Dienstag, 31. Juli 2018

Anthologien, Teil 3 - Vom Schreiben der Geschichte

Gestern bin ich mit der Geschichte für eine Anthologie fertig geworden. Kaum hatte ich die Ankündigung für diesen Blogeintrag auf Instagram gepostet, fragte jemand: „Was für eine Anthologie?“

Vorneweg: Im folgenden Text findet ihr sehr viele Infos – aber nicht, worum es in der Geschichte geht und wo sie veröffentlicht werden soll. Das liegt nicht an mir, sondern daran, dass Verlage es nicht so gerne haben, wenn man zu viel zu weit im Voraus verrät.

Was ihr erfahren werdet:
  • wie ich dazu gekommen bin, diese Anthologiegeschichte zu schreiben
  • wie ich an das Thema herangegangen bin
  • was sich dabei auf den Kopf gestellt hat
  • wie der Text entstanden ist
  • warum das Schreiben so lange gedauert hat (und das Überarbeiten noch länger)
  • Erleichterung (und ein Fragezeichen) 

Wie ich dazu gekommen bin

Meine Agentin rief mich an und sagte: "Ich weiss, du willst keine Anthologiegeschichten mehr schreiben, aber hör mir bitte einfach zu, ich denke, das Thema könnte dich interessieren." Ich hörte zu und wusste längst, bevor meine Agentin all ihre Argumente vorgebracht hatte, dass ich diese Geschichte schreiben wollte. Unbedingt. Deshalb sagte ich einfach „Ja.“ Ein paar Tage später kam eine Mail mit den Eckdaten und Vorgaben vom Verlag: Pitch (Zusammenfassung der Geschichte in ganz wenigen Sätzen) bis Mitte Mai, Geschichte bis Ende Juli. Zeitlich passte das für mich perfekt.

Wie ich an das Thema herangegangen bin

Das Thema ist eins, das mich seit Jahren umtreibt und über das ich unzählige Diskussionen geführt habe, sprich, ich wusste, dass ich diese Geschichte aus dem Bauch und aus dem Herz schreiben würde. Ansatzpunkte hatte ich viele, aber dann fehlten mir die Ideen. Ich begriff nicht, weshalb. Grübelte … und grübelte … und grübelte. Bis mich die Erkenntnis wie ein Schlag auf den Kopf traf.

Was sich dabei auf den Kopf gestellt hat

Ich war von der falschen Seite her gekommen. Was ich vorhatte, konnte nicht funktionieren. Das Problem: Wenn ich von der anderen Seite herkam, schrammte ich nicht knapp neben dem Thema vorbei, sondern rammte und versenkte es. Ich erzählte es meinem Mann. Er meinte: „Nein, schmerzlicher Volltreffer mitten ins Thema.“ Ich redete mit Frau Tochter und Herrn Freund von Frau Tochter. Sie gaben meinem Mann recht. DAS ist es genau, Mam, sagten sie. Darum geht es. Thema voll erfüllt.

Nun, gut möglich. Aber dem Verlag würde das nicht gefallen. Ich schrieb meiner Agentin, dass ich einen U-Turn gemacht hatte und das Thema von der Gegenseite angehen wollte. Dass ich die Geschichte so und nicht anders schreiben würde, und wenn der Verlag sie so nicht wolle, sei ich weder traurig, noch wütend, sondern würde es verstehen. Aber ich könne nicht anders.

Der Verlag hatte logischerweise Fragen. Wollte mehr wissen. Ich konnte ihm nicht mehr geben, denn ich wusste nur, wie ich das Thema angehen wollte, hatte aber keine konkrete Idee für eine Geschichte und im Mai auch keine Zeit, mir eine einfallen zu lassen. Der Pitch beschrieb die Absicht, mehr nicht. Auch hier hätte ich verstanden, wenn der Verlag dankend abgewunken hätte. Hat er aber nicht.

