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Freitag, 28. August 2020

Schreiben ist nichts Romantisches

Die wahrhaft kreative Reise ist jene, in der wir Tag für Tag von neuem aufwachen und uns eine Menge Arbeit bevorsteht.

Das Zitat ist von Austin Kleon, einem Autor, den ich bis gestern - leider - nicht kannte. Gestern kam er aus dem Nichts in mein Leben geflogen, also nicht er, sondern ein Paket. Dieses Paket hätte ein normales, unscheinbares Paket sein können, wenn da nicht die eine Adresszeile gewesen wäre. Ich hörte sie, bevor ich sie sah, denn Herr Ehemann hatte das Paket aus dem Briefkasten gefischt und las sie mir vor, kaum stand er im Flur. 

An die allerbeste Schweizer Autorin

Wir haben beide gelacht - gleichzeitig wurde mir warm ums Herz, denn mir war klar, wer mir dieses Paket geschickt hatte.

Im Paket war ein "Päggli", wunderschön verpackt. Ich öffnete es und heraus schlüpfte ein Buch mit einem sehr schreierischen Cover und einem einigermassen bescheuerten Titel. 

Weil Jutta nichts ohne Grund tut, dachte ich mir, ich lese mal kurz rein. Das Inhaltsverzeichnis packte mich, der Prolog las sich gut, die erste Seite im ersten Kapitel zog mich rein. 

Wann immer jemand anfängt, von einer kreativen Reise zu sprechen, muss ich leider die Augen verdrehen. In meinen Ohren klingt das viel zu hochtrabend, viel zu heldenhaft. Die einzig kreative Reise, auf die ich mich je begeben habe, sind die zehn Schritte von unserer Haustür in mein Atelier in der Garage.

Ich war begeistert. Einer, der meinen Beruf nicht romantisiert! Einer, der die Realität meines Lebens mit einem Augenzwinkern auf den Punkt bringt.

Leider musste ich direkt nach dem Mittagessen weg, so schnell, dass ich sogar das Geschirr auf dem Küchentisch stehen liess. Nachdem ich wieder zu Hause war, begab ich mich zwar nicht in die Garage, aber in mein Büro und dann ins Schreibzimmer (das ehemalige Kinderzimmer von Sohnemann), natürlich erst, nachdem ich den Küchentisch abgeräumt hatte. Beim Arbeiten dachte ich immer wieder an das, was der Autor den obigen Zeilen hinzugefügt hatte: 

Dann setze ich mich an meinen Schreibtisch, starre ein weisses Blatt Papier an und denke mir: Hast du das Gleiche nicht gestern schon gemacht?

Der einzige Unterschied zu mir: Ich sass vor einem beschriebenen Blatt, das ich noch einmal überarbeiten wollte und musste. Und ich fühlte mich genau wie der Autor: Nämlich wie Phil Connors aus dem Film Und täglich grüsst das Murmeltier.

Am Abend setzte ich mich dann in eine sehr ruhige Ecke und las. Was heisst da lesen? Ich verschlang Buchstaben. Viel zu schnell. Nickte. Lachte. Nickte. Wusste schon beim Lesen, dass ich das alles noch einmal lesen muss, weil es gespickt ist mit Sätzen, die ich mir aufschreiben will.

Später, nachdem ich mich bei Jutta bedankt hatte, schrieb sie mir, dass in dem Buch eigentlich nichts Neues stehe. Das stimmt. Sie und ich reden und schreiben seit Monaten genau über das, was Austin Kleon in seinem Buch schreibt. Wir nehmen einen Tag nach dem anderen. Romantisieren unsere Arbeit nicht, wollen sie uns aber auch nicht nehmen lassen. Vielleicht tut das Buch deswegen so gut. Weil da einer ist, der die Sache mit dem Leben als Künstler/Autor nicht romantisiert, sondern sie beschreibt, wie wir sie erleben. Und der trotzdem findet, dass er einen tollen Beruf hat. Genau das finden wir auch.

