Sonntag, 6. Januar 2019

Was das Schreiben mit Modalverben zu tun hat - Der Tag an dem das Müssen das Wollen und Dürfen getötet hat

Als ich meine erste lange Geschichte schrieb - ohne zu wissen, dass daraus ein Buch werden würde - war das Schreiben ein Wollen. Ich musste mir die Zeit dafür zwischen Berufs-, Mutter- und Hausfrauenleben buchstäblich stehlen.

Aus dieser langen Geschichte ist mein erstes Buch Blackout geworden. Noch während sich der Verlag in der Vorveröffentlichungsphase befand, fragte er mich, ob ich noch weitere Ideen hätte. Und wie ich die hatte! Schreiben war ein Privileg, ein Wollen, ein Dürfen.

Weil ich ziemlich schnell zu ziemlich vielen Lesungen eingeladen wurde, konnte ich das Schreiben schon zwei Jahre nach dem Veröffentlichen meines ersten Buches zum Beruf machen. Damit wurde es zwar zum Müssen, war aber immer auch noch ein Wollen, ein Dürfen und ein Privileg.

Nach den ersten frustrierenden Erfahrungen - Coverkämpfe, wochenlange Kommunkationsflauten - wurde das Schreiben irgendwann mehr zum "Ich sollte" als zum Dürfen. Das Wollen war zwar immer noch da, aber immer häufiger auch verbunden mit einem ABER.

Schliesslich kam eine Phase, in der ich mich als Autorin in der Buchbranche fühlte wie ein Regenwurm auf dem Trockenen. Ich fragte mich, was ich falsch mache, haderte mit meinem Beruf und überlegte den Ausstieg. Gespräche mit BerufskollegInnen machten mir bewusst, dass es nicht an mir lag, sondern an der Branche, die mit jedem Jahr, das ich nun schon dabei bin, härter, orientierungsloser und zunehmend auch mutloser wurde. Ich lernte, diese Branche mit Gelassenheit und viel Galgenhumor zu ertragen. Über Dinge, über die man sich eigentlich wahlweise aufregen oder weinen sollte, habe ich (Tränen) gelacht. Jedes Mal, wenn ich dachte, ich hätte schon alles erlebt, gehört oder gesehen, wurde das irgendwo mühelos getoppt. Der Wahnsinn wurde normal, "mir egal" zu meinem (Überlebens)Motto.

Schon früh wurde mir geraten, den Verlag zu wechseln. Anfangs war ich zu loyal dazu (ich Optimistin hoffte von Jahr zu Jahr, dass es jetzt besser werden würde, verteidigte "meinen" Verlag gegenüber anderen Autoren, beschwor eine bessere Zukunft herauf - die nie kam). Später habe ich es versucht, habe mich von einem Verlag, zu dem ich wirklich wollte, entwürdigend lange hinhalten lassen und immer wieder längere Leseproben nachgeschoben. Am Ende kam das Nein. Dieses Nein hat extrem viel weniger wehgetan als die Erkenntnis, wie sehr ich mich dafür selber entwürdigt habe.

Ich schrieb weiter. Eines meiner Bücher war ein einziges "Müssen". Ich schrieb es nur fertig, weil ich einen Vertrag unterschrieben hatte. (Ich habe es erst vor einem Jahr zum ersten Mal in voller Länge gelesen - und fand es überraschenderweise tatsächlich gut.)

Als ich die Verträge für meine Serie bei "meinem" Verlag unterschrieb, tat ich das mit strafbar viel Fatalismus und ohne jeden Funken Zuversicht, dass es gut herauskommen würde. Ich liebe meine Lost Souls Serie ohne Ende, aber könnte ich zurück an den Punkt der Vertragsunterschrift, würde ich es nicht mehr tun.