Wie der Text entstanden ist

Ich machte Notizen. Redete mit Josia Jourdan über das Befinden der heutigen Jugend. Schrieb in Stichworten auf, was in der Geschichte stehen sollte, nichts Konkretes, sondern eher ein roter Faden. Ich wusste nicht, wie sie enden würde. Dann schrieb ich die Geschichte so, wie ich immer schreibe: langsam, immer wieder zurück und ändern, umbauen, hinzufügen, wegnehmen, über mehrere Wochen verteilt. Der Entwurf hatte 23 Seiten. Kein Problem, dachte ich. Beim Überarbeiten würde ich locker auf 20 kommen.

Warum das Schreiben so lange gedauert hat (und das Überarbeiten noch länger)

Blöderweise merkte ich beim nochmaligen Durchlesen der Eckdaten und Vorgaben, dass es höchstens 12 sein dürfen und nicht 20, wie ich gemeint hatte. Also begann ich zu kürzen. Beim Kürzen überarbeitete ich auch (ich sehe euer Augenrollen!). Nach jeder Runde waren es weniger Seiten. Bis ich runter auf 14 war. Irgendwann gegen Ende Juli wachte ich mitten in der Nacht auf und wusste, dass das Ende nicht stark genug war. Was heisst da, nicht stark genug. Es war weder schlüssig, noch stark noch irgendwas. Einfach nur sentimental, inkonsequent und öd.

Also noch mal. Ich begann von neuem mit dem Überarbeiten. Runde um Runde um Runde. Letzten Samstag fuhr ich zu einem Autorentreffen nach München. In den sieben Stunden Hin- und Rückfahrt kam ich der Sache immer näher. Ich druckte mir den Text ein letztes Mal aus, nahm ihn mit in die Berge und … überarbeitete. Sonntagabend um 18.00 war er fertig. Dachte ich.

Erleichterung (und ein Fragezeichen) 

Beim Wandern heute sind mir noch ein paar Dinge eingefallen, die ich ändern wollte. Auf der Bahnfahrt nach Hause auch. Also ... ja, genau, überarbeiten. Text noch einmal ausdrucken. Mir laut vorlesen. Ändern. Text erneut ausdrucken und dann noch einmal lesen. Letzte Anpassungen. Kurz nach Mitternacht ist der Text raus.

Ich bin zufrieden und erleichtert, allerdings mit einem Fragezeichen. Ich weiss, dass es der Text geworden ist, den ich schreiben wollte. Ich weiss aber nicht, ob dieser Text in die Anthologie passt. Es ist immer noch möglich, dass der Verlag abwinkt. Die Anthologie wird gut, das weiss ich, ob mit oder ohne meinen Beitrag. Das Thema ist wichtig, das Konzept der Anthologie gefällt mir. Ich freue mich darauf. Und jetzt geh ich schlafen.

Mittwoch, 25. Juli 2018

Geschichten für Anthologien, Teil 2 - Stolpersteine

Vorneweg: Vielen Dank für eure Kommentare. Und vielen Dank für den Versuch, Kommentare zu schicken. Irgendwo im System klemmt es, aber ich finde den Fehler nicht. Was ich sagen kann: Das Capcha ist jenseitig. Beides tut mir sehr leid! (Update: Mein Bloggerkollege Josia Jourdan hat nicht aufgegeben - er hat es geschafft, das Capcha zu knacken und den Kommentar anzubringen. DANKE.)

Jetzt aber zu Teil 2 von "Geschichten für Anthologien. Darin gehe ich den Fragen nach: Was ist für mich als Autorin wichtig? Wo liegen die Stolpersteine? Und ich erzähle ein wenig aus dem Nähkästchen meiner Erfahrungen.

Der Vertrag


"Ein Vertrag? Für eine Anthologie? Haben wir noch nie gemacht."
Das beschied mir kein netter kleiner Verlag mit beschränkten Ressourcen, sondern ein ziemlich grosser und ziemlich anerkannter. Ich beschied zurück: "Kein Vertrag, keine Geschichte." Es folgte ein längeres Hin- und Her, am Ende kam ein Vertrag, der länger war als mein Text. Ich unterschrieb. Schief ging es trotzdem, aber mehr dazu weiter unten.

