Sonntag, 28. Juli 2019

Multifunktionales Bahnfahren

Kürzlich hat Sunil Mann auf Facebook etwas über Wanderer im Zug gepostet - und da ist mir eine Geschichte eingefallen, die ich letztes Jahr erlebt habe. Ich habe Sunil gefragt, ob ich für meinen Blogpost sein Foto benutzen darf, weil es so gut passt. Ich darf. Danke, Sunil.

Ich stieg in Chur in die Rhätische Bahn nach Ilanz um, setzte mich in ein leeres Abteil und freute mich auf die Fahrt durch die Rheinschlucht, dieses grossartige Wunder der Natur. Kurz bevor der Zug losfuhr, suchten sich sechs voll ausgerüstete Wandervögel den Weg durch den Waggon und wurden genau auf meiner Höhe fündig. Vier setzten dich auf die andere Seite des Mittelgangs, einer mir gegenüber und eine Frau neben mich. Kaum aus dem Bahnhof Chur raus, ging das grosse Auspacken los: Schreiend bunte Funktionsjacken, Funktionsleibchen und im Falle der Frau neben mir Funktionssocken wurden ausgezogen. Nur der Wandervogel mir gegenüber sass stoisch da und packte einen Panettone aus, den er auf den Sitz neben sich legte, um danach mit seinem Sackmesser immer wieder eine Scheibe davon abzuschneiden und genüsslich zu verspeisen. Es störte ihn nicht, dass der nackte Fuss der Frau nur Zentimeter von seinem Kuchen schwebte. Es störte ihn auch nicht, dass die Frau diesen Fuss minutenlang eincremte und dabei jeden Zehen ausführlich massierte.

Ich schaute gebannt zu, überlegte mir, das Abteil zu wechseln, blieb aber sitzen, weil die Show einfach zu skurril war. Der Mann mampfte, die Frau cremte irgendwann ihren zweiten Fuss, auf der anderen Seite des Ganges wurden neue Funktionsleibchen und Funktionsjacken aus den Rucksäcken gezaubert und die ausgezogenen darin verstaut. Dann musste dieses ganze bunte Funktionszeug natürlich wieder über Oberkörper gestreift werden. Der Panettone schwand, die Brösel bröselten herum, die Füsse und Zehen wurden geschmeidig, die Rucksäcke mehrmals umständlich aus- und umgepackt. Ich sass in meiner Ecke und fühlte mich wie in einem schrägen Film.

Irgendwann waren Füsse und Zehen geschmeidig genug und verschwanden in bunten Funktionssocken. Dann ging das grosse Schuhewechslen los, während der Panettonemampfer nun nicht mehr nur mampfte, sondern eine Karte aus dem Rucksack zog und so eine Art Tagesplan verkündete. Ich schloss aus den Orten, die er erwähnte, dass die lustigen Wandervögel in Ilanz aufs Postauto umsteigen mussten und fragte mich, ob der Panettone und ich bis dorthin überleben würden.

Eine Station vor Ilanz begann ich mir Sorgen um den Panettonemampfer zu machen, fing er doch tatsächlich an, sich umzuziehen - sprich, das ganze Funktionskleidungsprogramm in Angriff zu nehmen, für das seine Bergkollegen (um es nett zu formulieren) etwas lange gebraucht hatten. Und den Rest des Panettone musste er ja auch noch irgendwo versorgen, entweder in seinem Magen oder seinem Rucksack.

Meine Sorge war unberechtigt. Der gemächliche Mampfer konnte auch schnell sein. Ob er den Rest des Kuchens noch ass oder im Rucksack verpackte, weiss ich nicht mehr. Aber ich erinnere mich, glücklich im fast leeren Postauto in Richtung Vrin gesessen und die Aussicht genossen zu haben - ohne nackte Füsse, bröselnden Kuchen und diese schreiend bunte Funktionskleidung.

