mit ausgebreiteten Armen auf demselben Mittelstreifen zu stehen und in den Himmel zu rufen: "Ich stehe, ich lebe, ich werde wieder fliegen können!" Dann habe ich aus meiner kleinen Blechdose eine geschnorrte Zigarette gezogen (eine Angewohnheit, die ich Nathan aus den Lost Souls geschenkt habe) und stundenlang in den Himmel geschaut, habe gelacht und geheult. Gefühlt und gelebt. Mit einer ungeheuren Intensität.

Nie ist mir etwas passiert auf diesen Mittelstufengängen. Immer bin ich gut nach Hause gekommen. Genau wie Jelscha in meinem neuen Buch Mittelstreifenblues. Ich weiss nicht, wer über mich gewacht hat in diesen irren Nächten. Im Mittelstreifenblues ist es Elia, Jelschas bester Freund, der über sie wacht. Natürlich denkt er, sie wisse es nicht. Und natürlich weiss sie es. Und natürlich wissen beide, dass es Dinge gibt, vor denen einen nichts und niemand schützen kann.

Die beiden wohnen in Ronda, einem kleinen Bergdorf am Ende der Schweiz. Jelscha will hier nie weg, denn nirgendwo leuchten die Sterne heller als hier; hier kann man nicht verloren gehen - ausser man ist Jelschas Mutter. Elia hingegen hält nichts in Ronda. Er will das Dorf hinter sich lassen, zusammen mit einem Leben, in dem er nicht sein kann, wer er ist, gleich nach dem letzten Schultag. Mit dem Motorrad. Auf dem Mittelstreifen. Hinaus in die Freiheit.

Ich werde euch in den nächsten Wochen mehr über Jelscha und Elia und all die wunderbaren (und weniger wunderbaren) Menschen aus Ronda erzählen. Vorerst zeige ich euch Buchtrailer Nummer 1. Und weil es Nummer 1 ist, ist auch klar, dass ihr nicht nur mehr Hintergrundinfos zur Geschichte bekommen werdet, sondern auch weitere Trailer angucken könnt. 

Hier schon mal die Edition 1:

Donnerstag, 29. Februar 2024

Ein neuer Trampelpfad

Heute ist ein guter Tag: Der Februar hat mir einen zusätzlichen Tag geschenkt, und am späten Vormittag ist auch die Sonne durch den Hochnechnebel gebrochen und hat ihn zurückgedrängt. Geschenke soll man annehmen, habe ich mir gesagt. Und so habe ich gleich nach dem Mittag die Strecke in den nächsten Ort unter die Füsse genommen. Samt Rucksack und eingepackter Einkaufstasche.

Ich spazierte nicht die gewohnten Wege, sondern ging zum Binnenkanal raus, der vor ein paar Jahren renaturiert worden ist. Ein wunderschöner Trampelpfad führt an ihm entlang, und wenn man die Geräusche von der Autobahn ausblendet, kommt man sich ein wenig vor wie in der Wildnis. Zwischen dem gelben Gras von letztem Jahr spriesst das hellgründe von diesem Jahr. Das Wasser ist glasklar, fliesst einmal langsam und bedächtig, dann wieder schnell und fröhlich, manchmal breiter, manchmal teilt es sich und  nimmt eine der vielen kleinen Inseln in die Mitte. Steine, umgefallene Bäume und gelegentlich eine Holzbank säumen das Ufer; die ersten knallgelben Blümchen recken sich stolz der Sonne entgegen.

Kein Mensch störte die Idylle; ich war allein unterwegs. Liess mir Zeit. Fotografierte und filmte (das Resultat zeige ich am Ende des Posts). Nach der Renaturierung hatte ich die Wahl: Bekannte Wege oder Neuland betreten. Ich entschied mich für das Neuland, einen Waldweg durch fast unberührtes Gelände, wo man die Natur mehr oder weniger sich selbst überlässt. Gemäss Handyapp würde der Waldweg irgendwann aufhören; eingezeichnet waren nur noch zwei oder drei dünne, rote gestrichelte Linien. Es konnte also gut sein, dass ich ins Nirvana hinaussteuerte, aber hey, ich hatte einen geschenkten Tag und schönes Wetter. Im Notfall würde ich umkehren und die Einkäufe halt anderswo machen.

Irgendwann wurde der Waldweg zum verblassenden Feldweg und ich kam an eine winzige Abzweigung, von der ein schmaler Trampelpfad wegführte. Das war dann wohl meine dünne rote Linie. Ich folgte ihr. Musste alle paar Meter über umgekippte Bäume klettern und fand mich bald in einer atemberaubend schönen Wildnis. Wald, Sumpfgebiet, kleine Tümpel, Fischreiher. Natur pur. Mitten zwischen Autobahn und Hauptstrasse. 

Trampelpfadgängerin. Das bin ich nun seit fast drei Jahren. Heute habe ich das Wort gelebt und erwandert. 