Für mich gilt: Kein Text ohne Vertrag. Das trifft selbstverständlich auch auf Anthologien zu, aber dort reicht mir als Vertrag eine Seite, auf der die wichtigsten Eckdaten aufgeführt sind: Vorschuss/Honorar, Tantiemen, Rechte (exklusiv oder nicht?), Rechterückgabe. Den Vertrag will ich VOR der Textabgabe haben. Notfalls halte ich den Text zurück oder lasse die Sache ganz platzen, wenn ich keinen Vertrag bekomme. Warum? Zwei Gründe:
  • Weil Vertrauen gut, aber Vertrag besser ist. Sollte es zu Streitigkeiten kommen, steht man ohne Vertrag auf verlorenem Posten da.
  • Stellt euch vor, ihr habt den Text geschrieben, habt alle Abgabetermine eingehalten, euren Teil der Vereinbarung erfüllt und dann kommt der Verlag und sagt: "Sorry, wir haben uns anders entschieden, wir machen die Anthologie nicht." Mit Vertrag ist nicht sicher, ob ihr trotzdem ein Honorar bekommt, ohne Vertrag bekommt ihr sicher keins.
Also: Immer einen Vertrag verlangen! Überlegt euch, ob ihr die Rechte ein für allemal abgeben wollt, oder ob ihr eine Klausel im Vertrag möchtet, die euch zusichert, dass ihr die Geschichte auch anderweitig verwenden dürft (wie und wann definiert dann diese Klausel) und wann ihr die Rechte am Text zurückbekommt/zurückfordern könnt.

Eine Anekdote dazu: Bei meinem ersten Anthologiebeitrag hatte ich einen sehr netten, aber leider nicht immer zuverlässigen Agenten. Der Vertrag trudelte wunschgemäss ein, der Agent wollte das mit den Rechten ändern - und dann verschwand er in der Versenkung. Irgendwann bekam ich Post vom Verlag, der wissen wollte, was mit meinem Vertrag sei. Ich musste gestehen, dass ich weder wusste, wo der Vertrag war, noch in welche Wolke sich mein Agent aufgelöst hatte. Das war so peinlich, dass ich einfach den ersten Vertragsentwurf unterschrieb und damit die Rechte für immer abtrat. (Anmerkung: Ich habe diesen Agenten sehr gemocht, verdanke ihm extrem viel, bin ihm heute noch dankbar - aber nach jener Geschichte habe ich mich von ihm getrennt.)

Einhalten von Abmachungen

Zu einem professionellen Arbeiten gehört für mich das Einhalten von Verträgen. Dazu gehört das Festlegen eines Zeitplans, der für beide Seiten (Verlag und AutorIn) einhaltbar ist. In dieser Sache habe ich bisher fast immer gute Erfahrungen gemacht. Die einzig wirklich schlechte Erfahrung hatte ich mit dem eingangs erwähnten Verlag. Nachdem ich den Vertrag endlich hatte, schickte ich (termingerecht) meine Geschichte ein. Dann hörte ich lange nichts, bis irgendwann die Meldung kam, man müsse den Erscheinungstermin verschieben. Kann passieren. Ich wartete und wartete und wartete und ... hakte irgendwann nach. Antwort: "Das Projekt ist infolge von zu wenigen Geschichten abgesagt, haben Sie unsere Nachricht im Sommer nicht bekommen?" Hatte ich nicht. Meine Agentin auch nicht. Später habe ich dann erfahren, dass auch andere AutorInnen die Nachricht nicht erhalten hatten. Sprich: Der Verlag hatte verschiedene AutorInnen Texte schreiben lassen, obwohl er gewusst hatte, dass es zu wenige waren. Besonders ärgerlich: Ich hatte meine Geschichte im Stressmonat Januar geschrieben, obwohl ich eigentlich keine Zeit hatte, völlig überarbeitet und am Rad drehend. Weil ich einen Vertrag unterschrieben hatte, bekam ich immerhin einen Teil des Honorars, aber es war weder den Aufwand noch den Ärger wert. Auch ärgerlich: Die schlechte Kommunikation und am Ende das Gefühl, veräppelt worden zu sein.

Wie ich in Teil 1 dieser Reihe geschrieben habe, ist eine Anthologie eine Gelegenheit, sich gegenseitig kennenzulernen. Ratet mal, für wen ich nie ein Buch schreiben werde.