PS: Falls sich jemand fragt, wo wir Autoren Charakterstudien betreiben und Ideen finden ... die Bahn ist immer ein guter Ort dafür.

Donnerstag, 25. Juli 2019

Sommerblues

Sommerhitze ist für mich wie für andere Leute Novembernebel oder anhaltende Winterstürme. Meine gute Laune macht sich von dannen und nimmt dabei gleich auch Motivation und Kreativität mit. Sie verwandelt mich in ein träges, frustessendes, unerträgliches Monster. Es gibt Tage, da empfehle ich meinen Lieben, einen weiten Bogen um mich zu machen, weil ich mich selber nicht aushalte und andere mich schon gar nicht aushalten würden.

Dabei wäre der Sommer genau die Zeit, in der ich Zeit zum Schreiben hätte. Mit Betonung auf hätte. Es gab Sommer, in denen ich wochenlang in den Seilen hing und einfach nur versuchte, nicht durchzudrehen. Jeden Sommer nehme ich mir vor, mich NICHT von der Hitze unterkriegen zu lassen, jeden Sommer scheitere ich schon bei der ersten Hitzewelle daran.

Dieses Jahr habe ich die erste Welle zum Glück verpasst: Ich war im herrlich kühlen England, als bei uns die Temperaturen zum ersten Mal über 30 Grad stiegen. Die ausklingende Hitzewelle traf mich nur kurz, und während andere anschliessend über die viel zu kühlen Temperaturen klagten, fühlte ich mich rundum wohl und sprühte vor Arbeitseifer und Kreativität.

Nun rollen sie wieder, die Hitzewellen. Am Dienstag ass ich mich durch den Nachmittag, haderte mit mir, mit dem Schicksal, mit dem Leben und mit dieser vermaledeiten Hitze. Ich schrieb keine Zeile, hasste mich dafür, ass weiter und tat mir furchtbar leid.

Wenn ich eins mehr hasse als die Sommerhitze, dann ist das Selbstmitleid. Oh nein, dachte ich. Nicht schon wieder. Fertig Sommerblues! Ich erinnerte mich an das Kinderschwimmbecken auf dem Dachboden. Und dass die Luftpumpe seit Jahren defekt ist. Also ging ich am Mittwochmorgen als erstes eine Pumpe kaufen. Nach dem Mittag pumpte ich damit jede Menge Luft in das Becken, füllte es ganz langam mit Wasser (damit es schon während des Einlaufens aufwärmen konnte), zügelte mein Büro nach draussen unter den Baum, wobei ich den Bürostuhl durch einen Liegestuhl ersetzte, und ging mein Badekleid ausgraben.

Ich arbeite jetzt so: Im kühlen Wasser lesen, auf dem Liegestuhl schreiben / Mails beantworten, im kühlen Wasser lesen, auf dem Liegestuhl schreiben ... So geht es. So hielt ich sogar die Nacht aus, weil ich nicht schon tagsüber schlapp und matt herumhing. Der erste Tag verlief also vielversprechend. Mal gucken, wie es heute so geht.

Frau Katze, die sonst auf dem Schreibtisch neben mir schläft, ist übrigens mit mir umgezogen. Die Arbeitsteilung bleibt dieselbe: Sie schläft, ich arbeite. Das Foto stammt von heute Morgen. Noch liegt alles im Schatten, noch ist es kühl, noch halte ich es im Büro unterm Dach aus. Ab Mittag, wenn unterm Dach die Temperaturen auf über 30 Grad klettern, wechsle ich ins Aussenbüro.


PS: Jetzt brauche ich nur noch einen neuen Laptop. Meiner braucht nämlich rund drei Minuten zum Hochfahren und noch einmal rund drei Minuten, bis er das Wordprogramm geöffnet hat.

