Der Kettensägenmann. Als Titel für einen Thriller etwas zu reisserisch, aber perfekt für einen Horrorfilm. Wir würden uns gruseln, die Zaghaften unter uns wahrscheinlich beim Showdown die Augen schliessen und danach denken: Na ja, ziemlicher Schrott. Aber nur ein Film.
Der Kettensägenmann. Es gibt ihn. Er hat einen Namen, blaue Augen, hasst queere Menschen, findet Frauen gerade gut genug, um dem Mann zu dienen, zu kochen und Kinder zu gebären und auch sonst hat er für die meisten Menschen nur Verachtung übrig. Er liebt die Macht und das Geld und er ist Präsident eines Landes in Südamerika.
Der Kettensägenmann. Der Mann ist zu Gast in der Schweiz. Konkret in Davos. Am WEF. Wo man so tut, als wolle man die Welt retten, aber in erster Linie dem Geld und der Macht huldigt. Und jenen, die vorzugsweise beides haben. In Davos sind sie unter sich und ihresgleichen. Gut, es gibt Ausnahmen. Mit irgendwas resp. mit ein paar eingeladenen Menschen aus dem Fussvolk muss man zumindest noch so tun, als ginge es nicht nur ums Geld und die Macht.
Der Kettensägenmann. Dem ist das Fussvolk lästig. Zu faul, zu arbeitsscheu, zu gierig. Aber das lässt sich ändern. Zum Beispiel mit einer Kettensäge. Mit der mäht der Kettensägenmann sein Land und sein Volk um, macht es wirtschaftstauglich, also so, dass das mit der Kohle wieder stimmt. Zu welchem Preis, das fragt niemand, sind ja nur menschliche Werte, die er da niedermäht, also nichts, woraus sich Geld machen lässt. Es ist das Resultat, das zählt.
Der Kettensägenmann. Er ist nicht nur nach Davos eingeladen worden, er durfte auch eine Rede halten. Also hat er geredet. Na ja, falls man das Hinausschleudern von Hass als reden bezeichnen kann. Ganz ehrlich: Hätte man erwarten müssen, wenn man so einen einlädt. So weit, so normal. Und dann: Unsere Wirtschaftsführer und Politiker hören zu. Applaudieren. Okay, zum Teil verhalten und zum Teil gar nicht. Aber die Wörter sind raus. Gehen um die Welt. Ich frage mich, ob unsere Wirtschafts- und Politiktiere danach ihr Rückgrat gesucht haben. Ob sie beim nächsten Gang zur Toilette den Blick in den Spiegel vermieden haben.
Film aus. Abspann. Kurze Pause. Und dann - wie bei fast allen schlechten Filmen - gibt es einen Teil zwei. Der Kettensägenmann II. Der war nicht körperlich da, sondern wurde live dazu geschaltet. Und weil er nie die II sein kann, ist er der beste Präsident ever. Ever ever. Ever ever ever. Plus wunderful und sonst noch alles an Superlative.
Der Kettensägenmann II aka bester Präsident ever ever ever kam gerade von der Arbeit. Musste 1600 Leute begnadigen, die mit seiner Billigung das Kapitol gestürmt haben - und sonst noch ein paar Dinge wie Gelder für die Armen streichen, das mit der Geschlechterfrage ein für allemal klären, den Golf von Mexiko und einen Berg umbennen, sich dazwischen überlegen, wie der seine Massendeportationen durchführen will und ein bisschen Prozentrechnen für seien Tarife anstellen. Aber natürlich nahm er sich Zeit für die Reichen und Mächtigen in Davos. Alle etwas weniger reich und mächtig als er und seine coolen Tech-Bros, aber hey, was für eine Chance, den Europäern mal so ordentlich die Kappe zu waschen und dabei gleich auch noch ein paar andere Dinge klarzustellen.
Der Kettensägenmann II aka bester Präsident ever ever ever redete also. So, wie er halt immer redet. Und die Wirtschafts- und Politiktiere hörten zu. Applaudierten. Ein Rückgrat, das man nicht mehr hat, kann ja auch nicht mehr wehtun. Und der Blick in den Spiegel? Nun, vielleicht war da Stolz drin, weil man dazugehört. Oder Angst, weil man Angst hat, nicht dazuzugehören, wenn man nicht mitmacht.
So Leute, und jetzt zu uns. Wir haben verdammt noch mal ein Rückgrat. Ja, es ist schwierig, gegen eine geballte Ladung Macht und noch viel mehr Reichtum anzukommen. Aber es gibt schon ein paar Dinge, die wir tun können: Nicht in Gleichgültigkeit verfallen. Aufmerksam und empathisch bleiben. Werte leben. Dort, wo wir die Chance haben, unsere Stimme erheben, dort, wo es zu viel wird, NEIN, zu sagen. In der Schweiz können wir abstimmen (ich habe gerade die Neuauflage der Konzernverantwortungsinitiative unterschrieben). Wir können Politiker und Politikerinnen wählen, die für Werte einstehen, die uns wichtig sind. Wir können uns mit Gleichgesinnten zusammentun, ohne Andersdenkende mit Hass einzudecken. Wir können unseren Kindern und Enkeln vorleben, dass Geld nicht alles ist. Wir können dem Hass die Liebe entgegensetzen. Unser Ziel muss es sein, nicht Argentinien zu werden und schon gar nicht die USA. Noch sind wir nicht so weit.
Davos liegt in der Schweiz. Ich weigere mich, daran zu glauben, dass die Schweiz Davos ist. Wir können das besser und menschlicher.