Irgendwann traf ich dann wieder auf die Zivilisation. Ein wenig wehmütig. Aber auch sehr glücklich, weil ich mir gerade eine neue Strecke aufgetan hatte, die ich unbedingt wieder gehen will. Eingekauft habe ich auch :-) Und bin dann mit dem Bus nach Hause gefahren. Schön war's. Total schön. 

Freitag, 23. Februar 2024

Auf Mission

Kürzlich war ich zu Fuss unterwegs, fand die Landschaft und das Leben schön und war mit einer tiefen Gelassenheit unterwegs. Der Rhein zeigte sich von seiner besten Seite; jemand hatte mit Steinen einen Smiley auf eine Sandbank gezaubert. Ich fotografierte, sang und hüpfte vor mich hin. Auf der Höhe der Raststätte Werdenberg verliess ich den Damm, lief über die Autobahnbrücke, blieb stehen und schaute den Autos zu, wie sie in Richtung Berge fuhren. Nach einer Weile wandte ich mich ab, liess das Treiben hinter mir und tauchte in den kleinen Wald ein, der zwischen Autobahn und Auen liegt.

Auf halber Höhe kam mir ein älterer Mann entgegen. Als er mich sah, steuerte er auf mich zu. Noch während ich überlegte, ob ich ihn kennen sollte, zog er etwas aus der Hosentasche, hielt es in die Höhe und stellte sich vor mich hin. Ich guckte genauer. Da stand etwas von Jesus und ich dachte na bravo. Freundlich sagte ich: "Der liebe Gott und ich haben's nicht so miteinander. Danke, aber kein Interesse."

Sag so was mal jemandem mit einer Mission! Weil ich mir aber für dieses Jahr vorgenommen habe, meine Bubble zu verlassen, mir andere Meinungen anzuhören, mich auf Argumente einzulassen, ging ich nicht einfach weiter, sondern hörte dem Mann zu.

Er: "Sie haben bestimmt schon gesündigt."
Ich: "Nein."
Er: "Sie lügen."
Ich: "Nein, ich lüge nicht."
Er: "Alle lügen."
Ich: "Richtig. Ich auch."
Er: "Dann sündigen Sie also doch."
Ich: "Nein. Ich bin menschlich. Ich esse manchmal zu viel, ich nutze Notlügen, wenn ich andere nicht verletzen will. Wahrscheinlich habe ich sogar gegen ganz viele Gebote verstossen, aber ich nenne das nicht sündigen, sondern das ist zutiefst menschlich."
Er: "Und wenn Sie mal sterben?"
Ich: "Bin ich tot."
Er: "Und dann?"
Ich: "Dann ist fertig."
Er: "Wollen Sie denn nicht in den Himmel?"
Ich: "Nein."

(Ich erwähnte nicht, dass im Himmel oben wohl lauter solche selbstgerechten Typen wie er hocken und ich nur schon deshalb da nicht hin will, auf keinen Fall.)

Er: "Aber Sie werden begraben."
Ich: "Nein, ich möchte, dass meine Asche verstreut wird."
Er: "Sie werden begraben wie eine Kartoffel."

(An dieser Stelle verzichtete ich darauf, ihn noch einmal darauf hinzuweisen, dass ich nicht begraben werde; ich hatte so eine Idee, dass meine Worte auf keinen fruchtbaren Boden fallen würden.)

Er: "Und dann spriessen Sie aus."

(Von wegen fruchtbarer Boden ... haha. Nun ja, er meinte die Kartoffel. Danach ging es dann irgendwie eine Weile lang um das jüngste Gericht und die Auferstehung)

Er: "Wer seine Sünden gegenüber Gott eingesteht, dem wird vergeben."
Ich: "Aha. Also kann ich als Priester, der Jugendliche sexuell missbraucht, einfach mal schnell um Vergebung bitten?"
Er: "Sünde ist Sünde. Der Herr kann vergeben."
Ich: "Lügen und einen Jugendlichen vergewaltigen ist also dasselbe?"
Er: "Es sind beides Sünden."
Ich: "Gleichwertig?"
Er: "Es sind beides Sünden."

An dieser Stelle hatte ich dann genug. Ich sagte ihm, dass er seinen Gott behalten könne. 

Okay, ich sagte es nicht ganz so diplomatisch ... Auf jeden Fall liess er mich stehen und verzog sich. Ich hatte kein Mitleid, denn er hätte es nach meinem freundlichen Danke, kein Interesse ja bleiben lassen und mit mir übers Wetter oder den Frühling reden können.

Ich brauchte die ganze Strecke durch die Auen, bis ich mich gefangen hatte. Aus meiner Bubble raus will ich immer noch, war ich auch mehrere Male und es war total spannend. Aber es gibt Grenzen.

Mehr von meinen Ausflügen aus meiner Bubble raus dann - vielleicht - nächste Woche. Hätte schon diese Woche mein Thema sein sollen. Aber nach verschiedenen Anläufen merkte ich, dass ich noch nicht bereit für diesen Post bin.

