Donnerstag, 23. September 2010

Aus dem Nähkästchen geplaudert, Teil 2

Bevor ich über die Jurysitzung berichte: Das Klischée vom weltfremden Jurymitglied, das seine Nase lieber in Büchern als in der grossen, kalten Weite des WorldWideWeb hat, stimmt nicht so ganz. Weshalb wir die aus dem Internet kopierten und als Eigenbeiträge eingesandten Texte einiger gewitzter Jugendlichen schnell entlarvt und ausgesiebt hatten. So viel dazu.

Nun aber zur Jurysitzung: Neugierig waren wir. Wie hat mein Kollege, meine Kollegin die Texte bewertet? Ähnlich wie ich? Total anders? Liege ich irgendwo weit daneben mit meinen Ansichten oder finden wir einen gemeinsamen Nenner? Beim Übertragen unserer Bewertungen in eine Tabelle wurde schnell klar: es ist etwas von Beidem. Einige Zeilen sahen aus wie Bingozeilen beim Spielautomaten. Gleiche Punktzahl durchs Band. Bei anderen war die Übereinstimmung weniger klar, die Abweichung grösser. Bei mir kamen schräge, irrwitzige Texte durchwegs besser weg als bei den Kollegen, ja, einer meiner Favoriten musste sogar bös untendurch. Ich war die Einzige, die den Text als aberwitzigen Wortsturm sah und ihre helle Freude daran hatte (ich hab's gerne furchtbar schräg!). Und da gab es auch noch den Text, der in unser aller Augen richtig literarisch und richtig gut anfing und dann total auseinanderfiel. Wie bewertet man so etwas? Belohnt man das riesige Talent, das da durchscheint, oder schaut man sich das Gesamtbild an? Wir entschieden uns mit viel Bedauern für das Gesamtbild. Nein, einfach war es nicht. Aber spannend. Anregend. Interessant. Denn: Wir übertrugen nicht einfach nur Punkte, sondern diskutierten bei gröberen Abweichungen das Warum. Selten wird Literatur so lebendig wie in solchen Diskussionen, in denen das Feuer, die Begeisterung oder auch der totale Frust so heftig ausbrechen kann. Es war ein lebendiger Morgen, von dem ich jede einzelne Minute genossen habe und mich privilegiert fühlte, in so einer Runde mitmachen zu dürfen.

Am Ende hatten wir uns auf die besten der drei Kategorien geeinigt. Nun geht es in eine nächste Runde: Innerhalb der Besten eine Rangliste erstellen. Die Aufgabe jagt mir Respekt ein. Zum Glück muss ich nicht alleine entscheiden, sondern bin Teil einer Jury, in deren Gesamturteil ich vertaue. Mehr in einem dritten Teil nach der nächsten Jurysitzung.

Mittwoch, 22. September 2010

Schamhaare sind so was von out

Und mit ihnen ich. Aber das nur am Rande, jedoch mit verstörenden Folgen (siehe Ende Beitrag).

Zum Thema: Wir diskutieren in unserem Schreibforum mal wieder darüber, wie man zum Verkaufsschlager wird. Dabei ist alles ganz, ganz einfach. Man muss jung sein, ein Buch mit dem Titel Generation Geil schreiben, ein paar wirklich kluge Sätze von sich geben, zum Beispiel den hier ...

Ihre Generation stehe unter Leistungsdruck, sagte sie, habe hohe Erwartungen und sei ehrgeizig. Vor allem aber lasse sie sich nicht über einen Leisten schlagen – ausser vielleicht was Schamhaare betrifft. Die seien bei allen, aber auch wirklich allen so was von out!

... und der Rest ergibt sich von allein, weil die Presse solche Darlings liebt. Auch meine Tageszeitung. Nach dieser Erkenntnis habe ich beschlossen, mich eine Woche lang in eine Klinik zu begeben und mich vom Wahn heilen zu lassen, dass es auch anders geht. Es sei denn ... ich rasiere mir die Schamhaare und stürze mich nackt vom Eifelturm.

Dienstag, 21. September 2010

Von Rot auf Grün

Als eine der letzten Ampeln hat die von Amazon umgeschaltet. Ihr könnt die realen und virtuellen Buchläden stürmen. Freerunning ist im Handel. :-)))

La,la,la, ich hör nicht hin

Die amerikanische Literaturagentin Kirstin (den Nachnamen behält sie für sich) erzählt in ihrem neusten Blogeintrag von ihren Workshops für Autoren auf der Suche nach einer Agentur. Sie beschreibt, wie sie dabei jeweils ihre entmutigenden Statistiken vorlegt - wie viele Anfragen bei ihrer Agentur eingehen, wie viele davon es überhaupt in eine nächste Runde schaffen und wie viele Autoren die Agentur pro Jahr neu aufnimmt. Und dann sagt sie den Workshopteilnehmern sie sollen die Ohren zuhalten und sagen:


"La, la, la, ich hör nicht hin."