Dienstag, 23. Juli 2019

E-Mail für dich (2)

Wir kennen (und lieben) uns seit Jahren. Wir ticken ähnlich und doch wieder nicht. Jede von uns weiß, was die andere gerade umtreibt, weil wir uns oft in Mails und leider zu selten auch im realen Leben austauschen. Jutta Wilke und ich haben spontan entschieden, euch einen Blick in unsere Mails werfen zu lassen. 

Den bisherigen Mailverkehr könnt ihr hier, hier und hier nachlesen. In ihrer letzten Antwort hat mir Jutta erklärt, warum meine Antwort für sie nicht funktioniert - sie hat mich damit heftig ins Grübeln gebracht. Hier mein Versuch einer Antwort:

Liebe Jutta

Ich habe deine Mail gestern Abend gelesen und je länger ich über eine Antwort nachdachte, desto weiter rückte sie von mir weg. Auch heute Morgen kann ich sie nicht greifen. Du wirst also mit Gedankenfetzen, die sich vielleicht sogar widersprechen, und vor allem mehr Fragen als Antworten Vorlieb nehmen müssen. Hier also der (Denk)Stand der Dinge:

Das Bild der Wände und Leitern ist zwar schön, aber es wird dem Leben nicht gerecht. Denn: Wann ist etwas eine Wand (oder eine Baustelle, wie du an einer Stelle in deiner Mail schreibst), und brauchen wir immer und überall Leitern? Reicht ein Bild oder brauchen wir viele? Das Leben hat mir kürzlich etwas hingestellt, von dem ich nicht weiss, was es ist. Es ist gross, es ist überwältigend, es ist etwas, mit dem ich noch nie konfrontiert war. Und trotzdem bin ich nicht mal eine Leiter suchen gegangen. Weil das Ding umgekippt ist (oder ich es umgekippt habe?) und ich es nun als Weg gehe. Sind mein Garten und vor allem mein Dschungel im Haus in den Bergen wirklich Wände? Sie geben zwar ziemlich viel Arbeit und beanspruchen Zeit, vor allem der Dschungel, aber ich empfinde sie nicht als Wände, sondern als Bereicherung. Und der Hausputz? Das ist eine Wand, die ich seit Urzeiten ignoriere. Es gibt wesentlich geputztere Häuser als unseres - aber es ist noch keiner von uns in Staubflusen erstickt oder in der Unordnung verloren gegangen. Weil wir es gemeinsam auf einem Stand halten, der uns allen (meistens) behagt. Es gibt oder gab in den letzten Jahren bei mir berufliche Wände, an denen ich beinahe zerbrochen bin. Da hat keine Leiter der Welt geholfen. Ich habe irgendwann aufgehört, gegen diese Wände anzurennen. Ich bin sie - wie du wunderbar schreibst - einfach umgangen. Es war ein langer, zuweilen schmerzhafter Prozess, ich habe einen Preis dafür bezahlt, fühle mich jedoch seit einer Weile unendlich frei. Leider gibt es auch Wände, die man weder kippen noch umgehen noch als Nichtwände bezeichnen kann. Das sind dann die, die viel Kraft und Energie absaugen, die einen auslagen und zuweilen verzweifelt am Boden liegen lassen. Ich weiss, dass du diese Wände kennst und ich habe erlebt, was sie mit dir gemacht haben.

Deshalb bin ich froh, dass du losgegangen respektive losgefahren bist, um deinen Berg zu erklimmen. Ich wünsche dir, dass er nicht immer so steil bleibt, wie er im Moment ist. Das Festhalten der kleinen Schritte im Bullet Journal finde ich eine sehr gute Sache.