Generell

Anthologien sind für viele bisher unveröffentlichte AutorInnen eine Chance, ihren Text in einem Buch zu veröffentlichen. An und für sich ist das eine gute Sache, allerdings sollte sich jeder und jede überlegen, wo die persönliche Schmerzgrenze bei den Bedingungen liegt. Fragen, die man sich stellen sollte:
  • Bin ich bereit, ohne Honorar zu schreiben? (wäre ich unter bestimmten Umständen)
  • Bin ich bereit, dafür zu bezahlen, dass ich dabei sein darf? (wäre ich nicht)
  • Muss ich dem Verlag ... (an dieser Stelle eine beliebige Anzahl Exemplare einsetzen) abnehmen, bin ich dazu wirklich bereit und falls ja, wie viel Platz hat es in meinem Keller? (das müsste ich mir gut überlegen, nicht zuletzt, weil ich gar keinen Keller habe)
  • Bekomme ich Belegsexemplare? (wäre mir extrem wichtig)
  • Veranstaltet der Verlag eine Vernissage? (fände ich schön, muss aber nicht sein)
  • Macht der Verlag im Rahmen seiner Möglichkeiten Werbung? (da würde ich genau nachfragen)
  • Wird erwartet, dass ich Tante Susi, Onkel Fred, meine 10 Nichten, 4 Neffen und die Grosscousins meiner Mutter zu Anlässen schleppe, damit Leute da sind? Und muss ich denen allen ein Exemplar aufschwatzen? (mache ich grundsätzlich nicht)
Habe ich Punkte vergessen?
Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?
Ich trau mich fast nicht, es zu sagen, aber ich würde mich sehr über Rückmeldungen freuen. Falls es nicht klappt, gebt mir bitte Bescheid (entweder auf Twitter oder FB oder in einer Mail, die Adresse findet ihr im Impressum)

PS: Die Anthologiegeschichte, die nie erschienen ist, habe ich zurück. Ich möchte sie noch einmal überarbeiten (wurde ja nie lektoriert) und stell sie dann hier in den Blog :-) Damit nähme die Sache dann doch noch ein gutes Ende.

Dienstag, 24. Juli 2018

Geschichten für Anthologien, Teil 1 - Ein Nein, aber ...

Vorneweg: Ich lese keine Anthologien, weil Kurzgeschichten einfach nicht mein Ding sind. Viel lieber tauche ich in das Leben von Buchfiguren ein und gehe einen Stück ihres fiktiven Weges mit ihnen. Ähnlich geht es mir beim Schreiben. Ich schreibe mich lieber tief in die Seelen meiner Figuren, als sie auf ein paar wenigen Seiten abzuhaken. Deshalb habe ich mir vor Jahren vorgenommen, keine Geschichten für Anthologien zu schreiben.

Warum ich es trotzdem ab und zu (sehr selten) mache? Um es direkt und unverblümt zu sagen: Finanzielle Gründe sind es nicht. Da ich Langsamschreiberin bin und mir Geschichten nicht einfach mal in ein paar Stunden aus dem Ärmel schüttle, lohnt sich der Aufwand eigentlich nicht. Sprich: Ich brauche eine andere, sehr starke Motivation, mich auf einen Anthologiebeitrag einzulassen. Gibt es die, bin ich dann begeistert dabei und freue mich auf das Schreiben. Was also motiviert mich?

1. Ich mag die Leute, die mich anfragen
Das ist der wichtigste Grund überhaupt. Als vor ein paar Jahren Petra Ivanov und Mitra Devi auf mich zukamen, sagte ich einfach Ja. Ohne das Honorar zu kennen, ohne die Seitenzahl zu kennen. Wahrscheinlich hätte ich für die beiden tollen Frauen zu jedem Thema was geschrieben. Ich wurde doppelt und dreifach belohnt: Das Thema war toll, die Betreuung durch die beiden so professionell wie fantastisch und das Buch Mord in Switzerland eine der wenigen Anthologien, in der ich sämtliche Geschichten gelesen habe. Sollten Petra und Mitra jemals wieder an meine Autorinnentür klopfen, würde ich sofort und ohne zu zögern zusagen.

