Freitag, 28. März 2025

Walking Writer

Der März war ein anstrengender Monat. Viel Arbeit für den da bux Verlag, 11 Lesungen, ein Workshop, Enkelhütetage und anderes mehr. Vor allem musste ich diesen Monat oft um 4.45 Uhr aufstehen. Die Erschöpfung hat sich am Dienstag schon angekündigt, am Mittwoch begann der Husten, am Donnerstag fuhr ich zu den letzten zwei Lesungen des Monats, und auf dem Heimweg habe ich dann nur noch versucht, nicht schon im Zug auseinanderzufallen. Das habe ich zu Hause getan :-).

Heute geht es mir noch nicht gut, aber schon viel besser. Ich bin in diesem Zustand, wo man dünnhäutiger ist, wo die Gefühle intensiv sind und wo man so wahnsinnig gelassen und vor allem sehr klar erkennt, was man will und was nicht. 

Ich will in Zukunft wieder mehr Walking Writer sein - das ist meine Bezeichnung, die ich mir in den Social Media gegeben habe. Wandern, der Natur nahe sein, schreiben, an kreativen Projekten werkeln. Das alles soll wieder mehr Raum haben in meinem Leben.

Was im März dazukam: Der Wahnsinn in den USA. Es ist schwer, die richtigen Worte dafür zu finden, aber ich versuche es mal. Dieser Wahnsinn erdet mich. Und gleichzeitig schält er Unwichtiges weg, schärft mein Empfinden für das, was wirklich zählt, noch mehr. Kondensiert auf ein Wort ist das: Liebe. Dabei will ich bis in meinen innersten Kern ich sein und bleiben, mit all den Werten, die mir wichtig sind. Und ich weiss, dass ich damit nicht allein bin. Darauf gründet meine Hoffnung.

Wieder einmal fühlt sich alles nach Auf- oder vielleicht besser Umbruch an. Heute noch inteniver als sonst. Ich werde auf mich hören. Und berichten.

Montag, 24. März 2025

Wunderbar verrückte Dinge

Meine Tage und Wochen sind voll. Voll mit Liebe, voll mit Terminen, voll mit wunderbaren Begegnungen bei Lesungen, voller erfüllter Stunden im Garten, voll mit Spaziergängen im erwachenden Frühling - und voller unglaublich verrückter Dinge.

Zu den verrückten Dingen gehört die doppelte Nomination zum bookstar.ch. Einmal als Autorin mit Mittelstreifenblues, einmal als da bux Verlegerin mit Allein am Mic von Petra und Jonny Ivanov. Und: srf Kultur hat Die Mutprobe auf die Liste der spannendsten Schweizer Krimis aller Zeiten gesetzt.

Ich habe keine Ahnung, wie oft ich euch in den letzten Jahren hier im Blog erzählt habe, wie wichtig die Anerkennung und Würdigung der Arbeit für mich ist. Und jetzt werde ich irgendwie gleichzeitig von allen Seiten her damit eingedeckt. Das ist so schön, so erfüllend, so ... na ja, verrückt halt.

Freitag, 14. März 2025

Wie ich meine Buchtitel (nicht) finde


"Suchen/haben/finden Sie zuerst den Titel und schreiben dann das Buch?"

Bei dieser Frage muss ich jeweils wahlweise lachen, verzweifelt die Haare raufen oder weinen, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt meines Schreibprozesses sie mir gestellt wird.

Die nackte Wahrheit ist, dass es fast keine Bücher von mir gäbe, wenn ich zuerst einen Titel haben müsste. Wenn ich mit dem Schreiben beginne, bin ich umgeben von wunderbaren Buchfiguren, die ich mir über Wochen, Monate und manchmal Jahre ausgedacht habe. Ich kenne mein Setting, ich kenne den Grundplot, ich habe mir einen roten Erzählfaden gesponnen, ich kenne das Ziel, ich kenne die Erzählperspektive ... aber ich habe meistens nicht die blasseste Ahnung, wie das Buch heissen wird. 

Meine Buchdatein speichere ich deshalb unter den seltsamsten Dateinamen. Beispiele:

Nick - Blackout
Crazy Story - #no_way_out
Songs for Elia - Mittelstreifenblues
Young Carers - Marla rockt
Die Gerechten - Mordsangst
Dragon - Hundert Lügen

Es gibt ein paar wenige Bücher, bei denen wusste ich von Anfang an, wie sie heissen sollten, aber sie sind in der Minderheit. Dead.end.com oder Blue Blue Eyes zum Beispiel. Oder ein paar, bei denen mir tatsächlich während des Schreibens ein Titel eingefallen ist, den ich gut finde. Matchbox Boy ist so einer.

Aber so ganz generell schiebe ich die Titelsuche vor mir her, immer in der Hoffnung, dass mich ein Gedankenblitz trifft, der mir den einzigartig-genialen und vollkommen passenden Titel in den Kopf brennt. Entweder stehe ich permanent am falschen Ort und werde deshalb nicht getroffen - oder die Gedankenblitze mögen mich nicht. Ich habe auch jede Menge Titeldenkkappen, aber die taugen höchstens dazu, mich leicht dämlich aussehen zu lassen.

Im Moment suche ich mal wieder. Ich laufe durch die Gegend und hoffe auf eimerweise Inspiration, entsprungen in der Stille und Ruhe der Natur (vergeblich). Ich schnappe mir ein Notizbuch und notiere sehr strukturiert Schlüsselwörter, aus denen dann etwas entstehen sollte (grad auch vergeblich). 

Falls ihr also irgendwo auf euren Wegen der Titelmuse begegnet, schickt sie bitte zu mir. Sie kann alles von mir haben, wenn sie mir einen guten Titel liefert, notfalls auch meinen Schokoladevorrat.

PS: Ratet mir nicht zur KI. Sogar das habe ich versucht. Die Resultate waren jämmerlicher als alles, was mir eingefallen ist. Und das will was heissen.

