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Sonntag, 21. Juni 2020

Vom Küchentisch, Blicken ins Grüne und Aufbrüchen

Meine Freundin Jutta Wilke hat ihren Blog umgestellt. Weg vom reinen Autorenblog hin zu dem, worum es eigentlich immer ging und immer geht: zum Leben mit allem, was dazu gehört. Jetzt sitzt und bloggt sie von dort, wo sie (fast) immer sitzt, wenn sie schreibt: ihrem Küchentisch. Mit Blick ins Grüne. Und mit Blick ins Bunte. Hier der Link zu ihrem neuen Küchentischblog. Mir gefällt das total gut. Gerade wenn sich das Weltgeschehen sehr düster zeigt, ist es wichtig, dass wir unserer kleinen privaten Welt Farbe geben. Viele winzig kleine Farbkleckse können nämlich zu grossen Farbteppichen zusammenwachsen.

Ich schreibe zwar nicht am Küchentisch, aber ich sitze sehr oft dort. Seit ich die Küchenmöbel gestrichen habe noch viel öfters. Es ist erstaunlich, was selbst kleine Veränderungen vermögen. Ein bisschen Farbe, ein neuer Anstrich, die Deko aufgefrischt – und schon hast du das Gefühl, ganz neu zu wohnen. Ich auf jeden Fall kann mich nicht sattsehen; ich weiss gar nicht, wie oft ich seit dem kleinen Upcycling in der Küche gestanden oder gesessen bin, voller Glück, und mir dachte: Boah hast du es schön.

Wenn ich meinen Kopf nach links drehe, schaue auch ich direkt ins Grüne, hinaus in unseren Garten, der mit jedem Jahr schöner wird. Auch an diesem satten Grün mit seinen Farbtupfern kann ich mich kaum sattsehen. Es ist, als öffne sich in mir etwas, als nähmen Ruhe und Zufriedenheit in mir nebeneinander Platz.

Allen, die jetzt denken: Ja, ja, die hat gut reden, die mit ihrem Haus, möchte ich von der Wohnung meiner Tochter erzählen. Sie liegt im Industrieviertel von Winterthur, in einem dieser alten Wohnblocks, eher untere Preisklasse, von aussen dieses hässliche gelb-grau. Weil das Viertel schon älter ist, liegen die Blocks etwas weiter auseinander, dazwischen stehen hohe Bäume. Wenn meine Tochter aus der Küche schaut, sieht sie grün. Wenn sie auf den Balkon geht auch. Vor dem Balkon und auf dem Balkon, weil er voller Pflanzen ist und ihr Freund dort auch Gemüse züchtet. Betritt man die Wohnung, betritt man einen Kokon voller Geborgenheit. Früher waren alle Möbel alt in der Wohnung der beiden, heute stehen ein paar neue da, sorgfältig ausgesucht und mit viel Liebe und einem Auge für das Schöne. Dank kreativer Ideen, die sich sehr kostengünstig umsetzen liessen, ist diese Wohnung ein einzigartiger Ort geworden. Meine Mutter, die die Wohnung zum ersten Mal gesehen hat, war begeistert. Ich bin’s jedes Mal aufs Neue. Und jedes Mal, wenn ich diese Wohnung sehe, bedaure ich es unendlich, dass man bei uns in der Schweiz nur noch einen einzigen Wohnungstyp baut: den mit den grossen Räumen, den glänzenden Küchen, den riesigen Fenstern, den grausam kalten Badezimmern und den ewig gleichen Grundrissen– Wohnungen ohne Seele. Zum Glück kann man fast jeder Wohnung eine einhauchen.

Jutta ist mit ihrem Blog dorthin gezogen, wo sie schon immer geschrieben hat: an ihren Küchentisch. Ich finde Ruhe und Ausgleich im Garten und beim Neugestalten der Räume. Dabei arbeite ich wann immer möglich mit dem, was schon da ist. Mit etwas Fantasie kann man bestehendes Mobiliar in andere Formen und Farben bringen, Bestehendes aufbrechen, ohne es zu zerstören und dabei etwas ganz Neues schaffen, das im Kern dennoch vertraut ist.

Jutta, ich schick dir Grüsse an deinen Küchentisch, wo du wieder schreibst. Auch bei mir ist das Schreiben zurückgekommen, so heftig und intensiv, dass es mich an den unbezähmbaren Dschungel im Haus in den Bergen erinnert. Und genau deshalb macht mir dieses Unbezähmbare nichts aus, ich liebe es sogar, weil ich gelernt habe, wie befriedigend das Arbeiten in dieser Ungezähmtheit sein kann. Obwohl ich – egal wie oft und wie hart ich arbeite – nie fertig werde, wächst und wuchert immer wieder Neues. Ich schaue es staunend an, geniesse den Moment und weiss, wenn ich das nächste Mal komme, ist alles wieder anders. Aber auch schön (siehe Beweisfoto).

