Freitag, 14. Februar 2025

Von Absagen und Abzockern


Ab und zu erhalte ich Anfragen von Jugendlichen, die an einem Buchprojekt arbeiten. Sie bitten mich um ein kurzes Interview, schriftlich oder - seit einer Weile - per Zoom. Wenn sie früh genug anfragen, findet sich immer ein Zeitfenster. Ich gebe gerne Auskunft und freue mich jedes Mal über den Austausch.

Manchmal jedoch muss ich Antworten geben, die nur schwer einzustecken sind. Zwei Beispiele aus jüngster Zeit

Beispiel 1: Eine Anfage, auf die ich passen musste

Die Mail war kurz und auf den Punkt. Ob ich ein paar Fragen für eine Projektarbeit rund ums Buch beantworten könne. Au ja, dachte ich und öffnete die angehängte Datei. Die Frageliste war endlose drei Seiten lang. Es ging um Arbeitsprozesse rund um das Schreiben, die Buchproduktion, Verlage und das Self Publishing. Also eigentlich um alles. 

Ich war überfordert. Inhaltlich und zeitlich. Hätte ich die Fragen auch nur einigermassen ernsthaft beantworten wollen, wäre dabei ein kleiner Schreibratgeber mit persönlicher Erfahrung geworden. Einen Moment lang habe ich mir überlegt, die Fragen als Podcast zu beantworten. Aber ich realisierte schnell, dass ich diesen Podcast in eine ganze Serie hätte ausweiten müssen. Kurz: Für mich war diese Anfrage eine Mission Impossible. Ich konnte nicht anders, als auf die Mail mit einer Absage zu antworten.

Beispiel 2: Verlagssuche

Jemand hatte das eigene Buchprojekt fertig und wollten damit auf Verlagssuche. Die Frage an mich: "Wie mache ich das am besten?" Weil das Thema Verlagssuche ein ziemlich endloses ist, habe ich kurz die wichtigsten Punkte erklärt und ansonsten einmal mehr auf Andreas Eschbach verwiesen, der zu allen Fragen rund ums Schreiben, die Verlagssuche und das Selfpublishing auf seiner Webseite sehr brauchbare Tipps gibt.

Kurze Zeit später bekam ich eine Antwort. Zwei Verlage hätten sich schon gemeldet. Bei mir klingelten sämtliche Alarmglocken. Ich schaute mir die Sache an und warnte. Verwies auf eine Webseite, auf der aufgeführt ist, was ein seriöser Verlag ist und was nicht. Derweilen machte einer der beiden Verlage ein Angebot: Mit 13'000 Franken sei man in diesem Fall dabei. Dreizehntausend Franken. Da werden Träume von Menschen gnadenlos ausgenutzt. Das ist nicht nur Abzocke, das ist Oberabzocke vom Allerfiesesten, bei der man den allergrössten Teil seines Geldes verliert. Ich habe sehr heftig abgeraten. 

Ganz wichtig: Seriöse Verlage nehmen kein Geld! Sie bezahlen das Lektorat, das Cover, das Korrektorat, das Marketing usw. aus eigener Tasche und bezahlen dem Autor / der Autorin Tantiemen. Anders ist es im Self Publishing. Aber dort entscheidet man selber, wie viel Geld man für diese einzelnen Kostenpunkte, für die ansonsten der Verlag aufkommt, auszugeben bereit ist. Generell gilt: Der Weg zum veröffentlichten Buch ist kein einfacher und noch immer lauern unseriöse Verlage jenen auf, die sich zu wenig auskennen und denken, es sei normal, dass man für ein Buch bezahlen müsse.

Was ich aus diesen zwei Anfragen mitnehme: Es ist Zeit, meinen YouTube Kanal wieder aktiver zu gestalten und / oder einen Podcast zu starten, um dort auf ausführlich auf die verschiedensten Askepte und Fragen rund um das Schreiben einzugehen. Damit ich bei zukünftigen Anfragen darauf verweisen kann.  