Ich bleibe dran. Versprochen.

Freitag, 7. März 2025

Neuland

Ich habe meinen Weg gefunden, mit den aktuellen Ereignissen umzugehen: Ich habe einige unabhängige YouTube- und Insta-Kanäle abonniert und halte mich über den inneren Widerstand in den USA auf dem Laufenden. Das macht mir Mut, zeigt mir, dass nicht alle kapituliert haben. Ich erfahre so von unbeugsamen Menschen und engagierten Bewegungen. Oft sind die Posts ernst und voller grässlicher Fakten, aber im ganzen Wahnsinn finde ich auch irrwitzig-lustige Beiträge, bei denen man herzlich lachen kann. 

Auf Insta habe ich ein Reel gefunden, in dem eine Geschichtsprofessorin erzählt, wie wir Gegensteuer geben können: Mit starken Gemeinschaften. Sie weist darauf hin, wie hasserfüllt viele Anhänger autoritärer Bewegungen und Parteien sind, wie verärgert und wütend sie reagieren. Und dass diese Bewegungen ihren Antrieb in Hoffnunglosigkeit und Zorn finden. Diese Frau meinte, das erste und wichtigste Glied des Widerstands seien deshalb Freude und Liebe. Also ein starkes, überzeugtes "für etwas" und nicht ein "gegen etwas." Daran halte ich mich. Jeden Tag. Ich bin dankbar für meine Lieben, für gute Menschen um mich herum. Ich werde geliebt und ich liebe. Menschen, die Natur, das Leben. Ich will ihnen mit Respekt begegnen. Und: Ich will leben, lachen, teilnehmen und nicht verzweifeln (das können wir immer noch, wenn es ganz schlimm kommt).

Wobei meine Zu- und Hinwendung zu anderen Menschen Grenzen hat. Die habe ich für mich klar definiert. Und genauso klar ist, dass ich jenseits dieser Grenze nicht hasse. Ich erlaube mir einfach, dort auf Distanz zu gehen, auch mal jemandem, den ich eigentlich mag, zu entfolgen, weil ich mir gewisse Posts und Aussagen nicht antun will.  

Es bleiben Fragen. Es bleiben Zwiespälte. Es bleiben Ängste. Die gehören dazu. Es kommt mir gerade vor, als taste ich mich in Neuland vor.

Was ganz wichtig ist: Wir müssen uns bewusst sein, dass wir 2025 Geschichte schreiben. Nicht nur in den USA. Weltweit. Irgendwann werden uns unsere Nachkommen fragen, was wir in diesem und den folgenden Jahren getan haben. Dann will ich ihnen ins Gesicht sehen können, wenn ich antworte. 

Zum Abschluss ein Zitat, das mich gleichzeitig zum Lachen gebracht und mir Hoffnung gegeben hat:

Would you maybe like to meet up somewhere in den woods and just scream?
We could go for coffee after. 

Samstag, 1. März 2025

Haltung zeigen


Mein Vorsatz für 2025: Jeden Freitag einen Blogpost veröffentlichen. Ich hatte den Post für gestern auch schon fast fertig. Es ging darum, was jeder und jede Einzelne von uns tun kann in Zeiten wie diesen. Und dann kam die Pressekonferenz im Weissen Haus gestern. Diese absolute Ungeheuerlichkeit, welche die unsagbare Monstrosität von Trump und Co gegenüber Selenski und der Ukraine offengelegt hat. Das ging von der Frage darüber, warum er keinen Anzug trage (WTF???) bis hin zur arroganten, giftigen Massergelung eines Politikers, dessen Land vor drei Jahren von Russland überfallen wurde. 

Während völlig durchgeknallte amerikanische Politiker gestern die ganze Weltordnung definitiv über den Haufen geworfen haben, hütete ich meinen Enkel. Auf dem Weg nach Hause war mir klar, dass ich mehr denn je für unsere Zukunft einstehen will und muss, mit den Möglichkeiten, die ich habe. Für uns, für unsere Kinder, für unsere Enkel. 

Ich will den Blogpost von gestern immer noch fertig schreiben, jedoch radikaler und kompromissloser als gestern, aber da sind so viele Gedanken und Gefühle, die ich erst ordnen muss. Das geht hin bis zur Überlegung, ob ich nicht doch wieder einen zweiten Blog brauche, einen der sich mit gesellschaftlichen und politischen Fragen auseinandersetzt. Oder ob ich es machen soll/will wie Parkrose Permaculture, der Kanal einer Frau, die einen (erfolgreichen) Youtube-Kanal über Permakultur gegründet hat und angesichts der Lage seit längerer Zeit hauptsächlich politische Gedanken veröffentlicht (Für die TikToker unter euch: dort ist sie auch). Ihre Begründung und logische Folgerung: Permakultur ist auf eine Weise auch Politik, weil sie eine Lebenseinstellung voraussetzt, und in Zeiten wie diesen kann man nicht schweigen. Das gilt auch für das Schreiben, weshalb ich im Moment eher dazu tendiere, meine Ansichten in diesem Blog zu veröffentlichen. Schliesslich trägt er den Titel Kreuz und Quer, da darf, ja muss, es für alles Platz haben.

Für heute gebe ich euch erst einmal ein Zitat mit auf den Weg, das ich gestern auf Insta gesehen habe.

"Shine your love so bright that hatred leaves every room you walk into." (Stacie Martin) 

Was ich euch NICHT auf den Weg mitgeben will: Dieses blöde Dingens mit dem Hinhalten der zweiten Wange. Dazu ist jetzt nicht die Zeit. Jetzt ist die Zeit für Widerstand. Das kann von still und leise bis zu laut und kompromisslos sein. Mehr dazu nächsten Freitag. Ich muss mich echt zuerst sortieren. Tragt euch Sorge. Werdet nicht bitter. Liebt. Von ganzem Herzen. Pflanzt Blumen oder auch Bäume. Für die Zukunft. Vor allem: Zeigt Haltung. Und wenn das (noch) zu schwierig ist: Bewahrt euch wortlos eure Haltung. 