Mein Kinderbuch haben meine Agentin und ich ganz bewusst nicht "meinem" Verlag angeboten. Es fand ein anderes Zuhause. Ich war vollkommen überrascht über die tolle Zusammenarbeit. Und das Coolste an der Sache: Da meldete sich doch tatsächliche das Marketing und wollte mit mir besprechen, was man für das Buch machen könnte. Ich bin vor Überraschung beinahe aus den Schuhen gekippt - weil ich das nicht kannte. Das Buch wurde dennoch kein Erfolg, es wurde (leider) nie nachgedruckt, aber ich hatte das Gefühl, der Verlag habe alles getan, was er tun konnte. Leider hat die Sache dann weniger gut geendet: Der Verlag hat vergessen mir mitzuteilen, dass er das Buch auslaufen lässt, und ich hatte keine Chance, meinen eigenen Vorrat aufzustocken. Resultat: Ich lese jetzt bei Lesungen aus dem Buch vor, aber man kann es nicht kaufen (was die Kinder ziemlich unwitzig finden und ich auch, weshalb ich es im Augenblick im Self Publishing neu herausgebe).

Aber zurück zu den Modalverben: Das Schreiben war ein einziges "Müssen" geworden. Schon beim Unterschreiben eines Vertrags grummelte das Wissen um Coverkämpfe und wenig oder keine Werbung in mir. Spätestens nach #no_way_out (weniger Werbung ging gar nicht) schob ich den Schreibprozess manchmal Tage vor mich hin, gelähmt, gefrustet und ohne einen Funken Lust. Nicht wegen meiner Protas (die liebe ich), nicht wegen der Geschichten (die habe ich mir mit Herzblut erschrieben), sondern weil ich das Ende der realen Geschichte kannte: Mein Buch würde herauskommen und niemanden würde das wirklich interessieren, nicht einmal meinen Verlag. Das ging so weit, dass ich eine eigene Theorie zum Geheimplan der Buchbranche entwickelte: Die will gar keine Bücher verkaufen.

Den Vertrag zu "Hundert Lügen" habe ich aus den falschen Gründen unterschrieben. Ich wusste, dass ich es nicht tun sollte, jede Faser in mir schrie "NEIN!". Ich habe nicht auf mein Herz gehört, sondern auf meinen Kopf, obwohl ich wusste, dass mein Kopf zwar theoretisch recht hat, aber praktisch eben nicht. Herausgekommen ist trotz allem ein Herzblutbuch. Es ist vom Verlag absolut lieblos und nach dem Motto: Schwimm allein und ohne Hilfe oder geh halt unter auf den Markt geworfen worden (wie übrigens ein Grossteil der Bücher, die die Kataloge mittlerer und grösserer Verlag füllen). Im Dezember wurde es als "vergriffen" gelistet; herausgefunden habe ich das, weil ich regelmässig nachschaue, wie es meinen Büchern geht; der Verlag fand es nicht nötig, mich zu informieren. Auf mein drängendes Nachfragen hin, hat man mir bestätigt, dass das Buch "ausgelaufen" ist, aber im Januar nachgedruckt werden sollte. Ich habe mich tierisch aufgeregt. Mittlerweile bin ich bei "mir egal" angekommen, oder zumindestens will mir das mein Kopf einreden.

Ich habe trotzdem noch einmal einen Anlauf unternommen, nach dem Motto: Es kann auch gut herauskommen. Ich habe diesen Anlauf abgebrochen und dem Verlag (ein eigentlich guter Verlag, der an mich herangetreten ist) gesagt, ich wolle nicht. Eine Anfrage eines anderen Verlags habe ich nicht einmal beantwortet: Sie kam als saloppes PS auf einer Weihnachtskarte, da fand ich, ich dürfe mir das Nichtantworten erlauben. Bei beiden Verlagen habe ich meine Entscheide leichten Herzens und ohne Bedauern gefällt. Die Luft war raus, denn:

Mir war schon kurz nach Erscheinen von Hundert Lügen klar, dass das Müssen alle anderen Modalverben getötet hatte. Ja, selbst das Wollen. Ich wollte nicht mehr.