2. Ich mag das Thema
Vor Jahren habe ich eine Geschichte für eine Weihnachtsanthologie geschrieben, weil es eine herrliche Anti-Weihnachtsgeschichte sein durfte, in der ein Song die wichtigste Rolle spielte. Hey, genau mein Ding. Ich habe blitzschnell zugesagt und beim Schreiben jede Menge Spass gehabt. Gerade jetzt schreibe ich an einer Geschichte mit einem Thema, das mich auch privat sehr umtreibt (dazu mehr in Teil 3).

3. Ich erhoffe mir etwas davon
Bei einer Anthologie ging es um eine Zielgruppe, für die ich noch nie geschrieben hatte. Ich wollte für mich herausfinden, ob ich das kann ;-) (Ja, auch solche Beweggründe gibt es). Es kann aber auch sein, dass die Anfrage von einem Verlag kommt, mit dem ich gerne Kontakt hätte - und so eine Anthologie ist eine gute Gelegenheit, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Das gilt sowohl für die Schreibenden als auch den Verlag.

Meine Erfahrungen sind gemischt, von schlicht wunderbar bis total daneben und frustrierend (mehr dazu in Teil 2).

Was mich interessieren würde:
- LeserInnen: Lest ihr Anthologien und wenn ja, weshalb?
- AutorInnen: Macht ihr gerne bei Antholgien mit und wenn ja, weshalb?

Die Kommentarfunktion ist offen. Es würde mich freuen, eure Gedanken dazu zu lesen.

Montag, 23. Juli 2018

Trigger - tja, und hier bin ich. Was nun?

Gerade eben habe ich Autorenkollegin Jutta Wilke in ihrem Blog besucht. Ihr letzter Eintrag hat mich getriggert und zu einem längeren Kommentar verleitet. Ich habe versucht zu erklären, weshalb ich kaum mehr blogge, obwohl ich mich doch - genau wie sie - entschieden habe, trotz einiger unbezwingbarer DSGVO-Hürden weiterzubloggen.

Dem Blogbesuch bei Jutta ist ein Trigger vorausgegangen. Nämlich das Lesen der Sonntagsgedanken im Blog von Josia Jourdan. Der hat sich die Frage gestellt, welche Blogeinträge er gerne liest - und da ist mir die Jutta eingefallen.

Weil ich seit Ewigkeiten keinen Blogeintrag mehr geschrieben habe und auch nie auf meine Blogseite gegangen bin, bin ich nicht durch die Blogroll auf Josias Sonntagsgedanken gestossen, sondern durch Facebook (es hätte auch Twitter sein können, weil ich auch dort mit Josia verlinkt bin). Der Trigger war also ein Eintrag auf einer der schnellebigen Social Media Plattformen. (Ihr liegt richtig, wenn ihr zum Schluss gekommen seid, dass die gute Frau Gabathuler keinen Feed irgendwelcher Art hat - hat sie nicht.)

So, und jetzt bin ich hier. Stelle fest, dass ich seit fast zwei Monaten nicht gebloggt habe (die Gründe findet ihr bei Jutta). Nein, diesmal nehme ich mir nicht vor, mehr zu bloggen. Das mit den Vorsätzen und mir ist eine zu wacklige Sache. Aber ich nehme mir vor, weiter zu bloggen.

Das Dilemma mit dem Spagat zwischen Sein und Schein wird wohl bleiben, aber ich kann ihm entgegenwirken, indem ich mich im Blog nicht mehr nur aufs Schreiben beschränke, sondern ihn wieder öffne. (Zur Erklärung: Zu meinen Anfangszeiten habe ich hier viel allgemeiner gebloggt.) Eine gute Richtschnur dazu liefert mir Josia in seinen Sonntagsgedanken. Ich schreibe über das, was mich interessiert und umtreibt. Dazu werde ich wohl ein paar ungewohnte neue Tags einführen müssen. Wichtige Notiz an mich: Ich verpflichte mich der Offenheit und Ehrlichkeit (kein Schein!).