Freitag, 21. Februar 2025

Das kleine Herz


Ich wollte über Wörter schreiben im heutigen Post. Über den Golf von Mexiko und die Liste mit unerwünschten Wörtern, die in den USA zirkuliert. Aber das schaffte ich nicht. Zu monströs ist die Vorstellung, dass einer allein einfach so an der Sprache drehen kann, dass er wichtige Begriffe einfach löschen kann und dabei seine Lügen zur Wahrheit umdreht.

Eine Weile lang dachte ich über pure Bosheit und absolute Empathielosigkeit nach. Was mir durch den Kopf ging, war nicht druckreif, auch nicht online-reif. Der Cursor blieb  oben links im leeren Nichts stecken. Weil ich nicht über Bosheit und Empathielosgkeit schreiben wollte. Und weil ich das mit den Wörtern nicht auf die Reihe bekam (ich hab's versucht, echt, der Text ist als Entwurf gespeichert, aber er ist nicht gut und er ist nicht fertig).

Okay, dachte ich, für irgendwas hast du ja eine Notfallthemenliste für den Blog. Aber die Themen wirkten klein und unbedeutsam angesichts dessen, was gerade läuft.

Also starrte ich ziemlich lange einfach nur auf den Cursor im weissen Nichts und entschied dann, mir erst einmal eine Tasse Kaffee zu holen (DAS Allzweckmittel bei Hirnstau und Frust). Als ich zurückkam, war es nicht nur dem Cursor, sondern auch dem Rechner zu langweilig geworden. Er zeigte mir wenigstens nicht den Mittelfinger, sondern einen der Leuchttürme, an denen wir letzten Sommer - und gefühlt in einem anderen Leben - auf unseren Küstenwanderungen in Nordspanien vorbeigekommen sind. Ein Bild, aufgenommen im Hochformat, vom Rechner total seltsam ins Querformat übertragen. Und da sah ich es zum ersten Mal, das kleine Herz auf dem Leuchtturm. Oder etwa doch nicht? Hatte ich damals genau deswegen den Leuchtturm fotografiert? Ich kann mich nicht erinnern.

Es ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass da ein Herz auf dem Leuchtturm ist. Denn über Herzen kann man nicht oft genug sprechen und schreiben. Das Herz steht für die Liebe. Für Kraft. Für Hoffnung. Für Zuversicht. Für Mut (auch wenn er noch so ängstlich ist). Möge das Herz vom Turm leuchten bis übers Meer hinaus, bis zu uns, bis nach Amerika, überall hin. 

Tragt euch und euren Herzen Sorge.

Freitag, 14. Februar 2025

Von Absagen und Abzockern


Ab und zu erhalte ich Anfragen von Jugendlichen, die an einem Buchprojekt arbeiten. Sie bitten mich um ein kurzes Interview, schriftlich oder - seit einer Weile - per Zoom. Wenn sie früh genug anfragen, findet sich immer ein Zeitfenster. Ich gebe gerne Auskunft und freue mich jedes Mal über den Austausch.

Manchmal jedoch muss ich Antworten geben, die nur schwer einzustecken sind. Zwei Beispiele aus jüngster Zeit

Beispiel 1: Eine Anfage, auf die ich passen musste

Die Mail war kurz und auf den Punkt. Ob ich ein paar Fragen für eine Projektarbeit rund ums Buch beantworten könne. Au ja, dachte ich und öffnete die angehängte Datei. Die Frageliste war endlose drei Seiten lang. Es ging um Arbeitsprozesse rund um das Schreiben, die Buchproduktion, Verlage und das Self Publishing. Also eigentlich um alles. 

Ich war überfordert. Inhaltlich und zeitlich. Hätte ich die Fragen auch nur einigermassen ernsthaft beantworten wollen, wäre dabei ein kleiner Schreibratgeber mit persönlicher Erfahrung geworden. Einen Moment lang habe ich mir überlegt, die Fragen als Podcast zu beantworten. Aber ich realisierte schnell, dass ich diesen Podcast in eine ganze Serie hätte ausweiten müssen. Kurz: Für mich war diese Anfrage eine Mission Impossible. Ich konnte nicht anders, als auf die Mail mit einer Absage zu antworten.

Beispiel 2: Verlagssuche

Jemand hatte das eigene Buchprojekt fertig und wollten damit auf Verlagssuche. Die Frage an mich: "Wie mache ich das am besten?" Weil das Thema Verlagssuche ein ziemlich endloses ist, habe ich kurz die wichtigsten Punkte erklärt und ansonsten einmal mehr auf Andreas Eschbach verwiesen, der zu allen Fragen rund ums Schreiben, die Verlagssuche und das Selfpublishing auf seiner Webseite sehr brauchbare Tipps gibt.

Kurze Zeit später bekam ich eine Antwort. Zwei Verlage hätten sich schon gemeldet. Bei mir klingelten sämtliche Alarmglocken. Ich schaute mir die Sache an und warnte. Verwies auf eine Webseite, auf der aufgeführt ist, was ein seriöser Verlag ist und was nicht. Derweilen machte einer der beiden Verlage ein Angebot: Mit 13'000 Franken sei man in diesem Fall dabei. Dreizehntausend Franken. Da werden Träume von Menschen gnadenlos ausgenutzt. Das ist nicht nur Abzocke, das ist Oberabzocke vom Allerfiesesten, bei der man den allergrössten Teil seines Geldes verliert. Ich habe sehr heftig abgeraten. 