Mittwoch, 14. Februar 2024

Frühling


Ich bin ein Frühlingsmensch. Wenn die Tage länger werden, die Vögel wieder so richtig fröhlich singen, die ersten Blumen aus dem Boden drängen, dann zieht es mich noch mehr nach draussen als sonst schon. Ich will sehen, riechen, hören, greifen, fühlen. Erde unter meinen Füssen. Diesen kitschig hellblauen Frühlingshimmel über mir. Warme Sonne auf meiner Haut.

Gestern war ich mit Herrn Ehemann auf einem langen Spaziergang. Alles stimmte: Das Wetter, die Strecke, die Laune. Irgendwann gerieten wir ins Spekulieren darüber, ob diese warmen Tage schon das Ende des Winters einläuten oder ob das einfach eine hoch willkommene Verschnaufpause vor dem nächsten Schnee ist. Wir konnten uns nicht festlegen und entschieden, dass das auch gar nicht nötig ist. Der Augenblick war schön und gut. Und solche Augenblicke gilt es auszukosten und zu leben.

Donnerstag, 8. Februar 2024

Dilemma

 
 
Gestern fiel ein Termin in der Nähe von Zürich sehr kurzfristig aus. Genauso kurzfristig habe ich mich entschlossen, stattdessen in die Berge zu fahren. Ich wollte die Traurigkeit abschütteln, die mich seit längerem begleitet, wollte meine Autorenseele erden und mit Kraft füllen. Kurz nach Chur fühlte ich, wie es mir besser ging, wie meine innere Wackligkeit nachliess. Die Rheinschlucht - immer und immer wieder überwältigend schön - tat mir gut. In Ilanz stieg ich von der Bahn ins Postauto um und merkte, wie ich mit jedem Kilometer mehr bei mir ankam.

Ich blieb nicht lange, nur ein paar Stunden. Ich tat auch nicht viel, denn im ungeheizten Haus war es kalt, im Schreibstall noch kälter und draussen grad auch. Die Sonne schaffte es nicht durch die Wolken, aber all das spielte keine Rolle. Die Traurigkeit verzog sich zwar nicht wirklich, sie schrumpfte jedoch zu einer leisen Melancholie und ich konnte meine Gedanken sortieren und mir überlegen, wie ich mit meinem Dilemma umgehen soll.

Das Dilemma hat mit den Bergen und meinem neuen Buch zu tun. Die Geschichte ist meine Liebeserklärung an die Berge und die Menschen, die in den Bergen leben. Sie wurzelt dort, wo ich auch wurzle. Ich bin tief mit ihr und den Buchcharakteren verbunden. Und zu dieser Geschichte hat das Buch ein Flachlandcover bekommen. Eine Aufnahme aus dem Mittelland, die auch aus Mecklenburg-Vorpommern stammen könnte. Es ist eine schöne Aufnahme mit einer ganz besonderen Stimmung, die bestimmt vielen Menschen gefallen wird. Der Verlag ist begeistert. Nur für mich stimmt das Bild halt überhaupt nicht. 

In dem Moment, in dem mir klar wurde, dass das Cover definitiv so bleiben und aussehen wird, hat sich meine Vorfreude auf das Buch verzogen wie ein geprügelter Hund und einer tiefen Traurigkeit Platz gemacht. Mit Frust oder Wut hätte ich umgehen können, aber nicht mit dieser abgrundtiefen Traurigkeit. Ich komme mir ihr nicht klar. Und ich werde sie nicht los. Ich kann sie verdrängen, habe das jetzt einige Wochen lang gut geschafft, aber mit dem Näherrücken des Erscheinungstermins ist sie zurückgekommen.

Ich würde so gerne sagen, dass ich das alles sehr professionell sehe und vor allem, dass ich professionell damit umgehen kann. Aber beides wäre eine Lüge. Früher wäre ich zumindest so professionell gewesen, dass ich in den Social Media begeistert das Cover gezeigt hätte, mit einem Text dazu, in dem ich verkünde, wie sehr ich mich freue. Das kann und will ich nicht mehr. Mein Entschluss vor einiger Zeit, meine Social Media Accounts nicht zu löschen, hing mit der Bedingung zur Ehrlichkeit zusammen. Was mich zum Dilemma bringt: Wie gehe ich mit all dem um?

Ich glaube, ich habe einen Weg gefunden, wie ich auf das neue Buch eingehen kann: Ich zeige auf Insta Bilder aus der Welt meiner Protas mit passenden Buchzitaten. Anders gesagt: Ich stelle meine Hauptfiguren vor. Das funktioniert für mich. Bei den Lesungen bin ich ehrlich. Wenn mich die Jugendlichen nach meinem neuen Buch fragen, erzähle ich ihnen davon - und verschweige nicht, wie traurig mich das Cover macht.

Wer jetzt schon Einblicke in meine Protas und ihre Welt möchte, findet sie auf Insta. Oder wartet hier noch ein Weilchen. Ich werde die Portraits hier in einem Blogpost vorstellen, sobald ich die wichtigsten Figuren beisammen habe und der Erscheinungstermin des Buches etwas näher liegt.