Und so geniesse ich das Gefühl, von Ideen geradezu überwuchert zu werden, ohne auch nur die leiseste Ahnung, wo ich anfangen soll, weil ich überall anfangen will. Ich habe für all die vielen Ideen ein separates Bulletjournal angefangen und damit auch einen Kreis geschlossen: Das Bullet Journal mit dem Titel «Meine Ideenschmiede» habe ich nämlich vor ziemlich langer Zeit von Jutta erhalten und nie angefangen, weil ich immer auf den passenden Moment gewartet habe. Jetzt ist er da. Das Irre an der ganzen Sache: Ich schrieb an einer Mail an Jutta, als ich mitten im Schreiben das sprichwörtliche Licht sah, das alles klar machte. Ich weiss nicht nur, was ich alles noch schreiben möchte, sondern auch als wer und wie. Nur noch nicht, in welcher Reihenfolge. Dazu aber mehr in einem anderen Post.


Sonntag, 22. September 2019

#systemchange

Ich weiss, dass es nicht wenige Menschen gibt, die bei diesem Wort sofort in Abwehrstellung gehen. Für die ist schon die Forderung nach #climatechange eine Zumutung. Aber gleich das System!!! Man kann doch nicht ändern, was man hat. Könnte ja schaden. Sogar gefährlich werden. Denkt nur an die Wirtschaft, die Arbeitsplätze. Und sowieso: Immer diese linken Gutmenschen mit ihren Ideen. Als ob es uns in diesem neoliberalen Turbokapitalismus allen gut ginge.

Ich habe es aufgegeben, an eine von der Politik und Wirtschaft eingeleitete Änderung zu hoffen. Wir müssen unten anfangen. Mit uns. Sozusagen mit einem #humanchange. Bewusster Leben. Rücksicht nehmen auf andere und die Natur. Nicht alles haben wollen, dafür mehr bei uns selber sein. Einstehen für das, woran wir glauben, wovon wir träumen.

Als die Menschen letzten Freitag weltweit für das Klima auf die Strasse gingen, war ich im Haus in den Bergen. Aber in Gedanken war ich den ganzen Tag bei den Menschen, die die Strassen der Städte und Dörfer dieser Welt füllten. Und ich füllte für mich meine ganz persönliche Charta aus: Eine Liste voller Möglichkeiten, mehr für die Umwelt und ein besseres Klima zu tun.

Dass wir etwas tun müssen, steht für mich ausser Frage. Uns fallen die Berge auf den Kopf, weil der Permafrost schmilzt und das Gestein nicht mehr zusammenhält. Ganz konkret ist diesen Sommer eine SAC-Hütte ganz in der Nähe unseres Hauses in den Bergen nicht zugänglich, weil ein Steinschlag sie zerstört hat. Meine beiden Brüder, beides begeisterte Alpinisten, erzählen mir von weggerutschten Bergflanken, unterbrochenen und nicht mehr begehbaren Routen; auf den höheren Bergen bilden sich Gletscherseen, wo es noch nie welche gab. Bergbäche werden zu reissenden Flüssen, Schlammlawinen wälzen sich talabwärts. Flüsse treten über die Ufer.

Wir könnten auch über die vielen Vogel- und Insektenarten reden, die still und leise verschwinden. Über schrumpfende Lebensräume von Tieren. Über die neue Art von Naturabenteurern, denen es nicht wirklich um die Natur geht, sondern nur darum, der Erste oder die Erste zu sein, die Spuren in den Schnee ziehen. Egal, ob das in Lawinenhängen ist oder in Schutzräumen für Tiere. Oder jene neue Art von Berggängern, die sackteuer ausgerüstet ins Gebirge zieht und dann den Abfall dort oben liegen lässt.

Bevor ich mich hier in Rage schreibe, zurück zum #sytemchange. Er muss kommen. Wir dürfen nicht darauf warten, bis ihn uns jemand befiehlt oder das Klima ihn uns in aller Härte aufdrückt. Also fangen wir an. Bei uns. Im Privaten. Ein #humanchange eben. Und weil ich doch immer noch auf die Politik hoffen will, werde ich nächsten Monat zum ersten Mal nicht die SP wählen (sorry), sondern die Grünen.