Ganz wichtig: Seriöse Verlage nehmen kein Geld! Sie bezahlen das Lektorat, das Cover, das Korrektorat, das Marketing usw. aus eigener Tasche und bezahlen dem Autor / der Autorin Tantiemen. Anders ist es im Self Publishing. Aber dort entscheidet man selber, wie viel Geld man für diese einzelnen Kostenpunkte, für die ansonsten der Verlag aufkommt, auszugeben bereit ist. Generell gilt: Der Weg zum veröffentlichten Buch ist kein einfacher und noch immer lauern unseriöse Verlage jenen auf, die sich zu wenig auskennen und denken, es sei normal, dass man für ein Buch bezahlen müsse.

Was ich aus diesen zwei Anfragen mitnehme: Es ist Zeit, meinen YouTube Kanal wieder aktiver zu gestalten und / oder einen Podcast zu starten, um dort auf ausführlich auf die verschiedensten Askepte und Fragen rund um das Schreiben einzugehen. Damit ich bei zukünftigen Anfragen darauf verweisen kann.  

Freitag, 7. Februar 2025

Wie man zu vertraulichen Informationen kommt


Ganz einfach: Fahrt mit der Bahn. Ohne Kopfhörer.

Persönliche Dramen, vertrauliche Firmeninterna, Kundennummern, Telefonnummern, in all das werdet ihr eingeweiht. Und nein, ihr müsst dazu nicht einmal die Ohren spitzen. Diese Informationen werden durch den ganzen Wagon posaunt, in dem ihr gerade sitzt, denn aus irgendwelchen mir unbekannten Gründen reden Menschen beim Bahnfahren unglaublich laut in ihre Handys.

Kürzlich erfuhr ich auf diese Weise die Mailadresse einer Firma, ihren Provider, ihre Kundennummer und die Handynummer des Anrufers. Weil ich gerade Notizen zu einer meiner geplanten Geschichten machte, hätte ich alles locker mitschreiben können. Habe ich natürlich nicht. 

Oder dann war da dieser Mann in ungefähr meinem Alter, der zwischen Sargans und Thalwil an verbalem Durchfall litt. Ich wusste nach kurzer Zeit, für wen er arbeitet, bei welcher Partei er ist, dass er einen Vorstandsposten sucht oder sonst etwas, wo er seine Erfahrung einbringen kann. Er beendete ein sehr privates Gespräch über seine kranke Mutter im Spital und einem kleinen Familientreffen mit einem "tschau, herzallerliebschts Käthi", redete mit dem Telefonbeantworter von jemandem, der wahrscheinlich an der Nummer erkannte, wer anrief und sich lieber nicht meldete. Was ich verstehen würde, denn der Mann beklagte sich darüber, dass ihn die angerufene Person nie zurückrufe. Als nächstes rief er seine Versicherung/Krankenkasse an, erklärte, dass er ihren Anruf leider verpasst habe und fragte, was so dringend sei, ob er einen Wettbewerb gewonnen hätte. Hat er nicht, was ihn sehr enttäuscht, aber leider nicht zum Schweigen gebracht hat, denn er wählte schon die nächste Nummer und rief er jemandem an, dem er verriet, er gehe nach dem Spitalbesuch noch seinen Weinhändler besuchen. Der Mann redete immer noch, als wir in Thalwil ausstiegen, er redete auf dem Perron weiter und ich suchte - genau - das Weite, denn er wartete auf den gleichen Anschlusszug wie ich. Ich fürchte, der gute Mann redet immer noch.

Ich habe endlos viele Telefonate wie diese gehört. Manchmal denke ich, wenn ich jemanden ausspionieren müsste, würde ich ihm einfach folgen und warten, bis er in einen Zug einsteigt. Danach hätte ich wahrscheinlich meine Informationen plus noch vieles mehr, das ich gar nicht wissen wollte.

Stoff für Bücher gäbe es allemal. So als Hobby habe ich mir jetzt Psychoanalysen angewöhnt. Der herzallerliebscht-Verbaldurchfall zum Beispiel ist ein ziemlicher Loser, der sich für einen allseits beliebten Gutmenschen hält. War das jetzt zu hart? Dann verzeiht. Menschen beim Telefonieren zuhören zu müssen, kann zur Qual ausarten. Da wünsche ich mir gelegentlich eine Voodoo-Puppe. Oder Noise-Cancelling-Kopfhörer.

Die wollte ich mir zu Weihnachten kaufen, also die Kopfhörer, nicht die Voodoo-Puppe. Hab's versemmelt. Ich muss das so schnell wie möglich nachholen. Und solange ich noch keine habe, überlege ich mir, beim nächsten Mal zu der telefonierenden Person hinzusitzen und ganz interessiert zu gucken. Oder alternativ dazu Kochrezepte in mein Handy zu brüllen. Oder die Zahl Pi runterzurattern, bis hin zur tausendsten Stelle nach dem Komma.

Vielleicht müsste ich auch einfach erste Klasse fahren. Dort sind die Firmeninterna wahrscheinlich noch delikater. Wäre ich eine Erpresserin aus einem meiner Bücher, würde ich .... ah ... ich glaube, ich habe gerade eine Ausgangslage für einen neuen Krimi gefunden.

Wenn ihr noch spannenden Gesprächsstoff für die nächste Party sucht oder ein Buch schreiben wollt oder Psychologie studiert und Fallbeispiele benötigt oder euch einfach amüsieren und/oder quälen wollt: Fahrt Bahn. Nirgendwo kommt ihr zu intimeren und persönlicheren Informationen als dort.

Freitag, 31. Januar 2025

Zwei Franken zwanzig


In den Bergen war Schnee gefallen. Die Webcam zeigte eine Traumlandschaft in Weiss. Ich entschied spontan, in den Winter zu fahren. Eine Tasche voller Lebensmittel, eine Tasche mit meinem Büro. Laptop und Handy dabei, sämtliche wichtigen Kabel eingepackt. Alles parat. Es konnte losgehen. Ich fuhr Richtung Berge. Mit jedem zurückgelegten Kilometer ging es mir besser. Bis mir kurz vor Flims einfiel, dass ich meinen Geldbeutel vergessen hatte. Keine Bankkarte, kein Twint, der Notgroschen in der Handyhülle weg (weil auch kürzlich schon ohne Geld unterwegs). Na gut, dachte ich. Du hast Futter dabei und im Haus in den Bergen hat es immer Schokolade und Kekse. 

