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Montag, 17. August 2020

Leben in Zeiten von Corona - Welche Folgen eine stornierte Reise für die Menschen vor Ort haben kann. Teil 1.

EIN GASTBEITRAG VON DONATELLA RASI-GANTENBEIN VON GANRAS TRAVEL

Meine Freundin Donatella Rasi hat sich 2002 ihren Traum vom eigenen kleinen Reiseunternehmen erfüllt. Ihr GANRAS Travel ist darauf spezialisiert, das unmöglich Scheinende möglich zu machen. Für Privatpersonen und Gruppen stellt Donatella Reisen zusammen, die sie häufig auch selber begleitet. Dabei arbeitet sie stark mit lokalen Anbietern im jeweiligen Land zusammen, vor allem in Afrika, dieser Kontinent mit 55 Ländern und sehr vielen Facetten, der Donatella fasziniert und in dem sie mehrfach mehrere Wochen und Monate in verschiedenen Insitutionen gearbeitet hat.

Gestern hat sie mir erzählt, dass sie in einer kleinen Serie auf Facebook und Instagram anhand einer sornierten Reise nach Afrika aufzeigt, welch weitreichende Folgen ein coronabedingt abgesagter Urlaub für ihre lokalen Partner in Afrika hat. Ich habe sie gefragt, ob ich diese Serie auch hier in meinem Blog veröffentlichen darf. 

Ich darf. Hier ist Teil 1:

Aus dem Reisebüro Alltag während der Corona Zeit:

Oder… nur ein Bespiel für

eine Buchungs-Stornierung mit weitreichenden Konsequenzen - Teil 1

Private geführte Namibia Reise – geplant für Oktober 2020  für eine Familie mit 6 Teilnehmern

Nachricht an die Kunden:
Die Fluggesellschaft hat soeben die Flüge nach Namibia storniert.

Nachricht von den Kunden:
Eine Umbuchung ist nicht möglich für die Familie.
Die Reise kann somit nicht stattfinden. Leider müssen wir diese Reise stornieren.Wir hoffen auf baldige Rückgabe der bereits bezahlten Tickets und Gebühren.

Das tönt kurz und bündig und ist eigentlich kein Problem, die Partner vor Ort in Namibia sind sehr kulant. Aber d.h. auch, dass alle Landleistungen gestrichen werden müssen: Und das betrifft mehr Menschen und Unternehmen, als man auf den ersten Blick meint.

Hier eine kurze Beschreibung.

Die Angestellten der Agentur in Windhoek  sind schon seit Monaten auf Kurzarbeit. Trotzdem müssen alle Stornierungen und Umbuchungen in kürzester Zeit bearbeitet werden.

Eine Jobsicherheit gibt es nicht!

ÜBRIGENS
Wir bemühen uns, um nachhaltigen Tourismus vor Ort zu fördern, deshalb fällt die Auswahl der meisten Unterkünfte  auf eben solche, welche an diversen Projekten beteiligt sind, die sich dem Naturschutz und der Einbindung der Bevölkerung verschrieben haben.

Tag 1    Ankunft am Flughafen                 

Das Personal am Flughafen vom Lotsen bis zum Kiosk-Verkäufer und die Flughafen-Gesellschaft haben keine Arbeit.

Das Transport-Unternehmen hat schon wieder einen Auftrag weniger und der Fahrer ist schon seit Monaten nur noch auf Abruf an der Arbeit, wenn überhaupt. Er weiss oft nicht mehr, woher er das Geld für die nächste Mahlzeit für seine Familie bekommen soll. Das Transport Unternehmen musste schon einige seiner Kleinbusse billig verkaufen, da die Fahrzeuge nicht mehr ausgelastet sind und der Betrieb sonst nicht aufrechterhalten werden kann. 

Die erste Unterkunft in Windhoek- ein gutes Hotel mit Restaurant und einer Bar auf einer schöner Aussichtsterrasse in einem gepflegtem Garten mit Pool.

Drei Zimmer weniger verkauft! Die Zimmermädchen und der Gepäckträger arbeiten nicht mehr Vollzeit. Ebenso wenig die Bedienung des Restaurants und der Bar. Dabei ist das Geld so wichtig, um die Verwandten im Ovamboland zu unterstützen. Man zählt auf die jungen Leute, die endlich in der Hauptstadt eine Arbeit gefunden haben.

