Donnerstag, 29. Februar 2024

Ein neuer Trampelpfad

Heute ist ein guter Tag: Der Februar hat mir einen zusätzlichen Tag geschenkt, und am späten Vormittag ist auch die Sonne durch den Hochnechnebel gebrochen und hat ihn zurückgedrängt. Geschenke soll man annehmen, habe ich mir gesagt. Und so habe ich gleich nach dem Mittag die Strecke in den nächsten Ort unter die Füsse genommen. Samt Rucksack und eingepackter Einkaufstasche.

Ich spazierte nicht die gewohnten Wege, sondern ging zum Binnenkanal raus, der vor ein paar Jahren renaturiert worden ist. Ein wunderschöner Trampelpfad führt an ihm entlang, und wenn man die Geräusche von der Autobahn ausblendet, kommt man sich ein wenig vor wie in der Wildnis. Zwischen dem gelben Gras von letztem Jahr spriesst das hellgründe von diesem Jahr. Das Wasser ist glasklar, fliesst einmal langsam und bedächtig, dann wieder schnell und fröhlich, manchmal breiter, manchmal teilt es sich und  nimmt eine der vielen kleinen Inseln in die Mitte. Steine, umgefallene Bäume und gelegentlich eine Holzbank säumen das Ufer; die ersten knallgelben Blümchen recken sich stolz der Sonne entgegen.

Kein Mensch störte die Idylle; ich war allein unterwegs. Liess mir Zeit. Fotografierte und filmte (das Resultat zeige ich am Ende des Posts). Nach der Renaturierung hatte ich die Wahl: Bekannte Wege oder Neuland betreten. Ich entschied mich für das Neuland, einen Waldweg durch fast unberührtes Gelände, wo man die Natur mehr oder weniger sich selbst überlässt. Gemäss Handyapp würde der Waldweg irgendwann aufhören; eingezeichnet waren nur noch zwei oder drei dünne, rote gestrichelte Linien. Es konnte also gut sein, dass ich ins Nirvana hinaussteuerte, aber hey, ich hatte einen geschenkten Tag und schönes Wetter. Im Notfall würde ich umkehren und die Einkäufe halt anderswo machen.

Irgendwann wurde der Waldweg zum verblassenden Feldweg und ich kam an eine winzige Abzweigung, von der ein schmaler Trampelpfad wegführte. Das war dann wohl meine dünne rote Linie. Ich folgte ihr. Musste alle paar Meter über umgekippte Bäume klettern und fand mich bald in einer atemberaubend schönen Wildnis. Wald, Sumpfgebiet, kleine Tümpel, Fischreiher. Natur pur. Mitten zwischen Autobahn und Hauptstrasse. 

Trampelpfadgängerin. Das bin ich nun seit fast drei Jahren. Heute habe ich das Wort gelebt und erwandert. 

Irgendwann traf ich dann wieder auf die Zivilisation. Ein wenig wehmütig. Aber auch sehr glücklich, weil ich mir gerade eine neue Strecke aufgetan hatte, die ich unbedingt wieder gehen will. Eingekauft habe ich auch :-) Und bin dann mit dem Bus nach Hause gefahren. Schön war's. Total schön. 

4 Kommentare:

weggefaehrtin hat gesagt…

wieder eine wunderbare idee und inspiration, danke, liebe alice. abenteuer vor der haustüre im alltag werden so leicht übersehen. herzliche grüsse, roswitha

Alice Gabathuler hat gesagt…

Liebe Weggefährtin

Ich habe diesen Januar und Februar ein Jugendbuch lektoriert, in dem Jugendliche in einer wunderbaren Szene ihre Stadt von einer ganz neuen Seite erleben und ähnlich Erfahrungen machen wie ich gestern auf meinem Trampelpfad. Ja, die Abenteuer liegen direkt vor der Haustür, unabhängig davon, wo man lebt. Es gibt überall etwas zu sehen und oft entdeckt man dabei kleine Ecken, die man noch gar nie bewusst wahrgenommen hat.

Ich wünsche dir viel Freude beim (Wieder)Entdecken deiner Nachbarschaft.
Herzlich
Alice

Jutta Wilke hat gesagt…

Liebe Alice,

danke für die wunderbare Wegbeschreibung deines Trampelpfads. Fast war es, als wäre ich ein Stückchen dabei gewesen. Und ja, ich sage das auch meinen Schreibschülerinnen und Schreibschülern immer wieder: einfach rausgehen vor die eigene Haustür, Augen auf und loslaufen.

Ich freue mich schon auf den nächsten Trampelpfadbericht.

Alles Liebe
Jutta

Alice Gabathuler hat gesagt…

Liebe Jutta

Mit dem Schreiben ist es wie mit dem Fotografieren. Wenn man um die Schätze seiner Umgebung weiss, hat man ein Auge dafür - oder kann es entwickeln. Und plötzlich sieht man neue Strukturen in Häusern, den seltsamen Strassennamen, das Unkraut, das sich durch den Teerbelag kämpft, die kleinen Blumen am Wegesrand, Risse in der Wand ... diese Liste ist endlos. Die Geschichten dazu auch. Und bei mir entstehen dann noch Fotos oder Kurzfilme.

Ich liebe dieses Erkunden an der frischen Luft.

Herzlich
Alice