Und trotzdem wuchs in dieser schlechtesten aller schlechten Phasen meines Autorinnenlebens dieser irre, total verrückte Gedanke vom eigenen Verlag in mir, wandelte sich von einem Gedanken zu einem Traum und dank wunderbarer Kollegen zur Realität. Ich bin seit rund drei (oder etwas mehr) Jahren Verlegerin, in der tollsten Buchband, die ich mir denken kann. Wir verlegen Bücher so, wie wir denken, dass man Bücher verlegen sollte: Mit viel Herzblut, viel Zuversicht, viel Überzeugung, viel Optimismus und viel Feuer. Wir behandeln unsere AutorInnen so, wie wir als AutorInnen gerne behandelt werden möchten. Ja, wir machen auch Fehler, nein, wir sind nicht perfekt, aber wir geben uns Mühe, lernen aus Fehlern und versuchen immer noch, besser zu werden.

Verlegerin zu sein ist ein Wollen, ein Dürfen, ein Privileg, eine Freude (und ein total verrückter Wahnsinn). Mit dem Verlegen ist auch das Schreiben wieder zu einem Wollen und Dürfen geworden. Ich komme gerade aus den Bergen zurück, wo ich zwei Tage mit einer Lust und Freude geschrieben habe, wie ich sie nur ganz am Anfang hatte, damals, als ich an meiner ersten langen Geschichte geschrieben habe.

Und so ist das heute, nachdem ich alle Brücken zu meinem Autorenleben, wie ich es kennengelernt habe, abgebrochen habe: Autorin zu sein ist für mich ein Wollen, ein Dürfen, eine Freude (und ein total verrückter Wahnsinn).

PS: Ich weiss, das klingt nach Freiheit. Ist es auch. Aber an dieser Freiheit hängt - leider - ein Preisschild. Es ist fast nicht möglich vom Schreiben zu leben, schon gar nicht, wenn man das Schreiben so lebt wie ich.

2 Kommentare:

Josia Jourdan hat gesagt…

Liebe Alice,

Unglaublich was du alles erlebt hast. Ich begleite deine Bücher seit rund 5 Jahren & hatte keine Ahnung von der Buchbranche. Ich habe nicht gewusst, dass die Möglichkeit besteht, dass ein Autor keine Motivation mehr findet ein neues Buch zu schreiben oder der Verlag neue Bücher nicht mehr rausbringen will. Ich habe mich einfach gefreut, wenn ich wieder mal ein Buch von dir gefunden habe.
An der Qualität deiner Bücher hat es nie gefehlt & das obwohl du selbst sagst, dass das Schreiben nicht immer gleich viel Spass bereitet hat. Erst bei "Hundert Lügen" habe ich mitbekommen, wie schlecht Verlage ihre Autoren behandeln können. Nicht am Inhalt, sondern weil ich von der Vorschau bisbhin zur nicht vorhandenen Wetbung sehr viel mitbekommen habe. Ich bewundere dich, dass du trotzdem weiterschreibst, dass du so viel tust & den Mut nicht aufgibst.
Das Kapitel Verlag scheint nun (vorerst) komplett abgeschlossen zu sein & auch wenn das finanziell vielleicht einiges ausmacht, glaube ich daran, dass deine Bücher einen Weg finden. Zumal du ja immer noch überhäufst wirst wit Anfragen für Lesungen ;-)
Ganz viel Bewunderung für dich & danke, dass du trotz allem so genial tolle Bücher geschrieben hast (und hoffentlich schreiben wirst!).
Bis bald,
Josia

Alice Gabathuler hat gesagt…

Oh, da kannst du drauf wetten, dass ich weiterschreibe! Ich habe jetzt nämlich wieder so richtig Lust, Spass und Freude daran. Ich freue mich auch darauf, das im Self Publishing durchzuziehen. Da weiss ich, dass das Buch NIE vergriffen sein wird, da bin ich selber für das Cover verantwortlich, und da weiss ich auch, dass ich ganz allein für PR und Marketing zuständig sein werde, d.h. nicht ganz allein ;-)