Freitag, 7. Februar 2025

Wie man zu vertraulichen Informationen kommt


Ganz einfach: Fahrt mit der Bahn. Ohne Kopfhörer.

Persönliche Dramen, vertrauliche Firmeninterna, Kundennummern, Telefonnummern, in all das werdet ihr eingeweiht. Und nein, ihr müsst dazu nicht einmal die Ohren spitzen. Diese Informationen werden durch den ganzen Wagon posaunt, in dem ihr gerade sitzt, denn aus irgendwelchen mir unbekannten Gründen reden Menschen beim Bahnfahren unglaublich laut in ihre Handys.

Kürzlich erfuhr ich auf diese Weise die Mailadresse einer Firma, ihren Provider, ihre Kundennummer und die Handynummer des Anrufers. Weil ich gerade Notizen zu einer meiner geplanten Geschichten machte, hätte ich alles locker mitschreiben können. Habe ich natürlich nicht. 

Oder dann war da dieser Mann in ungefähr meinem Alter, der zwischen Sargans und Thalwil an verbalem Durchfall litt. Ich wusste nach kurzer Zeit, für wen er arbeitet, bei welcher Partei er ist, dass er einen Vorstandsposten sucht oder sonst etwas, wo er seine Erfahrung einbringen kann. Er beendete ein sehr privates Gespräch über seine kranke Mutter im Spital und einem kleinen Familientreffen mit einem "tschau, herzallerliebschts Käthi", redete mit dem Telefonbeantworter von jemandem, der wahrscheinlich an der Nummer erkannte, wer anrief und sich lieber nicht meldete. Was ich verstehen würde, denn der Mann beklagte sich darüber, dass ihn die angerufene Person nie zurückrufe. Als nächstes rief er seine Versicherung/Krankenkasse an, erklärte, dass er ihren Anruf leider verpasst habe und fragte, was so dringend sei, ob er einen Wettbewerb gewonnen hätte. Hat er nicht, was ihn sehr enttäuscht, aber leider nicht zum Schweigen gebracht hat, denn er wählte schon die nächste Nummer und rief er jemandem an, dem er verriet, er gehe nach dem Spitalbesuch noch seinen Weinhändler besuchen. Der Mann redete immer noch, als wir in Thalwil ausstiegen, er redete auf dem Perron weiter und ich suchte - genau - das Weite, denn er wartete auf den gleichen Anschlusszug wie ich. Ich fürchte, der gute Mann redet immer noch.

Ich habe endlos viele Telefonate wie diese gehört. Manchmal denke ich, wenn ich jemanden ausspionieren müsste, würde ich ihm einfach folgen und warten, bis er in einen Zug einsteigt. Danach hätte ich wahrscheinlich meine Informationen plus noch vieles mehr, das ich gar nicht wissen wollte.

Stoff für Bücher gäbe es allemal. So als Hobby habe ich mir jetzt Psychoanalysen angewöhnt. Der herzallerliebscht-Verbaldurchfall zum Beispiel ist ein ziemlicher Loser, der sich für einen allseits beliebten Gutmenschen hält. War das jetzt zu hart? Dann verzeiht. Menschen beim Telefonieren zuhören zu müssen, kann zur Qual ausarten. Da wünsche ich mir gelegentlich eine Voodoo-Puppe. Oder Noise-Cancelling-Kopfhörer.

Die wollte ich mir zu Weihnachten kaufen, also die Kopfhörer, nicht die Voodoo-Puppe. Hab's versemmelt. Ich muss das so schnell wie möglich nachholen. Und solange ich noch keine habe, überlege ich mir, beim nächsten Mal zu der telefonierenden Person hinzusitzen und ganz interessiert zu gucken. Oder alternativ dazu Kochrezepte in mein Handy zu brüllen. Oder die Zahl Pi runterzurattern, bis hin zur tausendsten Stelle nach dem Komma.

Vielleicht müsste ich auch einfach erste Klasse fahren. Dort sind die Firmeninterna wahrscheinlich noch delikater. Wäre ich eine Erpresserin aus einem meiner Bücher, würde ich .... ah ... ich glaube, ich habe gerade eine Ausgangslage für einen neuen Krimi gefunden.