Den Anfang mache ich damit, dass ich die Kommentarfunktion wieder freischalte. Jutta hat nämlich recht: Ohne Austausch ist so ein Blog nur eine halbe Sache. Es würde mich freuen, wenn ihr dabei wärt. Bevor ihr das tut, noch ein (Datenschutz)Hinweis: Wenn ihr einen Kommentar postet, sammle ich persönlich von euch keine Daten. Aber Google tut das. Das kann ich nicht ändern. Was ihr ändern könnt: Seid euch bewusst, was mit euren Daten passiert und dass ihr sie schützen könnt. Macht euch schlau. Installiert euch zum Beispiel ein Programm, das Tracker erkennt.

Mittwoch, 30. Mai 2018

Mehr Mut zur Sperrigkeit

Gestern, auf Facebook, da ist mir ein Post meines Autorenkollegen Tobias Elsässer ins Auge gesprungen. Nicht wegen eines Bildes, sondern gerade, weil der Post ohne Bild, dafür sehr lang daherkam. Ich wusste: Da wird dir gleich etwas erzählt, das dich interessiert. Ich irrte mich nicht. Was Tobias da geschrieben hatte, interessierte mich nicht nur, es hätte mehr oder weniger direkt aus meiner Schreibfeder stammen können.

Tobias schreibt von "sperrigen" Texten und AutorInnen. Mit "sperrig" ist das gemeint, was um den Mainstream herumschwimmt, oder sogar gegen den Strom ankämpft. Und wie schwer es diese Autoren und ihre Titel zuweilen haben. Im Verlag und im Buchhandel.

Tobias hat mir die Erlaubnis gegeben, seinen Text hier im Blog zu verwenden. (Danke, Tobias!) Nachfolgend könnt ihr seinen Post lesen, mit Zitaten aus dem Text, die mir besonderns eingefahren (CH-Wort für "unter die Haut gegangen") sind.

Bevor ich zu seinem Post komme, hier eine kleine Auswahl seiner - wunderbar - sperrigen Bücher.


Jetzt aber! Der Post von Tobias:

Nach dem Buch ist vor dem Buch. Als Autor der Gegenwart und in Deutschland, sollte man eigentlich zufrieden sein. Man ist in einem der größten Märkte beheimatet, die es für Bücher gibt. Es gibt eine groß angelegte Leseförderung und man wird für Lesungen und Workshops fair bezahlt. Jedoch spürt man auch einen immensen Produktionsdruck, da die Anzahl der Titel stetig steigt, die Leserzahl schrumpft und die Verweildauer eines Buches im Handel immer geringer wird. 
Schaut man sich die Büchertische an, so wird man erschlagen von leidenschaftslosen, am Reißbrett entworfenen Titeln, die so zielgerichtet daher kommen, wie das neueste Shampoo von Schwartzkopf oder irgendeiner anderen Marke. "Me too" steht in der Buchbranche nicht für sexuelle Übergriffe, sondern für das Kopieren aktueller Trends.  
Jeder größere Verlag heftet sich an die Fersen aktueller Bestseller, um ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Wer als Autor ein neues Buch anbietet, muss mit einer Reihe vergleichbarer (erfolgreicher) Titel aufwarten. Und natürlich tut er das auch brav. 

Anmerkung von mir: Und wenn sie - also ich - es nicht brav tut, dann fragt der Buchhandel beim Verlag nach, wann dann endlich wieder ein "echter" Gabathuler rauskommt. Und bevor ihr fragt: Ja, da schreit man dann ganz laut: "Das aktuelle Buch von mir IST ein echter Gabathuler, hab's ja selber geschrieben, aber einfach mal in eine andere Richtung, und NEIN, ich suche mir nicht für jedes Buch, das anders ist als die anderen "echten" Gabathuler ein Pseudonym. Alles, was ich schreibe, kommt aus mir raus, und ich bin eine einzige Person, eine einzige Autorin.