Weil ein Autor die Statistiken nur kennen soll, damit er den Literaturbetrieb versteht. ABER: Das soll ihn nicht davon abhalten, es zu versuchen. Denn wenn ein Autor gerne schreibt, wenn er leidenschaftlich den Traum vom Schreiben verfolgt, dann wird er schreiben - egal, was auch passiert. Veröffentlicht zu werden ist dann eine mögliche Folge, aber ob sie eintreten wird oder nicht, davon soll der Antrieb zum Schreiben nicht abhängen.


"Du schreibst, weil du schreiben musst. Es ist wie Atmen.
Absolut notwendig."


Ausserdem weiss ein Autor nie, ob und wann sich seine Hartnäckigkeit auszahlt. Ein gutes Beispiel ist John Grisham. In der NZZ am Sonntag erzählte er, wie er jeden Morgen um fünf Uhr aufstand und an seinem ersten Buch schrieb, wie es von 20 Verlagen abgelehnt wurde, wie er bei einer Agentur unterkam und sein erstes Buch dann trotzdem weiterhin abgelehnt wurde, wie es - als es endlich in einer Auflage von 5000 gedruckt wurde - total floppte. Und wie sein zweites Buch "Die Firma" einschlug. In zwei Monaten verdiente er 2 Millionen Dollar. Er hängte den Anwaltsberuf an den Nagel und wurde hauptberuflicher Autor. Dieses Glück haben die wenigsten Autoren. Viele von uns brauchen weiterhin einen "Brotberuf" (das ist die Tätigkeit, die uns die Miete bezahlt und den Kühlschrank füllt). Aber wir geben nicht auf. Auch wenn die Vorzeichen schlecht sind. Wir hören einfach nicht hin. La,la,la.

Montag, 20. September 2010

Aus dem Nähkästchen geplaudert, Teil 1

Oder anders gesagt: Ein Einblick in meine Tätigkeit als Jurymitglied eines Schreibwettbewerbs.

Wortsturm im Lebeland, so heisst der regionale Schreibwettbewerb, bei dem ich als Mitglied in der Jury sitze. Erst einmal war der Sturm ein laues Lüftchen: Texter und Geschichtenerzählerinnen, Schreiberinnen und Wortentertainer hielten sich vornehm zurück. Die Bewerbungen tröpfelten wie ein sanfter Regen herein - um dann kurz vor Einsendeschluss zu einem wahren Sturm anzuwachsen. Am letzten Tag stürmte es besonders heftig, weshalb ich mich die letzten paar Tage durch sehr, sehr viele Geschichten gelesen habe.

Wie ich dabei vorgehe? Ich lese erst einmal alle Geschichten einer Kategorie an (wir verteilen Preise in drei Kategorien), damit ich einen Überblick habe. Dann lese ich die Geschichten gründlich, mache Notizen, überlege mir, wo ich den Text ungefähr einordnen könnte und gebe ihm eine provisorische Punktzahl. Danach lege ich die Texte beiseite, lasse sie nachwirken. Dabei ergibt sich die eine oder andere Verschiebung in der Gewichtung. Erst in einem dritten Anlauf lege ich eine Punktzahl fest.

Was für mich ein guter Text ist? Einer, der dem Titel der Ausschreibung gerecht wird. Da kann ich jetzt schon sagen, dass es mir zum Teil wahre Wortstürme ins Gesicht geblasen hat (ich bin begeistert!). Dann muss mir der Text eine Geschichte erzählen, die in sich stimmig ist, am liebsten eine originelle, kreative Geschichte. Rund geschrieben sollte der Beitrag sein, d.h. der Text sollte einen Rhythmus haben. Texte, die all diese Bedingungen erfüllen, stehen am Ende ganz oben auf meiner persönlichen Bestenliste.

Diesen Mittwoch treffe ich mich mit den anderen Jurymitgliedern; wir werden unsere Bewertungen austauschen und dabei über die einzelnen Texte diskutieren. Darauf freue ich mich ganz besonders, denn diese Diskussion kann nochmals neue Blickwinkel öffnen, zu einer anderen Bewertung führen.

Teil 2 der kleinen Nähkästchenserie folgt nach dem Jurytreffen vom Mittwoch.

UPDATE: Dank einer aufmerksamen Blogleserin habe ich auch den Katastrophensatz über meine persönliche Bestenliste flicken können (falscher ging gar nicht ... SORRY!)