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Freitag, 28. Januar 2022

Von Gummistiefeln und Erfolg, der Neider schafft

Gestern habe ich mir die ersten Gummistiefel seit meiner Kindheit gekauft. Für mich so was wie ein Grossereignis. Und ich habe mich tatsächlich gefreut wie ein Kind. Habe ein Fotoshooting mit den Stiefeln gemacht. Den Kauf auf Insta verkündet. Die Stiefel so hingestellt, dass Herr Ehemann sie beim Nachhausekommen einfach sehen MUSSTE.

"Pink?", rief er fassungslos vom Eingangsflur ins zweite Stockwerk unterm Dach, wo ich mein Büro habe.
"Yap!", rief ich zurück.
"Mit BLUMEN???", kam es kurz danach noch lauter und fassungsloser.
"YAP", rief ich fröhlich zurück.

Dazu muss man wissen, dass ich seit mehr als 40 Jahren nicht nur keine Gummistiefel mehr besessen habe, sondern auch nichts Pinkes getragen habe. Und dass ich mir NIE Kleidung mit Blumenmuster kaufe. Ich verstand also das Unverständnis von Herrn Ehemann.

Aber es ist so: Ich habe die Stiefel spätabends online gesehen, mich Hals über Kopf in sie verliebt und beschlossen, am nächsten Tag in der Filiale im Ort nachzugucken, ob sie genau diese Stiefel haben. Hatten sie. Und ich wurde stolze und glückliche Gummistiefelfrau. Von Gummistiefeln, in der tatsächlich Platz für meine ansonsten für Gummistiefel viel zu stämmigen Bauernwaden ist (was übrigens der Grund war, warum ich nie welche für mich gekauft hatte).

Mein persönliches Grossereignis ist nicht einmal eine Fussnote im Vergleich zum Grossereignis, das dieser Tage in der Schweiz stattfindet. Da steht ein Banker vor Gericht, zusammen mit ein paar anderen finanziellen Mittel- und Schwergewichten des Schweizer Who's who der Finanzwelt. Wegen Spesenritterei, Mauschelei, Betrug. Jeder einzelne von ihnen ist empört, dass man ihn vor Gericht gezerrt hat, wo er doch nichts falsch gemacht hat. In den Augen dieser Menschen funktioniert die Welt nun mal so. Da sind moralische und ethische Kompasse längst ausser Kraft gesetzt. Da wird zur Selbstverständlichkeit, was für andere unfassbar ist. Da ist man sogar stolz darauf, auf diese Art Kohle zu machen. Und kann partout nicht nachvollziehen, warum man für so was bestraft werden sollte.

Ich bin weder entsetzt noch empört - für beides davon fehlt mir der Überraschungseffekt. Mich widern solche Menschen einfach nur an und ich mache einen grossen Bogen um sie. Heute Morgen hat der Anwalt des Hauptangeklagten dazu gesagt: "Erfolg schafft Neider." In diesem Moment ist mir tatsächlich der Begriff vom alten, weissen Mann ins Hirn geblitzt. Gleich danach der Gedanke, dass dieser Satz ziemlich kontraproduktiv gewesen sein könnte. Aber vielleicht ja auch nicht. Nicht in diesem Land, in dem ich lebe, und in dem Geld und finanzieller Erfolg so hohe Priorität haben. Hier gilt für zu viele immer noch: Du bist, was du hast (und eigentlich ist es unterm Strich egal, wie du dazu gekommen bist).

Was ich - als Gummistiefelfrau - dazu aus ganzem Herzen sagen kann: Nein, auf solche Menschen bin ich nicht neidisch. Zum Glück.

PS: Ich rechne mit einem Freispruch für die Angeklagten.