Der strenge Lockdown in Namibia hat das Hotel hart getroffen. So wie viele andere Hotels in Windhoek. Dank seinem guten Management und den sehr treuen und loyalen Mitarbeitenden kann das Hotel sich aber bis auf weiteres über Wasser halten. Das Hotel versucht seine Arbeiter weiterhin zu beschäftigen, hat aber Mühe seine Leute zu bezahlen- die Anlage mit Garten und Pool muss trotzdem gepflegt werden.

Und trotz alledem unterstützt das Hotel finanziell und mehrmals jährlich auch mit seinem Team weiterhin Projekte wie das „Family of Hope Service Centre“ eine- Suppenküche, wo gratis Mahlzeiten an mehr als 450 bedürftige Kinder verteilt werden. Dabei gestaltet das Team auch immer Tanz- und Spielanlässe für die Kinder. 

 

Tag 2        Start der Tour mit dem lokalen Tourguide

Der lokale Freelance-Tourguide
ist schon wieder einen seiner Jobs los.

Mit Mühe und Not hat er noch seine letzten Ersparnisse zusammengekratzt um die Lizenzen (Fahrzeug/Guiding usw.)für das laufende Jahr zu bezahlen. Eine Versicherung oder eine andere Absicherung hat er nicht, da diese auch in normalen Zeiten einfach nicht bezahlbar sind. Wie er die Zeit bis zum nächsten Guiding Job überstehen soll, weiss er noch nicht.

Vom Staat ist keine Unterstützung zu erwarten.  

Die erste Lodge auf der Tour. Die Lodge steht auf einem privaten Wildschutzgebiet, welches sich dem Schutz der Natur und der Einbindung der Bevölkerung in ihre Projekte verschrieben hat.

Dazu wurde die AfriCat Foundation gegründet, welche sich zum grossen Teil dem Schutz von Grosskatzen widmet. 

  

Das Projekt finanziert sich ausschliesslich aus Spenden und den Einnahmen der Lodge. Die Lodge Besitzer bieten viele Aktivitäten an, welche den Gästen die Tierwelt und die Projekte genauer vorstellen.

Die Familie hatte eine private Leoparden-Tracking Tour gebucht. Diese ist gestrichen: Der Guide wird an diesem Tag also nicht gebraucht, er wird auch auf sein so wichtiges Trinkgeld verzichten müssen.

Die Kosten für den Aufwand, den dieses Tracking mit sich bringt (z.B. Tracking-Halsband, Tierarzt usw.), sind nicht gedeckt. Das Tracking dient übrigens nicht vorrangig den Touristen, es ist vor allem zur Überwachung des Tieres und für die Forschung nötig.

Die Lodge – das private Unternehmen mit Wildschutz-Gebiet – hat Mühe die Projekte aufrecht zu erhalten und die Ranger, die für Sicherheit von Mensch und Tier im Wildschutzgebiet sorgen, zu bezahlen. Niemand weiss, wie lange man noch „durchhält“.

(Fortsetzung folgt.)

Sonntag, 21. Juni 2020

Vom Küchentisch, Blicken ins Grüne und Aufbrüchen

Meine Freundin Jutta Wilke hat ihren Blog umgestellt. Weg vom reinen Autorenblog hin zu dem, worum es eigentlich immer ging und immer geht: zum Leben mit allem, was dazu gehört. Jetzt sitzt und bloggt sie von dort, wo sie (fast) immer sitzt, wenn sie schreibt: ihrem Küchentisch. Mit Blick ins Grüne. Und mit Blick ins Bunte. Hier der Link zu ihrem neuen Küchentischblog. Mir gefällt das total gut. Gerade wenn sich das Weltgeschehen sehr düster zeigt, ist es wichtig, dass wir unserer kleinen privaten Welt Farbe geben. Viele winzig kleine Farbkleckse können nämlich zu grossen Farbteppichen zusammenwachsen.

Ich schreibe zwar nicht am Küchentisch, aber ich sitze sehr oft dort. Seit ich die Küchenmöbel gestrichen habe noch viel öfters. Es ist erstaunlich, was selbst kleine Veränderungen vermögen. Ein bisschen Farbe, ein neuer Anstrich, die Deko aufgefrischt – und schon hast du das Gefühl, ganz neu zu wohnen. Ich auf jeden Fall kann mich nicht sattsehen; ich weiss gar nicht, wie oft ich seit dem kleinen Upcycling in der Küche gestanden oder gesessen bin, voller Glück, und mir dachte: Boah hast du es schön.