Wenn ihr noch spannenden Gesprächsstoff für die nächste Party sucht oder ein Buch schreiben wollt oder Psychologie studiert und Fallbeispiele benötigt oder euch einfach amüsieren und/oder quälen wollt: Fahrt Bahn. Nirgendwo kommt ihr zu intimeren und persönlicheren Informationen als dort.

Freitag, 31. Januar 2025

Zwei Franken zwanzig


In den Bergen war Schnee gefallen. Die Webcam zeigte eine Traumlandschaft in Weiss. Ich entschied spontan, in den Winter zu fahren. Eine Tasche voller Lebensmittel, eine Tasche mit meinem Büro. Laptop und Handy dabei, sämtliche wichtigen Kabel eingepackt. Alles parat. Es konnte losgehen. Ich fuhr Richtung Berge. Mit jedem zurückgelegten Kilometer ging es mir besser. Bis mir kurz vor Flims einfiel, dass ich meinen Geldbeutel vergessen hatte. Keine Bankkarte, kein Twint, der Notgroschen in der Handyhülle weg (weil auch kürzlich schon ohne Geld unterwegs). Na gut, dachte ich. Du hast Futter dabei und im Haus in den Bergen hat es immer Schokolade und Kekse. 

Wenn ich jeweils nach Flims aus dem Tunnel fahre liegt die Surselva vor mir, eine Landschaft, die mich an Kanadas Weite erinnert. Ich fühle mich bei diesem Anblick jedes Mal frei und habe das Gefühl, direkt in ein Abenteuer zu fahren. Diesmal noch mehr als sonst, denn ich war ohne Geld unterwegs. Ich drehte die Musik auf, sang laut mit und lenkte den Wagen tiefer in die Surselva hinein.

Irgendwann bog ich von der Hauptstrasse ab und mit jedem Höhenmeter nahm auch die Schneehöhe zu. Die Einfahrt zum Haus war zugeschneit. Ich parkte den Wagen beim Schreiner etwas weiter unten im Dorf und ging zu Fuss zum Haus. Check: keine Schokolade, keine Kekse. In der Schublade, wo manchmal ein Notgroschen liegt, lag eine ganze Menge, aber kein Notgroschen. Dafür fand ich in meiner Jackentasche einen Zweifränkler und ein Zwanzigerräppler. Ich war also nicht komplett blank.

Erst einmal schaufelte ich die Einfahrt frei, holte das Auto, trug Futter und Bürotasche ins Haus, verräumte die Sachen und machte es mir gemütlich. Auf dem Stubentisch lagen die beiden Geldstücke. Ich lachte. Weil ich mich wieder fühlte wie damals als Kind, als ich mit meinem bisschen Taschengeld im Laden stand und mir überlegte, was man mit zwanzig Rappen kaufen kann (ein Zweifränkler wäre damals für mich ein unermesslicher Reichtum gewesen).

Der Entscheid fiel am nächsten Morgen, es war ein strategischer Vernunftsentscheid: Milch. Keine Kekse, keine Schokolade. Nein - Milch. Die war nämlich knapp, weil ich nur wenig von zuhause mitgenommen hatte, denn ich wollte ja in den Bergen noch einkaufen gehen (öhmmm ...) Milch, weil ich mit Milch meine tägliche Portion Porridge zubereite; Milch kann ich auch ins Müesli geben, das fast so gut schmeckt wie Kekse. Und mit Milch und Kakaopulver kann man eine heisse Schokolade machen.

Also lief ich los. Richtung nächstes Dorf, zum Dorfladen. Mit meinem Geldschatz in der Jackentasche. Die zwei Franken zwanzig, die ich nach einem Einkauf vor ein paar Tagen locker als ein bisschen unnützes Restmünz in die Tasche gesteckt hatte, kamen wir vor wie ein kleines Vermögen. Ich fotografierte die Münzen im Schnee, drehte sie in den Händen, steckte sie in die Tasche und griff immer wieder danach.