Womit ich bei dem bin, was mir seit ein paar Monaten eine unendliche Hilfe ist: Das Bullet Journal. Ich verdanke es dir. Du hast mir gezeigt, was ein Bullet Journal ist und was man damit machen kann. Seit ich es führe, ist es für mich Agenda, Planer und Tagebuch zugleich. Alles in einem. Ich breche die grossen Dinge des Lebens auf keine Etappen runter (ich glaube, deshalb bin ich auf die Leitersprossen gekommen) und behalte dabei erst noch den Überblick. Das geht von der Logistik einer Lesetour über die Einteilung meiner verschiedenen parallel laufenden Pendenzen (=CH-Deutsch für noch zu erledigende Arbeiten) bis hin zum Garten und zum Haushalt (hihi). Neu dazugekommen ist zum ersten Mal die ernsthafte zeitliche Planung von Schreibprojekten, schön aufgeteilt in erreichbare Zwischenziele. Ich arbeite dabei schon auch mit Kreuzchen und Häklein, aber am liebsten benutze ich Farben. Ich male aus, was ich geschafft habe. Da sieht man besser, was man schon geschafft hat :-)


Was bleibt, sind diese Fragen: Was sind für mich Wände, was sind für mich Hindernisse, wie liegen sie in der Landschaft, was sind die Spielwiesen, auf denen ich mich entspannen kann, wie schaffe ich es, mich nicht von Arbeiten, die ich sehr gerne tue (Wände anstreichen, im Dschungel rumkriechen, Möbel basteln) zu sehr ablenken zu lassen, wie behalte ich den Fokus, wie gehe ich mit Rückschlägen um, was stelle ich hintenan (mir geht es wie dir: ich habe immer viel mehr Ideen als ich Zeit habe), was lasse ich (allenfalls schweren Herzens) fallen?

Du bist zu einer Reise aufgebrochen, in der all das liegt, sowohl die Fragen als auch die Antworten. Das braucht enorme Kraft. Deshalb bitte ich dich, ab und zu abzusteigen und innezuhalten um zu neuer Kraft zu kommen.

Weil diese Mail sehr lang geworden ist, verschiebe ich die Gedanken um unseren Beruf und ob und, falls ja, wie wir davon (gut) leben können.

PS: Nur so ein Nachgedanke. Kann es sein, dass Zeit unsere einzige Wand ist?

Sei gedrückt und heftig umarmt
Alice


Sonntag, 21. Juli 2019

E-Mail für dich

Wir kennen (und lieben) uns seit Jahren. Wir ticken ähnlich und doch wieder nicht. Jede von uns weiß, was die andere gerade umtreibt, weil wir uns oft in Mails und leider zu selten auch im realen Leben austauschen. Jutta Wilke hat mit ihrer letzten Mail an mich ein ganzes Gedankenkarussell in Gang gesetzt. An einer Stelle im Text schrieb Jutta, dass sie ihre Gedanken in einem Blogpost formulieren würde. Und da hatte ich die Idee, wir könnten mehr als nur Blogposts schreiben. Nämlich, euch einen Blick in unsere Mails werfen zu lassen und dabei Höhen und Tiefen des AutorInnenlebens hautnah nachlesen. Meine Mail an Jutta war keine zwei Stunden weg, als sie mir den Link zu ihrem neusten Blogpost schickte. Darin: Ihre Mail an mich. Bevor ihr meine Antwort lest, empfehle ich euch, ihre Mail zu lesen.

Juttas Mail an mich  (einfach auf den Link klicken).