Wenn ich meinen Kopf nach links drehe, schaue auch ich direkt ins Grüne, hinaus in unseren Garten, der mit jedem Jahr schöner wird. Auch an diesem satten Grün mit seinen Farbtupfern kann ich mich kaum sattsehen. Es ist, als öffne sich in mir etwas, als nähmen Ruhe und Zufriedenheit in mir nebeneinander Platz.

Allen, die jetzt denken: Ja, ja, die hat gut reden, die mit ihrem Haus, möchte ich von der Wohnung meiner Tochter erzählen. Sie liegt im Industrieviertel von Winterthur, in einem dieser alten Wohnblocks, eher untere Preisklasse, von aussen dieses hässliche gelb-grau. Weil das Viertel schon älter ist, liegen die Blocks etwas weiter auseinander, dazwischen stehen hohe Bäume. Wenn meine Tochter aus der Küche schaut, sieht sie grün. Wenn sie auf den Balkon geht auch. Vor dem Balkon und auf dem Balkon, weil er voller Pflanzen ist und ihr Freund dort auch Gemüse züchtet. Betritt man die Wohnung, betritt man einen Kokon voller Geborgenheit. Früher waren alle Möbel alt in der Wohnung der beiden, heute stehen ein paar neue da, sorgfältig ausgesucht und mit viel Liebe und einem Auge für das Schöne. Dank kreativer Ideen, die sich sehr kostengünstig umsetzen liessen, ist diese Wohnung ein einzigartiger Ort geworden. Meine Mutter, die die Wohnung zum ersten Mal gesehen hat, war begeistert. Ich bin’s jedes Mal aufs Neue. Und jedes Mal, wenn ich diese Wohnung sehe, bedaure ich es unendlich, dass man bei uns in der Schweiz nur noch einen einzigen Wohnungstyp baut: den mit den grossen Räumen, den glänzenden Küchen, den riesigen Fenstern, den grausam kalten Badezimmern und den ewig gleichen Grundrissen– Wohnungen ohne Seele. Zum Glück kann man fast jeder Wohnung eine einhauchen.

Jutta ist mit ihrem Blog dorthin gezogen, wo sie schon immer geschrieben hat: an ihren Küchentisch. Ich finde Ruhe und Ausgleich im Garten und beim Neugestalten der Räume. Dabei arbeite ich wann immer möglich mit dem, was schon da ist. Mit etwas Fantasie kann man bestehendes Mobiliar in andere Formen und Farben bringen, Bestehendes aufbrechen, ohne es zu zerstören und dabei etwas ganz Neues schaffen, das im Kern dennoch vertraut ist.

Jutta, ich schick dir Grüsse an deinen Küchentisch, wo du wieder schreibst. Auch bei mir ist das Schreiben zurückgekommen, so heftig und intensiv, dass es mich an den unbezähmbaren Dschungel im Haus in den Bergen erinnert. Und genau deshalb macht mir dieses Unbezähmbare nichts aus, ich liebe es sogar, weil ich gelernt habe, wie befriedigend das Arbeiten in dieser Ungezähmtheit sein kann. Obwohl ich – egal wie oft und wie hart ich arbeite – nie fertig werde, wächst und wuchert immer wieder Neues. Ich schaue es staunend an, geniesse den Moment und weiss, wenn ich das nächste Mal komme, ist alles wieder anders. Aber auch schön (siehe Beweisfoto).

Und so geniesse ich das Gefühl, von Ideen geradezu überwuchert zu werden, ohne auch nur die leiseste Ahnung, wo ich anfangen soll, weil ich überall anfangen will. Ich habe für all die vielen Ideen ein separates Bulletjournal angefangen und damit auch einen Kreis geschlossen: Das Bullet Journal mit dem Titel «Meine Ideenschmiede» habe ich nämlich vor ziemlich langer Zeit von Jutta erhalten und nie angefangen, weil ich immer auf den passenden Moment gewartet habe. Jetzt ist er da. Das Irre an der ganzen Sache: Ich schrieb an einer Mail an Jutta, als ich mitten im Schreiben das sprichwörtliche Licht sah, das alles klar machte. Ich weiss nicht nur, was ich alles noch schreiben möchte, sondern auch als wer und wie. Nur noch nicht, in welcher Reihenfolge. Dazu aber mehr in einem anderen Post.