Oft frage ich mich, wie viel Kreativität auf der Strecke bleibt, weil man aus Angst vor Ablehnung, gleich in Marketing-Sprech argumentiert. Das Marketing hat mittlerweile gemeinsam mit dem Vertrieb das Ruder in den Verlagen übernommen. Verkaufszahlen müssen her.
Sperrige Titel sollen (ohne sie zu bewerben) das Programm abrunden. 
Anmerkung von mir: Weshalb es schon mal vorkommen kann, dass am Vortag deiner CH-Buchvernissage in den Social Media deines Verlags nicht auf die Vernissage deines Buches aufmerksam gemacht wird - wie auch die Tage und Wochen zuvor nicht - sondern auf des 30-minütige Live-Auftauen des Spitzentitels des Verlags. Bevor ihr fragt: Ja, das tut höllisch weh und das macht höllisch wütend, und ja, das ist ein Mitgrund, weshalb mein letztes Buch auch das letzte war, das ich für den Verlag geschrieben habe, in dem meine Jugendbücher erschienen sind.

Mutig ist kaum noch einer, sie zum Spitzentitel zu machen. Dass das Schreiben von guten Büchern viel Zeit in Anspruch nimmt, scheint in Vergessenheit zu geraten. Alles muss schnell sein, alles passend, alles an Trends ausgerichtet.
Als Autor zahlreicher, sperriger Jugendromane, wünschte ich mir (auch von mir selbst) und anderen Autoren und Verlagen, wieder mehr Mut zu haben. Das Buch nicht zum austauschbaren Produkt zu degradieren, das nur Teil einer Wertschöpfungskette ist, sondern Leben verändern und vielleicht sogar retten kann. Es ist nicht nur Papier zwischen zwei Buchdeckeln, nicht nur ein paar Stunden Unterbrechung zwischen Netflix und WhatsApp, es ist die Möglichkeit, ein neues Kapitel seiner eigenen Biografie aufzuschlagen, genauer hinzuschauen, seine Filterblase zu verlassen und seinen eigenen Klang im lauter werdenden Rauschen dieser Welt zu finden.
Anmerkung von mir: Ich wünsche mir das auch, habe aber sehr viele meiner Illusionen verloren. Eine Weile habe ich deshalb mit dem Schreiben ganz aufgehört. Die Motivation zum Weitermachen kommt von Jugendlichen, die mir an den Lesungen Rückmeldungen geben, von Mails, die mir bewusst machen, dass ich Menschen erreiche, nicht die grosse Masse, aber Menschen, denen meine Bücher etwas bedeuten. Ich schreibe wieder. Sperriges Zeug. Im Moment auch etwas Luftig-Lockeres. Mit viel Freude an meinen sperrigen Hautpfiguren. Ich arbeite auch an der Neuauflage eines meiner Riesenflops. Weil ich sie total mag, diese Flop-Geschichte. Herausgeben werde ich sie bei BoD. Ich habe mit mir selber eine Wette laufen. 52 Stück möchte ich mindestens verkaufen. Das sind nicht die Tausende, die Verlage und Buchhändler verkaufen wollen (und auch müssen, damit sie überleben können). Das reicht für ein schönes Abendessen zusammen mit Herrn Ehemann. Und damit ist auch gesagt, worauf das bei mir wohl hinausläuft: Schreiben als Hobby. Wenn Jugendliche bei Lesungen jeweils fragen, ob ich vom Schreiben leben kann, dann antworte ich: "Noch - aber immer knapper." Und füge an: "Wenn ich von den Einnahmen aus den Buchverkäufen leben müsste, wäre das dann wohl ein Leben unter der Brücke oder auf dem Campingplatz." Es sind die Lesungen, die mir - noch - ein einigermassen würdiges Einkommen bescheren. Autorenschicksal halt. Darüber zu jammern ist müssig. Wie Sohnemann es mal treffend ausgedrückt hat: "Musst halt Fantasy schreiben. Verkauft sich wie blöd." Heute wäre das dann wohl eher Romantasy. Ist nicht mein Ding. Dazu bin ich zu sperrig.

PS von mir: Ja, das Schreiben von Büchern braucht Zeit. Ich erkläre das in Lesungen so: Pflanzen im Garten wachsen langsam. Wenn man sie überdüngt oder an ihnen zerrt, um das Wachstum zu beschleunigen, gehen sie kaputt.