Liebe Jutta
Das Bild mit der einen Leiter ist wirklich schön, aber leider gibt es im richtigen Leben nicht nur eine Wand, sondern tatsächlich ganz viele, und leider lässt uns das richtige Leben nicht die Zeit, eine Wand nach der anderen zu erklimmen, es ist dem Leben sogar egal, ob es richtige oder falsche Wände sind. Ich würde das Bild deshalb etwas abändern: Hab nicht nur eine Leiter, sondern mehrere. Lass sie an den jeweiligen Wänden angelehnt, aber klettere nicht einfach kopflos rauf und runter, sondern überlege dir immer: Bis zu welcher Sprosse klettere ich heute / jetzt? Dann kletterst du dort hin, hängst einen "geschafft"-Zettel ran und dann kannst du beim nächsten Mal schnell zum Zettel hochklettern und von dort weg zum nächsten Ziel. Was für mich entscheidend ist, ist der Fokus. Jetzt die Gartenleiter (eine Stunde Unkraut jäten, "geschafft"-Zettel hinhängen, runtersteigen, dich freuen). Dann die Geldleiter (aktiv ein Problem angehen, "geschafft"-Zettel hinhängen, runtersteigen, zufrieden sein). Dann die Haushaltsleiter (eine Stunde putzen, "geschafft"-Zettel hinhängen, egal, wie es im ungeputzten Teil des Hauses aussieht, runtersteigen, zufrieden sein). Beim nächsten Mal kannst du dann direkt auf der "geschafft"-Sprosse der Leiter anfangen. Ich mach das übrigens nicht mit Leitern, sondern als Eintrag im Bullet Journal :-) Wichtig ist, sich auf die Leiter zu konzentrieren, auf der man gerade ist. Was da jetzt vielleicht so abgeklärt daherkommt, schaffe ich höchstens 50 Prozent der Zeit. Aber ich arbeite daran …

Zur Zielsetzung: Ja, unbedingt. Ich habe das für mich für dieses Jahr auch gemacht. Ich habe für mich festgelegt, wie viele Lesungen ich höchstens machen will, wie viel Geld ich mit dem Self Publishing verdienen will, ja, ich habe sogar zwei fixe Schreibfahrpläne erstellt :-) Diese Ziele setze ich mir im Bullet Journal, und ich gedenke, mich daran zu halten. Na ja, mehr oder weniger. Lesungen werden es wieder zu viele, dafür habe ich für nächstes Jahr erst eine Woche in Zürich.

Das Ziel "Ich will - verdammt noch mal - von meiner Arbeit als Autorin gut leben können", finde ich genau das richtige! Vielleicht musst du es in Etappen angehen, sprich, für nächstes Jahr noch ein Zwischenziel festlegen (ohne das "gut" vor Autorin) und dich dann übernächstes Jahr auf das "gut leben" können konzentrieren. Was ich nicht tun würde: Als Ziel ein monatliches Einkommen festzulegen, es sei denn, dir reicht ein Jahresdurchschnitt, denn in unserem Beruf schwankt das unglaublich.

Der Berg ist die Summe aller Leitern. Da ich in den Bergen lebe, weiss ich, dass Berge nie alleine kommen. Hinter jedem Gipfel warten schon die nächsten. Aber wer einmal einen Berg bezwungen hat, weiss, dass er es kann. Das ist für mich das Entscheidende. Dazu gehört, wie du schreibst, das Losgehen. Ich weiss, dass du schon viele Berge bezwungen hast und einigen auch gescheitert bist. Dass du dabei viel Kraft verloren hast. Dass daher das Losgehen gar nicht so einfach ist. Aber ich weiss auch, dass du es kannst. Und ich möchte dich dabei begleiten.


PS: Meine Gartengeräte sehen ähnlich aus wie deine. Ich beackere sogar den Dschungel in Cumbel mit Gartenscheren. Fürs Gröbere ist Herr Ehemann zuständig, aber er hat in vielen Bereichen Arbeitsverbot, weil er mit dem Trimmer immer wieder Pflanzen erwischt, die ich liebevoll gepflegt habe und mich darüber gefreut hatte, dass sie nach vier Jahren endlich … und dann … brmmm und weg. Du siehst, auch alte Gartengeräte haben ihre Nützlichkeit :-)

Herzlich und mit einer riesigen Umarmung
Alice

Donnerstag, 18. Juli 2019

Wenn man zu Fuss unterwegs ist, wandern auch die Gedanken

Ich habe heute meine Eltern besucht. Nicht mit dem Auto, sondern zu Fuss, nicht durch die endlosen Strassendörfer im Tal unten, sondern über einen Höhenweg. Es gibt verschiedene bei uns im Rheintal, man kann höher hinaus oder sich - wie ich heute - an die etwas tieferen Lagen halten. Das Faszinierende daran: Man ist gar nicht so weit weg von der dichtbesiedelten Ebene und trotzdem in einer anderen Welt, und das schon nach kurzer Zeit.