Donnerstag, 14. Mai 2020

Wie das ganz konkret mit dem Honorarausfall aussieht

Für alle, die sich fragen, wie das denn bei Kulturschaffenden so mit den Ausfällen ist:

Hier meine Lesungen 2020. Alle abgehakten haben stattgefunden, die 42 durchgestrichenen sind ausgefallen oder werden noch ausfallen.

Etwas detaillierter (anhand eines Bildes aus meinem Bullet Journal):
  • 100 Lesungen wollte ich dieses Jahr machen, weniger als sonst (da waren es auch schon mal 150).  Deshalb habe ich mir im Bullet Journal ein Raster mit 100 leeren Kästchen angelegt.
  • Von oben links nach unten habe ich Lesungen von Lesetouren eingetragen.
  • Von unten rechts nach oben habe ich Lesungen eingetragen, die an einzelnen Tagen stattfinden.
  • Die leeren Felder in der Mitte sind zum grossen Teil schon reserviert für Lesungen im Herbst, aber weil ich die genaue Anzahl noch nicht kenne, lasse ich sie leer.
  • Es hat sich früh abgezeichnet, dass es doch mehr als 100 Lesungen werden würden. Deshalb habe ich auf der nächsten Seite provisorisch mit Bleistift noch 25 weitere Kästchen vorgezeichnet.
  • Nach 33 Lesungen Anfang Jahr war Mitte März fertig. Sämtliche Lesungen bis und mit Ende Juni wurden nach und nach abgesagt. Damit fallen mir von Mitte März bis Ende Juni 42 Lesungen aus. Das entspricht knapp einem Viertel meiner gesamten Jahreseinnahmen.
Für mich war klar: Das wird einkommensmässig ein garstiges Jahr, denn normalerweise fallen wir Kulturschaffenden entweder zwischen Stuhl und Bank oder ganz unter den Tisch. Aber dann kam es anders: Schon an seiner ersten Pressekonferenz verkündete der Bundesrat, dass die Kulturschaffenden ihren Honorarausfall geltend machen können. Gar alles wird diese Entschädigung des Bundes nicht wettmachen, aber doch einen schönen Teil.

Anfangs herrschte ein wenig Chaos. Man wusste nicht so recht, wo man seinen Ausfall melden sollte. Mittlerweile ist das jedoch zumindest bei uns im Kanton St. Gallen klar. Was ebenfalls etwas verunsicherte: Ich meldete meinen Honorarausfall und bekam ein Erwerbsausfalltaggeld. Wie hoch das ist, hängt von der letzten Steuererklärung ab. Da die Ausfälle jedoch auf den Frühling und Frühsommer fallen, liegt das Taggeld tiefer als der eigentliche Honorarausfall. So, wie ich das verstehe, sollte das aber noch ausgeglichen werden.

Eine erste Tranche wurde schon ausbezahlt. Eine weitere soll auch noch kommen. Ich nehme das, wie es kommt. Wenn ich daran denke, wie viele Dossiers bei den entsprechenden Stellen liegen, dann bin ich beeindruckt, wie gut und verhältnismässig schnell das alles geht. Noch mehr beeindruckt mich, wie freundlich und schnell man bei Fragen Antworten bekommt. Und für all das möchte ich mich an dieser Stelle einmal herzlich bedanken.

Dienstag, 5. Mai 2020

E-Mail für dich - Wenn die Worte und der Fokus fehlen

Liebe Jutta

Vielen lieben Dank für deine Antwort auf meine E-Mail an dich.

Wie gut ich das mit den fehlenden Worten verstehe. Ich habe zwar Worte für und in Mails und Social Media gefunden, auch Worte ganz privat mit meinen Liebsten. Ja, sogar für virtuelle Kurzlesungen haben sie gereicht (mehr dazu weiter unten). Mir fehlten die Worte in anderen Bereichen des Lebens.