Wenn ich jeweils nach Flims aus dem Tunnel fahre liegt die Surselva vor mir, eine Landschaft, die mich an Kanadas Weite erinnert. Ich fühle mich bei diesem Anblick jedes Mal frei und habe das Gefühl, direkt in ein Abenteuer zu fahren. Diesmal noch mehr als sonst, denn ich war ohne Geld unterwegs. Ich drehte die Musik auf, sang laut mit und lenkte den Wagen tiefer in die Surselva hinein.

Irgendwann bog ich von der Hauptstrasse ab und mit jedem Höhenmeter nahm auch die Schneehöhe zu. Die Einfahrt zum Haus war zugeschneit. Ich parkte den Wagen beim Schreiner etwas weiter unten im Dorf und ging zu Fuss zum Haus. Check: keine Schokolade, keine Kekse. In der Schublade, wo manchmal ein Notgroschen liegt, lag eine ganze Menge, aber kein Notgroschen. Dafür fand ich in meiner Jackentasche einen Zweifränkler und ein Zwanzigerräppler. Ich war also nicht komplett blank.

Erst einmal schaufelte ich die Einfahrt frei, holte das Auto, trug Futter und Bürotasche ins Haus, verräumte die Sachen und machte es mir gemütlich. Auf dem Stubentisch lagen die beiden Geldstücke. Ich lachte. Weil ich mich wieder fühlte wie damals als Kind, als ich mit meinem bisschen Taschengeld im Laden stand und mir überlegte, was man mit zwanzig Rappen kaufen kann (ein Zweifränkler wäre damals für mich ein unermesslicher Reichtum gewesen).

Der Entscheid fiel am nächsten Morgen, es war ein strategischer Vernunftsentscheid: Milch. Keine Kekse, keine Schokolade. Nein - Milch. Die war nämlich knapp, weil ich nur wenig von zuhause mitgenommen hatte, denn ich wollte ja in den Bergen noch einkaufen gehen (öhmmm ...) Milch, weil ich mit Milch meine tägliche Portion Porridge zubereite; Milch kann ich auch ins Müesli geben, das fast so gut schmeckt wie Kekse. Und mit Milch und Kakaopulver kann man eine heisse Schokolade machen.

Also lief ich los. Richtung nächstes Dorf, zum Dorfladen. Mit meinem Geldschatz in der Jackentasche. Die zwei Franken zwanzig, die ich nach einem Einkauf vor ein paar Tagen locker als ein bisschen unnützes Restmünz in die Tasche gesteckt hatte, kamen wir vor wie ein kleines Vermögen. Ich fotografierte die Münzen im Schnee, drehte sie in den Händen, steckte sie in die Tasche und griff immer wieder danach.

Die Milch kostete CHF 1.95. Ich überlegte kurz, nur einen halben Liter zu kaufen und mit dem Rest ein Brötchen, aber der halbe Liter kostete CHF 1.20 und ein Brötchen im Minimum CHF 1.20. Sprich, beides zusammen überstieg meine finanziellen Möglichkeiten. Also kaufte ich den ganzen Liter. Mir blieben fünfundzwanzig Rappen. Das Bezahlen war Freude pur. Ich habe selten so gerne eingekauft und hatte selten so viel Spass dabei.

PS: Was für mich ein Spiel gewesen ist, ist für andere bitterer Ernst, Tag für Tag. Das Überlegen, was man mit seinem letzten bisschen Geld noch macht, wenn es nicht für alles reicht und man keine Vorräte hat, auf die man zurückgreifen kann. Wenn man verzweifelt überlegt, wie man über die Runden kommen soll. Und weiss, dass es theoretisch gar nicht möglich ist, praktisch aber doch irgendwie jeden Monat geht. Es sollte nicht einfach "irgendwie doch noch gehen". Und darum müssen wir unseren Sozialeinrichtungen Sorge tragen. Was passiert, wenn man sie wegsparen will, kann man grad in den USA beobachten. 

Freitag, 24. Januar 2025

Der Kettensägenmann

Der Kettensägenmann. Als Titel für einen Thriller etwas zu reisserisch, aber perfekt für einen Horrorfilm. Wir würden uns gruseln, die Zaghaften unter uns wahrscheinlich beim Showdown die Augen schliessen und danach denken: Na ja, ziemlicher Schrott. Aber nur ein Film.

Der Kettensägenmann. Es gibt ihn. Er hat einen Namen, blaue Augen, hasst queere Menschen, findet Frauen gerade gut genug, um dem Mann zu dienen, zu kochen und Kinder zu gebären und auch sonst hat er für die meisten Menschen nur Verachtung übrig. Er liebt die Macht und das Geld und er ist Präsident eines Landes in Südamerika.

Der Kettensägenmann. Der Mann ist zu Gast in der Schweiz. Konkret in Davos. Am WEF. Wo man so tut, als wolle man die Welt retten, aber in erster Linie dem Geld und der Macht huldigt. Und jenen, die vorzugsweise beides haben. In Davos sind sie unter sich und ihresgleichen. Gut, es gibt Ausnahmen. Mit irgendwas resp. mit ein paar eingeladenen Menschen aus dem Fussvolk muss man zumindest noch so tun, als ginge es nicht nur ums Geld und die Macht. 

Der Kettensägenmann. Dem ist das Fussvolk lästig. Zu faul, zu arbeitsscheu, zu gierig. Aber das lässt sich ändern. Zum Beispiel mit einer Kettensäge. Mit der mäht der Kettensägenmann sein Land und sein Volk um, macht es wirtschaftstauglich, also so, dass das mit der Kohle wieder stimmt. Zu welchem Preis, das fragt niemand, sind ja nur menschliche Werte, die er da niedermäht, also nichts, woraus sich Geld machen lässt. Es ist das Resultat, das zählt.