Ich habe nicht das ganze Buch verschlungen. Es gab da nämlich ein paar Zeilen, an denen ich hängengeblieben bin:

Alles, was du brauchst, um aussergewöhnliche Kunst zu schaffen, findest du in deinem Alltag.

 Kleon zitiert dazu Sally Mann:

Meine Philosophie war immer schon, Kunst aus dem Alltäglichen, Normalen entstehen zu lassen ... Es ist mir nie in den Sinn gekommen, von zu Hause fortzugehen, um Kunst zu schaffen.

Mir fiel eine Begegnung ein, die vor ein paar Jahren stattgefunden hatte. Ich erinnerte mich, wie ich bei den Ostschweizer Lesungen am Eröffnungsanlass war und mich zufällig neben der für Kultur zuständigen Regierungsrätin sitzend fand. In den Pausen versuchte sie es mit Kommunikation.

Sie: „Sie sind Autorin?“
Ich: „Ja.“
Sie: „Ah … haben Sie schon einen Werkbeitrag von uns bekommen?“
Ich: „Nein.“
Sie: „Aber dann kamen Sie bestimmt schon in den Genuss unseres Aufenthaltsstipendiums in Rom.“
Ich: „Nein. Ich habe Kinder. Ich kann nicht einfach ein halbes Jahr weg.“

Darauf sagte sie nichts mehr. Ich auch nicht. Ich dachte darüber nach, wie sehr mich ein Werkbeitrag gefreut hätte, aber so einen bekamen halt fast nur Leute, die nach Berlin gezogen waren. Oder in eine andere Weltstadt. Oder zumindest teilweise im Ausland gelebt hatten. Da konnte ich Landei aus der Pampa, das seinen Erzählstoff nicht auf weiten Reisen und in spannenden Schmelztigeln fand, nicht mithalten. Ich redete mir ein, dass ich sowieso nie für ein halbes Jahr nach Rom wollte. Aber halt auch, dass ich das auch nie gekonnt hätte. Ich begann mein Leben als Autorin mit jungen Kindern. Ich klaute mir die Zeit fürs Schreiben zuammen, in Nachtstunden, die nicht zu lange dauern durften, weil ich für meine Kinder, die zur Schule mussten, am Morgen früh aufstehen musste. Dazu kam ein Brotjob. Geschrieben habe ich in gestohlenen Stunden am Abend, am Wochenende, in Ferien. Die so beiläufig hingeworfenen Fragen der Frau trafen mich tief in meiner Seele, dort, wo ich sehr verwundbar war. Natürlich konnte die Frau das nicht wissen, natürlich meinte sie es nett, natürlich wollte sie mich nicht verletzen, und eigentlich fand ich sie auch eine gute Politikerin, aber an jenem Abend standen mir die Tränen zuvorderst. (Ich bin sonst nicht so einsilbig in Gesprächen.)

An jene Begegnung habe ich gestern gedacht, und ich wünschte mir, dieses Buch hätte es damals schon gegeben. Ich glaube, ich hätte glatt Austin Kleon zitiert und dabei die Kraft aufgebracht, über Werkbeiträge zu diskutieren.

Und jetzt gehe ich arbeiten. Sprich: Ich bleibe erst einmal an meinem Bürotisch sitzen. Erledige wie jeden Tag Mails und danach schleife ich das Projekt von gestern, an dem ich endlos lange gearbeitet habe, ein letztes Mal und schicke es dann ab. Es ist ein wahrlich aussergewöhnliches Projekt, das sich mittlerweile seit mehr als drei Jahren hinzieht. Eigentlich wollte ich es im Frühsommer schmeissen, habe aber noch einmal einen Anlauf genommen. Haltet mir die Daumen. 

Danach verziehe ich mich für die weitere Arbeit in Sohnemanns ehemaliges Kinderzimmer, den ich mir - noch mehr - zu meinem Heiligen Ort machen möchte.

PS: Seid vorgewarnt Ich habe so eine Ahnung, dass ich noch öfters aus Gib nicht auf zitiere