Beim Schreiben meiner Geschichten: Ich schreibe immer noch nicht. Weil ich immer noch nicht weiss, wie. Meine Geschichten spielen im realen Leben, das seit Wochen surreal ist. Nichts, was ich schreiben würde, wäre von Bestand. Was heute gilt, gilt morgen nicht mehr. Wir Autoren nennen das "Setting" - und zurzeit wandelt sich das Setting täglich. Es ist mir ein Rätsel, wie ich dieses Problem angehen oder gar lösen könnte, mal abgesehen davon, dass ich meine Geschichten einfach zurückdatieren könnte. Vielleicht werde ich das irgendwann machen müssen, aber im Augenblick liegen meine Projekte erst einmal auf Eis.

Beim Lesen: Ich habe letzten Monat ein halbes Buch gelesen. Mehr nicht. Ich verstehe nicht, warum das so ist. Keine Ahnung. Gut, die ersten zwei Drittel des April hatte ich keine Zeit. Die hätte ich aber mittlerweile. Doch es hakt.

Was mich am meisten erstaunt: Ich vermisse weder das Schreiben noch das Lesen. Beides will ich nicht hinterfragen, sondern einfach mal so hinnehmen. Spätestens Mitte Mai werde ich wieder schreiben müssen, weil es dann mit dem Radioprojekt weitergehen soll. Und ich bin sicher, dass ich früher oder später wieder begeistert in Bücher eintauchen werde.

Meine freie Zeit nutze ich im Moment für den Garten, den Hausputz, das Entrümpeln. Du siehst, da haben wir vieles gemeinsam. Das Entrümpeln geht nur langsam vor sich, weil ich im Estrich begonnen habe und da ziemlich schnell auf die Zeichnungen der Kinder gestossen bin. Da ich sie nicht einfach wegwerfen wollte, habe ich beide Kinder gefragt, ob sie sich die Zeichnungen noch anschauen wollen. Beide haben geantwortet, ich solle ihnen doch einfach ein paar fotografieren.

Und so blieb ich an den Zeichnungen hängen. Frau Tochter hatte noch Witze darüber gemacht, dass ich mir jetzt jede Menge Bauchnäbel anschauen könne. Was sie meinte, wurde mir ziemlich schnell klar. Beim ersten Bauchnabel hatte ich einen Lachflash. Bei den weiteren kam ich ins Staunen. Ich habe Frau Tochter ein paar Bauchnabelzeichnungen geschickt, sie hat mir eine Bauchnabelerklärung gegeben, und danach haben wir stundenlang gemeinsam Bilder angeschaut. Am Ende habe ich ganz viele Zeichnungen weggeworfen, aber auch viele behalten. Ich brachte es nicht übers Herz, alle wegzuwerfen. Das müssen unsere Kinder dann mal tun, wenn ich nicht mehr da bin.

Von den Zeichnungen ging es zu den Fotos. All jenen, die es nicht in ein Fotoalbum geschafft haben. Ich sass vor den Schachteln und dachte: So, Frau, jetzt machst du für beide Kinder ein Album über ihre Kindheit. Tja ... und dann habe ich damit begonnen. Du ahnst es, Jutta, diese Estrichentrümpelung wird JAHRE dauern.

Auch beim Hausputz wurde ich ausgebremst. Weil ich eine alte Leiter gefunden habe.  Die doch perfekt in ein Zimmer passte. Noch perfekter mit Zimmerpflanzen drauf ... Und dann habe ich mich entschieden, endlich dieses Möbel anzustreichen, das schon lange ... Ich habe mit Farben experimentiert und gerade vorhin die passende Farbe im Fachgeschäft bestellt.


Dabei hatte ich mir noch vor Kurzem vorgenommen, das mit dem FOKUSSIEREN endlich hinzubekommen. Aber ganz ehrlich: Ich liebe meine Art, das Leben chaotisch zu leben. Es gibt Zeiten und Tätigkeiten, wo der Fokus wichtig ist (für mich ist das vor allem die Arbeit), und dann gibt es Zeiten und Tätigkeiten, wo ich es fliessen lassen will.

Gestern war ich sehr lange zu Fuss unterwegs. Unter anderem im Wald. Ich wanderte vor mich hin, liess die Gedanken schweifen. In mir war die totale Ruhe und Gelassenheit und ich war zutiefst glücklich. Ich bin bei und mir dir im Gedanken, dass es nicht so weitergehen kann. Immer höher, immer schneller, immer mehr, Wachstum über alles blablabla. Am Anfang der Krise hatte ich die Hoffnung, dass sie uns als Gesellschaft verändern würde. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Bei uns tagt seit gestern das Parlament, und alles deutet darauf hin, dass sich gar nichts ändern wird. Nicht im grossen. Aber das soll mich und uns nicht davon abhalten, die Dinge im kleinen zu verändern. Wenn das genug Menschen tun, ändert sich vielleicht ja doch noch was.