Der Kettensägenmann. Er ist nicht nur nach Davos eingeladen worden, er durfte auch eine Rede halten. Also hat er geredet. Na ja, falls man das Hinausschleudern von Hass als reden bezeichnen kann. Ganz ehrlich: Hätte man erwarten müssen, wenn man so einen einlädt. So weit, so normal. Und dann: Unsere Wirtschaftsführer und Politiker hören zu. Applaudieren. Okay, zum Teil verhalten und zum Teil gar nicht. Aber die Wörter sind raus. Gehen um die Welt. Ich frage mich, ob unsere Wirtschafts- und Politiktiere danach ihr Rückgrat gesucht haben. Ob sie beim nächsten Gang zur Toilette den Blick in den Spiegel vermieden haben. 

Film aus. Abspann. Kurze Pause. Und dann - wie bei fast allen schlechten Filmen - gibt es einen Teil zwei. Der Kettensägenmann II. Der war nicht körperlich da, sondern wurde live dazu geschaltet. Und weil er nie die II sein kann, ist er der beste Präsident ever. Ever ever. Ever ever ever. Plus wunderful und sonst noch alles an Superlative.

Der Kettensägenmann II aka bester Präsident ever ever ever kam gerade von der Arbeit. Musste 1600 Leute begnadigen, die mit seiner Billigung das Kapitol gestürmt haben - und sonst noch ein paar Dinge wie Gelder für die Armen streichen, das mit der Geschlechterfrage ein für allemal klären, den Golf von Mexiko und einen Berg umbennen, sich dazwischen überlegen, wie der seine Massendeportationen durchführen will und ein bisschen Prozentrechnen für seien Tarife anstellen. Aber natürlich nahm er sich Zeit für die Reichen und Mächtigen in Davos. Alle etwas weniger reich und mächtig als er und seine coolen Tech-Bros, aber hey, was für eine Chance, den Europäern mal so ordentlich die Kappe zu waschen und dabei gleich auch noch ein paar andere Dinge klarzustellen.

Der Kettensägenmann II aka bester Präsident ever ever ever redete also. So, wie er halt immer redet. Und die Wirtschafts- und Politiktiere hörten zu. Applaudierten. Ein Rückgrat, das man nicht mehr hat, kann ja auch nicht mehr wehtun. Und der Blick in den Spiegel? Nun, vielleicht war da Stolz drin, weil man dazugehört. Oder Angst, weil man Angst hat, nicht dazuzugehören, wenn man nicht mitmacht.

So Leute, und jetzt zu uns. Wir haben verdammt noch mal ein Rückgrat. Ja, es ist schwierig, gegen eine geballte Ladung Macht und noch viel mehr Reichtum anzukommen. Aber es gibt schon ein paar Dinge, die wir tun können: Nicht in Gleichgültigkeit verfallen. Aufmerksam und empathisch bleiben. Werte leben. Dort, wo wir die Chance haben, unsere Stimme erheben, dort, wo es zu viel wird, NEIN, zu sagen. In der Schweiz können wir abstimmen (ich habe gerade die Neuauflage der Konzernverantwortungsinitiative unterschrieben). Wir können Politiker und Politikerinnen wählen, die für Werte einstehen, die uns wichtig sind. Wir können uns mit Gleichgesinnten zusammentun, ohne Andersdenkende mit Hass einzudecken. Wir können unseren Kindern und Enkeln vorleben, dass Geld nicht alles ist. Wir können dem Hass die Liebe entgegensetzen. Unser Ziel muss es sein, nicht Argentinien zu werden und schon gar nicht die USA. Noch sind wir nicht so weit. 

Davos liegt in der Schweiz. Ich weigere mich, daran zu glauben, dass die Schweiz Davos ist. Wir können das besser und menschlicher.

Freitag, 17. Januar 2025

Kannst du davon leben?


Stell dir vor, du bist an einem Fest oder irgendeinem offiziellen Anlass, jemand fragt, was du beruflich machst, du sagst "Krankenschwester/Lehrerin/Polizistin/Architektin/Zahnärztin/Schreinerin/an dieser Stelle dein Beruf" und dein Gegenüber hakt nach und fragt dich: "Kannst du davon leben?" 

Blödes Stell-dir-vor-Beispiel, denkst du, so was fragt doch niemand.

Doch.

Wenn du Autorin bist. Oder Musikerin. Oder Bildhauerin. Oder Tänzerin. Dann kommt diese Frage meistens gleich nach der Frage nach dem Beruf.

Kürzlich hat mir das die Mutter einer jungen Frau erzählt, die einen tollen Beruf in der Kulturbranche hat. Einen, für den man sehr hart arbeiten muss, einen, für den man sehr viel können muss, einen, den nur sehr wenige Menschen ausüben und in dem man sehr lange bestehen und sich beweisen muss, bis man wirklich genug Geld damit verdient. Diese Mutter sagte zu mir: "Meine Tochter trifft das. Die Frage tut ihr weh. Passiert dir das auch?"

Yap, das passiert mir auch. Die Frage kommt fast immer, sobald ich sage, was ich arbeite. Wenn sie im Laufe eines längeren Gesprächs gestellt wird, geht es ja noch. Wenn sie ganz am Anfang kommt, ist das unhöflich, unanständig und übergriffig wie die Hölle. Es würde mir umgekehrt ja nie einfallen, meinem Gegenüber diese Frage zu stellen.

Natürlich können die wenigsten von uns Autor:innen, Musiker:innen, Bildhauer:innen usw. vom Beruf alleine leben. Das ist nicht unser Fehler, das liegt in der Natur der Sache. Wir wissen das auch und die meisten von uns beschweren sich nicht darüber, sondern suchen sich einen Brotjob, schlagen sich durch und kommen irgendwie klar. Das wissen auch die, die uns die Frage stellen. Also: Warum stellen sie sie dann? Um Salz in unsere Wunden zu streuen? Um uns zu zeigen, wie nutz- und brotlos unser Job ist? Um danach herumerzählen zu können, dass auch die xy nicht von ihrem Beruf Autorin leben kann? Um sich bestätigt zu fühlen?