 
















Eigentlich wollte ich unterwegs in Gedanken an meinem neuen Buchprojekt feilen und Nägel mit Köpfen machen. Ich habe die Figuren, ich habe fast die ganze Geschichte beisammen, aber es gibt noch Lücken, und vor allem ist ein Verhältnis zwischen zwei wichtigen Figuren noch nicht klar, womit auch ein entscheidender Teil der Geschichte noch in der Luft hängt. Dieses Verhältnis habe ich geklärt, den betreffenden Teil in der Geschichte verknotet - und damit stellen sich neue Fragen, öffnen sich neue Lücken. Ich konnte nicht alle schliessen, aber das ist nicht so dramatisch. Dramatischer ist die Tatsache, dass mir der Spannungsbogen entglitten ist, was mich am Aufbau der Geschichte zweifeln lässt. Ich habe so eine leise Ahnung, dass das, was ich wollte, unter Umständen nicht funktioniert. Da muss ich die Denkkappe wohl noch ein paarmal anziehen!


Zurück zum Höhenweg: Herr Ehemann und ich haben die Strecke Werdenberg - Azmoos schon in 2 Stunden und 45 Minuten zurückgelegt. Ich wollte heute schneller sein, also einen neuen Rekord aufstellen, und wusste, da würde ich "di Hindara fürini" müssen, oder zu gut Deutsch: Gas geben müssen.


Ich kam an wunderschönen Weilern und einsamen Bauernhäusern vorbei. Normalerweise drücke ich bei solchen Gelegenheiten unzählige Male auf den Auslöser, überlege mir, in welchem dieser Häuser ich gerne wohnen würde (es sind viele, glaubt mir!), aber heute war es anders als sonst. Und deshalb müsst ihr euch mit dem Häusergucken gedulden. Ich liefere die Fotos nach, versprochen, denn der Weg ist so schön, dass ich ihn noch öfters gehen werde.

Nachdem ich auch die Gemeinde Sevelen hinter mir gelassen hatte, tauchte ich in die Gemeinde Wartau ein, die Gemeinde, in der meine Familie wurzelt, die Gemeinde, in der ich aufgewachsen bin, die Gemeinde, in der auch ich wurzle, obwohl ich schon lange nicht mehr dort wohne. Es ist ein Herzgefühl und manchmal, wenn ich durch die atemberaubend schöne Landschaft des Wartaus wandere, auch ein Sehnsuchtsgefühl. 


Deshalb nervt es mich, dass sich die Rechtskonservativen den Begriff Heimat schnappen. Wenn sie sich als wahre Eidgenossen bezeichnen mit einem Alleinanspruch auf Heimatgefühl. Wenn sie denken, anders- oder gar linksdenkende Menschen verraten unser Land oder seien keine echten Schweizer. Ich habe immer links gedacht, werde im Alter sogar wieder radikaler links, aber auch ich gehöre in dieses Land, in diese Heimat. Meine Ideen und Ideale haben hier genauso Platz wie alle anderen auch.


Meine Liebe zur Natur habe ich von meinen Eltern geerbt. Ich brauche nicht viel. Schicke Kleider, schicke Autos, schickes Irgendwas haben mich nie interessiert. Glück heisst für mich Familie. Liebe. Natur.

Meine Geschichte sitzt noch nicht, wie sie sollte. Das macht nichts. Sie wird sich formen und Gestalt annehmen. Den Rekord habe ich unterboten. 2 Stunden 35 Minuten. Ich habe jedoch so eine Ahnung, dass es gar nicht um die Zeit gegangen ist, sondern um etwas anderes. Was genau, weiss ich nicht. Vielleicht um etwas zwischen mir und meinem Körper. Oder mir und dem Leben. Auf jeden Fall war es schön.