Die Milch kostete CHF 1.95. Ich überlegte kurz, nur einen halben Liter zu kaufen und mit dem Rest ein Brötchen, aber der halbe Liter kostete CHF 1.20 und ein Brötchen im Minimum CHF 1.20. Sprich, beides zusammen überstieg meine finanziellen Möglichkeiten. Also kaufte ich den ganzen Liter. Mir blieben fünfundzwanzig Rappen. Das Bezahlen war Freude pur. Ich habe selten so gerne eingekauft und hatte selten so viel Spass dabei.

PS: Was für mich ein Spiel gewesen ist, ist für andere bitterer Ernst, Tag für Tag. Das Überlegen, was man mit seinem letzten bisschen Geld noch macht, wenn es nicht für alles reicht und man keine Vorräte hat, auf die man zurückgreifen kann. Wenn man verzweifelt überlegt, wie man über die Runden kommen soll. Und weiss, dass es theoretisch gar nicht möglich ist, praktisch aber doch irgendwie jeden Monat geht. Es sollte nicht einfach "irgendwie doch noch gehen". Und darum müssen wir unseren Sozialeinrichtungen Sorge tragen. Was passiert, wenn man sie wegsparen will, kann man grad in den USA beobachten. 

Freitag, 24. Januar 2025

Der Kettensägenmann

Der Kettensägenmann. Als Titel für einen Thriller etwas zu reisserisch, aber perfekt für einen Horrorfilm. Wir würden uns gruseln, die Zaghaften unter uns wahrscheinlich beim Showdown die Augen schliessen und danach denken: Na ja, ziemlicher Schrott. Aber nur ein Film.

Der Kettensägenmann. Es gibt ihn. Er hat einen Namen, blaue Augen, hasst queere Menschen, findet Frauen gerade gut genug, um dem Mann zu dienen, zu kochen und Kinder zu gebären und auch sonst hat er für die meisten Menschen nur Verachtung übrig. Er liebt die Macht und das Geld und er ist Präsident eines Landes in Südamerika.

Der Kettensägenmann. Der Mann ist zu Gast in der Schweiz. Konkret in Davos. Am WEF. Wo man so tut, als wolle man die Welt retten, aber in erster Linie dem Geld und der Macht huldigt. Und jenen, die vorzugsweise beides haben. In Davos sind sie unter sich und ihresgleichen. Gut, es gibt Ausnahmen. Mit irgendwas resp. mit ein paar eingeladenen Menschen aus dem Fussvolk muss man zumindest noch so tun, als ginge es nicht nur ums Geld und die Macht. 

Der Kettensägenmann. Dem ist das Fussvolk lästig. Zu faul, zu arbeitsscheu, zu gierig. Aber das lässt sich ändern. Zum Beispiel mit einer Kettensäge. Mit der mäht der Kettensägenmann sein Land und sein Volk um, macht es wirtschaftstauglich, also so, dass das mit der Kohle wieder stimmt. Zu welchem Preis, das fragt niemand, sind ja nur menschliche Werte, die er da niedermäht, also nichts, woraus sich Geld machen lässt. Es ist das Resultat, das zählt.

Der Kettensägenmann. Er ist nicht nur nach Davos eingeladen worden, er durfte auch eine Rede halten. Also hat er geredet. Na ja, falls man das Hinausschleudern von Hass als reden bezeichnen kann. Ganz ehrlich: Hätte man erwarten müssen, wenn man so einen einlädt. So weit, so normal. Und dann: Unsere Wirtschaftsführer und Politiker hören zu. Applaudieren. Okay, zum Teil verhalten und zum Teil gar nicht. Aber die Wörter sind raus. Gehen um die Welt. Ich frage mich, ob unsere Wirtschafts- und Politiktiere danach ihr Rückgrat gesucht haben. Ob sie beim nächsten Gang zur Toilette den Blick in den Spiegel vermieden haben. 

