Kürzlich kam eine Anfrage. Toller Anlass, tolles Thema. Ich sollte dazu gleich zwei Mal professionell auftreten. Honorar: Leider kein Budget, aber die Anreise würde bezahlt. Und es sei doch auch Werbung für mich. Dieser Fall war klar. Ja, ich kann und will mir die Absage leisten (ich verliere ja nichts - hihi).
Schwieriger wird es bei Schullesungen. Es gibt zwei Arten von Schullesungen:
- Touren, zu denen ich eingeladen werde, zu einem Honorar, bei dem gilt "take it or leave it."
- Private Anfragen, bei denen ich das Honorar selber festlege.
Die Honorare bei offiziell organisierten Schullesetouren, zu denen ich eingeladen werde, sind zwar oft so tief, dass
jeder vernünftige Mensch "LEAVE IT" schreien würde, aber ich bin auf
Schullesungen angewiesen, und so ist es ein Abwägen. Nur: Dieses Abwägen fällt mir von Jahr zu Jahr schwerer. Das liegt an mehreren Faktoren:
- Das Honorar für diese offiziellen Schullesetouren weicht von den offiziellen Honorarempfehlungen von Autorenverbänden und Organisationen nicht nur um Meilen, sondern um Lichtjahre ab.
- Was Schulen dem Tourveranstalter bezahlen, ist (sehr) viel mehr, als wir AutorInnen dann erhalten. Im extremsten Fall bekomme ich etwas weniger als zwei Drittel (63%) des von der Schule bezahlten Preises.
- Das Honorar ist ein Bruttohonorar. Ziehe ich alles ab (Sozialabgaben, administrativer und logistischer Aufwand, Infrastruktur) bleibt als effektives Honorar ein - je nach Betrachtungsweise - schmerzhaft / lachhaft tiefer Stundenlohn (und da ist der Zeitauwand für Anfahrt und Rückfahrt noch nicht einmal inbegriffen)
Der Verein der Schweizer Kinder- und Jugendbuchautoren AUTILLUS hat in einem Brief an jene Lesungsveranstalter mit den niedrigsten Honoraren um eine Erhöhung gebeten. 50 % der Angeschriebenen haben darauf das Honorar leicht erhöht. => Die Situation ist unbefriedigend bis frustrierend. "Take it or leave it" halt.
Als AutorIn stecke ich in der Klemme: Ich brauche die Einnahmen aus den Lesungen, ich lese sehr gerne, ich mag die Jugendlichen, für die ich lese, ich brenne für meine Sache, bin sozusagen auf einer "Mission Jugendbuch". Aber muss ich mich deswegen auf solch niedrige Honorare einlassen? Oder anders gefragt: Kann ich mir eine Absage leisten, wenn die Einladung zur Tour kommt?
Vor ein paar Wochen musste ich für einen Lesungsveranstalter einen Lebenslauf einschicken. Ich guckte mir so an, was da alles drauf stand - und dann schluckte ich leer. In der Privatwirtschaft würde man jemandem mit dieser Erfahrung, diesem Werk und diesen Auszeichnungen einen Top-Crack nennen. Und ihm oder ihr ein Top-Honorar bezahlen. Bei AutorInnen ist das anders. Bei Kinder- und JugendbuchautorInnen sowieso. Da kann es im schlimmsten Fall schon mal heissen: Ist doch Werbung für dich. (Ein Manager, dem man so was sagen würde, würde an einem Lachanfall sterben.)
Nach der eingangs erwähnten Anfrage von kürzlich hat es in mir einmal mehr gerumpelt und rumort. Ich merke, wie sich die Frage verschiebt von "Kannst du dir eine Absage leisten?" hin zu "Willst du dir die Zusage leisten?" Und die Antwort auf die zweite Frage tendiert je länger je mehr zu einem NEIN. Aus vielen Gründen. Nicht der letzte davon ist Selbstachtung.
Das bedeutet nicht, dass ich keine Lesungen mehr machen möchte. Im Gegenteil. Ich liebe Lesungen. Aber ich will dafür ein anständiges Honorar. Bei Schulen, die direkt bei mir anfragen, ist das so (und die bezahlen unter dem Strich dann gar nicht so viel mehr). Bei Schullesetouren gibt es solche und andere. Das hat nichts mit den OrganisatorInnen selber zu tun (die machen einen guten Job), sondern mit den Geldgebern (oft der Kanton).
Nächstes Jahr werde ich 60. Und ich habe - nicht zuletzt als Spontanreaktion auf die eingangs erwähnte Anfrage - einen Entschluss gefasst: Ich werde an keinen Lesetouren mehr teilnehmen, bei denen ich nicht mindestens ein ansatzweise faires Honorar bekomme. Sollte ich also ab 2021 nicht mehr auf den Listen der Veranstalter auftauchen: Man kann mich direkt buchen.