Oder ist es Interesse an meinem Beruf? Das nehme ich nur jenen ab, die nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und mir die Frage nicht am Anfang stellen. Interesse wäre zu fragen: Was schreibst du? Warum? Was gefällt dir am Schreiben? Arbeitest du an einem Buch? Wann kommt es raus? Was ist das Schöne an deinem Beruf? Was ist das Schwierige an deinem Beruf?

Wahrscheinlich muss fast jede und jeder von uns mit einer berufstypischen Frage rechnen. Ihr kennt sie alle auch, diese Fragen, bei denen berufstypische Klischees bedient werden und ihr innerlich mit den Augen rollt. Da muss man durch. Ja. Aber ganz ehrlich: Die Frage nach dem Geld ist schon eine ganz eigene Kategorie, vor allem in einem Land wie der Schweiz, wo der unausgesprochene Konsens herrscht, dass man nicht über Geld redet. 

Zurück zur Mutter, die mir diese Frage gestellt hat. Sie wollte wissen, was ich antworte, wenn mir das passiert. Ob ich einen Rat für ihre Tochter hätte. Den habe ich: sich nicht kleinreden/kleinfragen lassen (siehe diesen Blogpost). Wir haben dann auch ein paar gute Antworten gefunden, falls diese Frage das nächste Mal gleich am Anfang gestellt wird:

"Ach, wissen Sie, die Million reicht einfach nicht so ganz ... Sie kennen das ja."
"Und wie sieht es bei Ihnen aus? Können Sie von Ihrer Arbeit leben?"
"Die staatlichen Subventionen sind wirklich krass geil. Davon lebt es sich locker."
"Und was ist Ihre sexuelle Ausrichtung?"

Bis jetzt habe ich noch keine dieser Antworten gegeben. Ich bin mittlerweile beim: "Ja, ich kann." (Und leider fühle ich mich auch gemüssigt zu erklären, dass das nur geht weil ... und dass das nicht alle können, weil ..., aber es ist so, dass ....) Wenn ich es mir jedoch so richtig überlege, werde ich nächstes Mal, wenn mir diese Frage gleich am Anfang gestellt wird, auf eine der obigen Antworten zurückgreifen. Aus Spass an der Freude. Um zu sehen, wie mein Gegenüber rot anläuft. Muss ja nicht immer ich diejenige sein, die etwas betroffen oder genervt aus der Wäsche guckt.

PS: Die Frage, die meistens gleich nach der Verdienstfrage kommt ist entweder "Und? Wie verkauft sich dein neues Buch?" oder "Wie oft hat sich dein am häufigsten gekauftes Buch verkauft?" Die ist übrigens auch nicht viel besser ...

Freitag, 10. Januar 2025

In Zeiten wie diesen


Der Blogpost für heute war schon geschrieben. Parat zum Veröffentlichen. Doch das geht nicht. Nicht, bevor das hier gesagt ist.

Mag sein, dass man mit Lügen, Betrügen, Täuschen und Geld der mächtigste Mann der Welt wird. Mag sein, dass man mit tonnenweise Kohle die Weltpolitik aufmischen kann. Mag sein, dass man heute vor allem dann jeman(n)d ist, wenn man ein rücksichtloses Arschloch ist.

Moralische Werte: In die Tonne getreten.
Mitgefühl und Empathie: Was für Loser.
Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt: Lachnummern.

Das könnte man denken, wenn man sich die Welt so anschaut. Aber wir werden nicht so geboren. Wir lernen, so zu werden. Wir werden, was uns vorgelebt und eingetrichtert wird. 

Und deshalb: Lasst uns den Mut haben, in einer grausamen Welt ein mitfühlendes Herz zu bewahren. Lasst uns versuchen, menschliche Werte vorzuleben. Lasst uns versuchen, positive Vorbilder zu sein. Lasst uns einstehen für das, was uns wichtig ist. Gerade in Zeiten wie diesen.

Anfang Jahr haben Menschen auf Insta ihr Wort für das Jahr 2025 gesucht. Meins ist Liebe. Was ist deins?

Freitag, 3. Januar 2025

Lesungen: Leseförderung oder Showakt?

Wichtige Info vorab: Im folgenden Blogpost geht es um Schullesungen für Jugendliche, also jene Altersgruppe, in der viele in ihrer Freizeit nur noch selten oder gar nie freiwillig zu einem Buch greifen.

Wenn jeweils die Resultate der Pisastudie veröffentlicht werden, schreien die Politik- und die Medienlandschaft kollektiv auf, fragen sich, was schief läuft und delegieren das Problem - wie so vieles - an die Schule. Was dabei gerne übersehen wird und worüber leider auch nicht oft berichtet wird: Unzählige Schulen und Lehrpersonen im ganzen Land arbeiten seit langem an einer nachhaltigen Leseförderung.

Ein Teil dieser Leseförderung können Autorenlesungen sein. Ich erlebe sehr viele tolle Lesungen mit engagierten Lehrpersonen und neugierigen Jugendlichen. Die meisten dieser Lesungen sind in längerfristige Lese- und oder Schreibprojekte eingebettet, die Autorenlesung ist ein Teil davon. Das ist für mich Leseförderung pur. Mehr dazu weiter unten, denn es gibt auch die anderen Lesungen.

