Kürzlich war ich zu Fuss unterwegs, fand die Landschaft und das Leben schön und war mit einer tiefen Gelassenheit unterwegs. Der Rhein zeigte sich von seiner besten Seite; jemand hatte mit Steinen einen Smiley auf eine Sandbank gezaubert. Ich fotografierte, sang und hüpfte vor mich hin. Auf der Höhe der Raststätte Werdenberg verliess ich den Damm, lief über die Autobahnbrücke, blieb stehen und schaute den Autos zu, wie sie in Richtung Berge fuhren. Nach einer Weile wandte ich mich ab, liess das Treiben hinter mir und tauchte in den kleinen Wald ein, der zwischen Autobahn und Auen liegt.
Auf halber Höhe kam mir ein älterer Mann entgegen. Als er mich sah, steuerte er auf mich zu. Noch während ich überlegte, ob ich ihn kennen sollte, zog er etwas aus der Hosentasche, hielt es in die Höhe und stellte sich vor mich hin. Ich guckte genauer. Da stand etwas von Jesus und ich dachte na bravo. Freundlich sagte ich: "Der liebe Gott und ich haben's nicht so miteinander. Danke, aber kein Interesse."
Sag so was mal jemandem mit einer Mission! Weil ich mir aber für dieses Jahr vorgenommen habe, meine Bubble zu verlassen, mir andere Meinungen anzuhören, mich auf Argumente einzulassen, ging ich nicht einfach weiter, sondern hörte dem Mann zu.
Er: "Sie haben bestimmt schon gesündigt."
Ich: "Nein."
Er: "Sie lügen."
Ich: "Nein, ich lüge nicht."
Er: "Alle lügen."
Ich: "Richtig. Ich auch."
Er: "Dann sündigen Sie also doch."
Ich: "Nein. Ich bin menschlich. Ich esse manchmal zu viel, ich nutze Notlügen, wenn ich andere nicht verletzen will. Wahrscheinlich habe ich sogar gegen ganz viele Gebote verstossen, aber ich nenne das nicht sündigen, sondern das ist zutiefst menschlich."
Er: "Und wenn Sie mal sterben?"
Ich: "Bin ich tot."
Er: "Und dann?"
Ich: "Dann ist fertig."
Er: "Wollen Sie denn nicht in den Himmel?"
Ich: "Nein."
(Ich erwähnte nicht, dass im Himmel oben wohl lauter solche
selbstgerechten Typen wie er hocken und ich nur schon deshalb da nicht
hin will, auf keinen Fall.)
Er: "Aber Sie werden begraben."
Ich: "Nein, ich möchte, dass meine Asche verstreut wird."
Er: "Sie werden begraben wie eine Kartoffel."
(An dieser Stelle verzichtete ich darauf, ihn noch einmal darauf hinzuweisen, dass ich nicht begraben werde; ich hatte so eine Idee, dass meine Worte auf keinen fruchtbaren Boden fallen würden.)
Er: "Und dann spriessen Sie aus."
(Von wegen fruchtbarer Boden ... haha. Nun ja, er meinte die Kartoffel. Danach ging es dann irgendwie eine Weile lang um das jüngste Gericht und die Auferstehung)
Er: "Wer seine Sünden gegenüber Gott eingesteht, dem wird vergeben."
Ich: "Aha. Also kann ich als Priester, der Jugendliche sexuell missbraucht, einfach mal schnell um Vergebung bitten?"
Er: "Sünde ist Sünde. Der Herr kann vergeben."
Ich: "Lügen und einen Jugendlichen vergewaltigen ist also dasselbe?"
Er: "Es sind beides Sünden."
Ich: "Gleichwertig?"
Er: "Es sind beides Sünden."
An dieser Stelle hatte ich dann genug. Ich sagte ihm, dass er seinen Gott behalten könne.
Okay, ich sagte es nicht ganz so diplomatisch ... Auf jeden Fall liess er mich stehen und verzog sich. Ich hatte kein Mitleid, denn er hätte es nach meinem freundlichen Danke, kein Interesse ja bleiben lassen und mit mir übers Wetter oder den Frühling reden können.
Ich brauchte die ganze Strecke durch die Auen, bis ich mich gefangen hatte. Aus meiner Bubble raus will ich immer noch, war ich auch mehrere Male und es war total spannend. Aber es gibt Grenzen.
Mehr von meinen Ausflügen aus meiner Bubble raus dann - vielleicht - nächste Woche. Hätte schon diese Woche mein Thema sein sollen. Aber nach verschiedenen Anläufen merkte ich, dass ich noch nicht bereit für diesen Post bin.