Film aus. Abspann. Kurze Pause. Und dann - wie bei fast allen schlechten Filmen - gibt es einen Teil zwei. Der Kettensägenmann II. Der war nicht körperlich da, sondern wurde live dazu geschaltet. Und weil er nie die II sein kann, ist er der beste Präsident ever. Ever ever. Ever ever ever. Plus wunderful und sonst noch alles an Superlative.

Der Kettensägenmann II aka bester Präsident ever ever ever kam gerade von der Arbeit. Musste 1600 Leute begnadigen, die mit seiner Billigung das Kapitol gestürmt haben - und sonst noch ein paar Dinge wie Gelder für die Armen streichen, das mit der Geschlechterfrage ein für allemal klären, den Golf von Mexiko und einen Berg umbennen, sich dazwischen überlegen, wie der seine Massendeportationen durchführen will und ein bisschen Prozentrechnen für seien Tarife anstellen. Aber natürlich nahm er sich Zeit für die Reichen und Mächtigen in Davos. Alle etwas weniger reich und mächtig als er und seine coolen Tech-Bros, aber hey, was für eine Chance, den Europäern mal so ordentlich die Kappe zu waschen und dabei gleich auch noch ein paar andere Dinge klarzustellen.

Der Kettensägenmann II aka bester Präsident ever ever ever redete also. So, wie er halt immer redet. Und die Wirtschafts- und Politiktiere hörten zu. Applaudierten. Ein Rückgrat, das man nicht mehr hat, kann ja auch nicht mehr wehtun. Und der Blick in den Spiegel? Nun, vielleicht war da Stolz drin, weil man dazugehört. Oder Angst, weil man Angst hat, nicht dazuzugehören, wenn man nicht mitmacht.

So Leute, und jetzt zu uns. Wir haben verdammt noch mal ein Rückgrat. Ja, es ist schwierig, gegen eine geballte Ladung Macht und noch viel mehr Reichtum anzukommen. Aber es gibt schon ein paar Dinge, die wir tun können: Nicht in Gleichgültigkeit verfallen. Aufmerksam und empathisch bleiben. Werte leben. Dort, wo wir die Chance haben, unsere Stimme erheben, dort, wo es zu viel wird, NEIN, zu sagen. In der Schweiz können wir abstimmen (ich habe gerade die Neuauflage der Konzernverantwortungsinitiative unterschrieben). Wir können Politiker und Politikerinnen wählen, die für Werte einstehen, die uns wichtig sind. Wir können uns mit Gleichgesinnten zusammentun, ohne Andersdenkende mit Hass einzudecken. Wir können unseren Kindern und Enkeln vorleben, dass Geld nicht alles ist. Wir können dem Hass die Liebe entgegensetzen. Unser Ziel muss es sein, nicht Argentinien zu werden und schon gar nicht die USA. Noch sind wir nicht so weit. 

Davos liegt in der Schweiz. Ich weigere mich, daran zu glauben, dass die Schweiz Davos ist. Wir können das besser und menschlicher.

Freitag, 17. Januar 2025

Kannst du davon leben?


Stell dir vor, du bist an einem Fest oder irgendeinem offiziellen Anlass, jemand fragt, was du beruflich machst, du sagst "Krankenschwester/Lehrerin/Polizistin/Architektin/Zahnärztin/Schreinerin/an dieser Stelle dein Beruf" und dein Gegenüber hakt nach und fragt dich: "Kannst du davon leben?" 

Blödes Stell-dir-vor-Beispiel, denkst du, so was fragt doch niemand.

Doch.

Wenn du Autorin bist. Oder Musikerin. Oder Bildhauerin. Oder Tänzerin. Dann kommt diese Frage meistens gleich nach der Frage nach dem Beruf.

Kürzlich hat mir das die Mutter einer jungen Frau erzählt, die einen tollen Beruf in der Kulturbranche hat. Einen, für den man sehr hart arbeiten muss, einen, für den man sehr viel können muss, einen, den nur sehr wenige Menschen ausüben und in dem man sehr lange bestehen und sich beweisen muss, bis man wirklich genug Geld damit verdient. Diese Mutter sagte zu mir: "Meine Tochter trifft das. Die Frage tut ihr weh. Passiert dir das auch?"