Ganz viele Menschen suchen die Antworten im Moment in Zahlen und Daten: Wann dürfen wir das wieder? Und wann das? Und wann das andere? Und fangen an zu motzen, wenn die Antwort nicht klar ist. Aber wie soll sie denn klar sein in diesen Zeiten, wo nichts sicher ist? Warum können wir nicht einfach damit leben, dass es keine Antworten gibt. Dass sie sich dann ergeben, wenn die Zeit da ist? Ein Grund ist sicher die Sorge um das Abgesichertsein. Zu wissen, wann man wieder arbeiten kann, damit man planen oder zumindest hoffen kann. Das verstehe ich. Und dennoch mussten und müssen wir lernen, auf Antworten zu warten.

Wir arbeiten beide in einem Beruf, in dem das besonders schwierig ist. Uns fallen Lesungen und Workshops aus, die Zahl der Buchverkäufe ist aufgrund der geschlossenen Buchhandlungen gefallen. Zum Glück wurde bei uns in der Schweiz früh klar gemacht, dass die Kulturschaffenden nicht leer ausgehen sollen. Die Rede war von einer Honorarausfallentschädigung, im Augenblick erhalte ich jedoch eine Erwerbsausfallentschädigung, obwohl ich mein ausgefallenes Honorar gemeldet hatte. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe, und im Augenblick ist nicht ganz klar, wie das weitergehen soll, aber ich habe Geld überwiesen bekommen, etwas, woran ich nicht wirklich geglaubt habe. Es macht im Augenblick noch lange nicht alle ausgefallenen Einnahmen wett, aber es ist ein guter Anfang. Ich wünschte mir, es wäre in Deutschland ähnlich. Anerkennung ist wichtig. In Form von Wahrgenommen werden, von Geschätztwerden, aber halt auch in finanzieller Form (weil wir die Miete nur vom Geschätztwerden nicht bezahlen können).

Womit ich bei den AutorInnen und ihren Aktivitäten im Netz angekommen bin. Auch ich habe anfangs etwas befremdet eine Hyperaktivität festgestellt. Aber ich habe sie verstanden. Wenn dir plötzlich so ziemlich alles wegbricht, suchst du nach Wegen, beachtet zu werden, nicht vergessen zu gehen, IRGENDWAS zu tun. Vieles hatte etwas Verzweifeltes. Mittlerweile denke ich: Jeder so, wie es für ihn / sie passt.

Bei uns in der Schweiz wird grad sehr viel online gelesen. Das hängt unter anderem mit dem Vorlesetag zusammen, der dieses Jahr eher privat und in Kleinstgruppen stattfinden wird. Nicht wenige AutorInnen stellen dafür Kurzlesungen ins Netz. Ich stelle Kurzlesungen ins Netz, weil ich weiss, dass sich viele Schulen auf meine Lesungen vorbereitet haben; so bekommen sie wenigstens eine kleine "Entschädigung" dafür, besonders jene Klassen, die ein Buch von mir als Klassenlektüre gelesen haben.

Nicht zuletzt macht das auch Spass. Ich werde diesen oder nächsten Monat voraussichtlich meine erste Skype-Lesung machen. Das war nicht meine Idee, sondern der Wunsch einer Schule. Und für eine andere Schule, die sich intensiv mit meinen Büchern auseinandergesetzt hat, werde ich Fragen virtuell beantworten und den Clip dann auch online stellen.

Natürlich ersetzt beides keine Lesung. Nie und nimmer. Weil Lesungen interaktiv sind, weil wir direkt auf unsere ZuhörerInnen reagieren und eingehen können. Weil wir sie miteinbeziehen können. Das ist von unschätzbarem Wert und kann nur in der direkten Begegnung geschehen.

Ich könnte noch endlos lang weiterschreiben, aber ich mache hier jetzt mal einen Punk und fasse die Zeit bis jetzt für mich so zusammen: Ich bin unfassbar glücklich und zufrieden (das mag irr klingen, ist aber so), ich bekomme grad unendlich viel von all dem, was wichtig ist und das man NICHT kaufen kann, allem voran Liebe. Wie dich macht mich das sehr dankbar.