Jene, wo die Sportlehrerin oder der Mathelehrer die Klasse begleiten und mir oft begeistert rückmelden, dass sie die Lesung genossen haben. Das ist schön für sie - aber ich frage mich dann immer, ob und wie die Jugendlichen die Lesung im Deutschunterricht nachbesprechen, wenn die zuständige Lehrperson gar nicht an der Lesung war. Manchmal wissen die Jugendlichen nur, dass sie jetzt "Lesung" haben, wo wohl irgendjemand vorliest, aber wer und warum, entzieht sich ihrer Kenntnis. Es gibt diese Momente, in denen bis zu 60 Jugendliche in einen Saal stürmen und sich unter lauten Zurufen und geräuschvollen Stühlerücken hinsetzen; Lehrpersonen kommen irgendwann auch dazu, setzen sich ebenfalls hin, ohne mich auch nur anzuschauen, geschweige denn, mir kurz "Grüezi" zu sagen. Mit etwas Glück nicken sie mir zu, wenn sie denken, dass alle da sind und erwarten dann von mir, dass ich die nötige Ruhe im Raum schon hinbekomme. Es kommt auch immer noch gelegentlich vor, dass Lehrpersonen während der Lesung am Handy rumdaddeln oder sich in etwas anderes vertiefen. Damit signalisieren sie mit jeder Faser ihres Körpers: Was da läuft, ist nicht wichtig. Ich frage mich dann jeweils, ob da wohl irgendwo noch das Häklein hinter "Leseförderung" gefehlt hat und denke mir, dass man als Schule sein Geld auch einfach zum Fenster hinauswerfen kann. Denn ganz ehrlich: Eine solche Lesung ist eine (teure) Alibiübung ohne tieferen Sinn und Zweck, ein reiner Showakt mit Erzählungen über das Schreiben, über die Entstehung von Büchern mit fesselndem Vorlesen. Das kann lustig und / oder spannend sein, Nachhallen tut da jedoch meistens nicht viel. Versteht mich nicht falsch: Lesungen sollen unterhalten und Freude und Spass machen, aber kein Autor und keine Autorin sollten zum programmfüllenden Pausenclown (gemacht) werden.

Nachfolgend ein paar Tipps, wie eine Lesung Teil einer guten Leseförderung werden kann:

Eine gute Vorbereitung

Zur Vorbereitung kann man ein Klassenprojekt rund um das Buch starten. Wenn man sich dazu entscheidet, eine Autorin oder einen Autor einzuladen, liest die Klasse ein Buch oder zumindest Textpassagen aus Büchern des Gastes, macht sich schlau, wer er/sie ist, versucht sich vielleicht sogar selber am Schreiben. Der Austausch mit dem Autor/der Autorin ist dann mehr ein Werkstattgespräch, das einer echten Neugier entspringt. Die Lesung wird zum Erlebnis, aus dem man etwas mitnehmen kann. (Mehr zur Lese- und Schreibprojekten in einem separaten Blogpost.)

Gruppengrösse bei Lesungen: 

Am tollsten sind Lesungen in einzelnen Klassen, denn da wird der Austausch persönlicher, gehen die Gespräche tiefer. Das ist - je nach Budget oder Anzahl Schülerinnen und Schüler einer Schule - nicht immer möglich. Nehmen mehrere Klassen an einer Lesung teil, spielt die Gruppendynamik eine Rolle. Ich kann mich an eine Lesung erinnern, in der mir die Lehrperson vor der Lesung geschrieben hat, wie gut die Klasse vorbereitet ist, wie viele Fragen sie hat. An der Lesung waren dann mehrere Klassen, Fragen kamen fast keine. Als ich nach der Lesung zu den Jugendlichen sagte, ich hätte mich so sehr auf ihre Fragen gefreut und sie dann vermisst, meinten sie, da seien halt auch solche in der Lesung gewesen, vor denen sie sich diese Fragen nicht zu stellen wagten. Wer also mit seiner Schule Lesungen plant, tut gut daran, sich zu überlegen, ob und welche Klassen man zusammen in die Lesung schickt.

Es gibt Schulen, an denen auch grosse Gruppen kein Problem sind. Kürzlich sassen mehr als 60 Jugendliche in einer Lesung. Alle hatten ein Buch von mir gelesen, nicht alle dasselbe. Alle hatten Fragen zu den verschiedenen Büchern. Spannende und auch kritische Fragen (ich liebe das!). Es waren total erfüllende Minuten, in denen ich den Abschluss eines langen und intensiven Leseprojekts bilden durfte. Es gibt eine Schule, an der ich immer mal wieder lese, wo die Schule gleich die ganze Aula mit weit mehr als hundert Jugendlichen füllt - und es ist jedes Mal ein tolles Erlebnis. Viel Showakt mit Einblicken ins Schreiben und Vorlesen (der grösse der Gruppe geschuldet), aber auch immer ein witzig-interessanter Austausch mit den Jugendlichen. 

Lesungsort:

Toll ist es natürlich, wenn die Lesung in der Schulbibliothek oder der lokalen Bibliothek stattfinden kann, umgeben von Büchern. Das geht jedoch nicht immer. Bei einzelnen Klassen findet die Lesung oft im Schulzimmer statt, wenn es mehrere Klassen sind, in der Aula. In beiden Fällen ist es gut, wenn Bücher der eingeladenen Autor:innen ausgestellt werden, wenn Resultate von Klassenprojekten ausgestellt werden usw. Auch immer eine gute Idee: die lokale Bibliothekarin zur Lesung einladen. Ein absolutes No-Go ist die Turnhalle, auf der alle auf dem Boden sitzen. Das wird zu fast 100% NICHT funktionieren.

Autor:innen finden:

Kantonale Stellen organisieren Lesetouren wie Schule und Kultur, ein tolles Angebot für Schulen und Bibliotheken. Vielleicht passt aber der Zeitraum nicht? Oder der Autor/die Autorin, die man gerne einladen würde, steht nicht auf der Liste? Dann kann man sich jederzeit direkt an den Autor/die Autorin wenden oder beim Verlag nachfragen.

Dieser Post ist der Auftakt zu einer Reihe über das Thema Lesungen. Wenn ihr also eine Frage zu Lesungen habt oder einen Aspekt vertiefen wollt, meldet euch bitte in den Kommentaren.