Yap, das passiert mir auch. Die Frage kommt fast immer, sobald ich sage, was ich arbeite. Wenn sie im Laufe eines längeren Gesprächs gestellt wird, geht es ja noch. Wenn sie ganz am Anfang kommt, ist das unhöflich, unanständig und übergriffig wie die Hölle. Es würde mir umgekehrt ja nie einfallen, meinem Gegenüber diese Frage zu stellen.

Natürlich können die wenigsten von uns Autor:innen, Musiker:innen, Bildhauer:innen usw. vom Beruf alleine leben. Das ist nicht unser Fehler, das liegt in der Natur der Sache. Wir wissen das auch und die meisten von uns beschweren sich nicht darüber, sondern suchen sich einen Brotjob, schlagen sich durch und kommen irgendwie klar. Das wissen auch die, die uns die Frage stellen. Also: Warum stellen sie sie dann? Um Salz in unsere Wunden zu streuen? Um uns zu zeigen, wie nutz- und brotlos unser Job ist? Um danach herumerzählen zu können, dass auch die xy nicht von ihrem Beruf Autorin leben kann? Um sich bestätigt zu fühlen?

Oder ist es Interesse an meinem Beruf? Das nehme ich nur jenen ab, die nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und mir die Frage nicht am Anfang stellen. Interesse wäre zu fragen: Was schreibst du? Warum? Was gefällt dir am Schreiben? Arbeitest du an einem Buch? Wann kommt es raus? Was ist das Schöne an deinem Beruf? Was ist das Schwierige an deinem Beruf?

Wahrscheinlich muss fast jede und jeder von uns mit einer berufstypischen Frage rechnen. Ihr kennt sie alle auch, diese Fragen, bei denen berufstypische Klischees bedient werden und ihr innerlich mit den Augen rollt. Da muss man durch. Ja. Aber ganz ehrlich: Die Frage nach dem Geld ist schon eine ganz eigene Kategorie, vor allem in einem Land wie der Schweiz, wo der unausgesprochene Konsens herrscht, dass man nicht über Geld redet. 

Zurück zur Mutter, die mir diese Frage gestellt hat. Sie wollte wissen, was ich antworte, wenn mir das passiert. Ob ich einen Rat für ihre Tochter hätte. Den habe ich: sich nicht kleinreden/kleinfragen lassen (siehe diesen Blogpost). Wir haben dann auch ein paar gute Antworten gefunden, falls diese Frage das nächste Mal gleich am Anfang gestellt wird:

"Ach, wissen Sie, die Million reicht einfach nicht so ganz ... Sie kennen das ja."
"Und wie sieht es bei Ihnen aus? Können Sie von Ihrer Arbeit leben?"
"Die staatlichen Subventionen sind wirklich krass geil. Davon lebt es sich locker."
"Und was ist Ihre sexuelle Ausrichtung?"

Bis jetzt habe ich noch keine dieser Antworten gegeben. Ich bin mittlerweile beim: "Ja, ich kann." (Und leider fühle ich mich auch gemüssigt zu erklären, dass das nur geht weil ... und dass das nicht alle können, weil ..., aber es ist so, dass ....) Wenn ich es mir jedoch so richtig überlege, werde ich nächstes Mal, wenn mir diese Frage gleich am Anfang gestellt wird, auf eine der obigen Antworten zurückgreifen. Aus Spass an der Freude. Um zu sehen, wie mein Gegenüber rot anläuft. Muss ja nicht immer ich diejenige sein, die etwas betroffen oder genervt aus der Wäsche guckt.

PS: Die Frage, die meistens gleich nach der Verdienstfrage kommt ist entweder "Und? Wie verkauft sich dein neues Buch?" oder "Wie oft hat sich dein am häufigsten gekauftes Buch verkauft?" Die ist übrigens auch nicht viel besser ...