Das setzte ich als einzigen Punkt auf die To-Do-Liste im Bullet Journal.
GENIESSEN. Gemeint waren die Solothurner Literaturtage, zu denen ich mit meinem Buch
Mittelstreifenblues - völlig unerwartet - zum dritten Mal eingeladen war. Da es wohl meine letzte Einladung an die Literaturtage war, hatte ich mir vorgenommen, tief einzutauchen und die Zeit dort zu geniessen. Kleiner Vorausspoiler: Es ist mir zu 100 Prozent gelungen.
Ich reiste am Montag an, checkte in meinem (wunderschönen) Zimmer in einem Altbau direkt am Fluss ein, stellte erst einmal den Schreibtisch von der Wand ans Fenster mit Blick auf die Altstadt und richtete mich dann gemütlich ein. Bis zum Nachtessen setzte ich mich an den Schreibtisch, führte mein Bullet Journal nach, guckte nach draussen und fühlte mich so richtig als Autorin. Nach all den Monaten, in denen ich hauptsächlich als Verlegerin gearbeitet hatte, war es genau der passende Zeitpunkt für diesen bewussten Rollenwechsel.
Am Abend waren die Autor:innen vom JuKiLi (Jugend- und Kinderliteratur) Solothurn zu einem gemeinsamen Abendessen eingeladen. Für mich war kein vertrautes Gesicht dabei, was eine neue aber auch sehr gute Erfahrung war. Auf all den Lesetouren, an denen ich bis vor ein paar Jahren teilnahm, traf ich immer wieder auf liebe und bekannte Gesichter. Diesmal war es anders. Ich lernte neue Berufskolleg:innen kennen, alle spannend und mit tollen Projekten. Es entwickelte sich ein unterhaltsamer, interessanter Austausch mit Menschen, die für ihre Arbeit brennen. Wie ansteckend das war! Wie gut das getan hat.
Am Dienstagmorgen traf ich mich mit Autorin Karin Bachmann zu einem sehr langen Brunch, am Nachmittag hatte ich dann meine erste Lesung aus dem Buch Mittelstreifenblues. Bestens betreut von meiner Ansprech- und Kontaktperson Rico und dem Techniker Ramon. Weil Mittelstreifenblues ein stilles, ruhiges Buch ist, das zwar viel Handlung aber nicht wirklich viel Action hat, war ich mir nicht ganz sicher, wie die Lesung funktionieren würde. Es wurde dann auch etwas stiller und ruhiger als sonst, aber es war wunderschön.
Der Mittwochmorgen stand ganz im Zeichen von Lesungen. Zwei waren es, eine vor einer sehr grossen Gruppe, eine mit einer sehr kleinen. Zu meiner Freude fand ich heraus, dass auch Lesungen aus
Mittelstreifenblues fröhlich, witzig und lebhaft sein können. Die stillen Passagen aus dem Buch passten trotzdem bestens in diese Lesung hinein. Für mich war diese Lesung ein Highlight. Bei der kleinen Gruppe wurde der Austausch persönlich; weil es sich um sehr leseschwache Jugendliche handelte, wünschte ich mir jedoch, ich hätte mein da bux Buch
Voll Risiko dabeigehabt; es hätte besser gepasst. Ich habe gar nicht so viel vorgelesen, sondern viel mehr erzählt und vor allem den Austausch gesucht, der die Lebenswelt der Jugendlichen berücksichtigte. Fazit der drei Lesungen: Jede war anders als die andere, jede war einzigartig und schön.
Am Nachmittag traf ich mich mit Autor Franco Supino zu einem Kaffee. Für einmal ging es gar nicht so sehr ums Schreiben, sondern um viel Persönliches und Privates. Und am Abend holte ich Herrn Ehemann vom Bahnhof ab, der das lange Wochenende mit mir in Solothurn verbrachte.
Am Donnerstag gingen wir beide wandern und entdeckten dabei für uns die ehemalige Cellulose-Fabrik Attisholz, die heute ein derart cooles Kulturareal ist, dass wir beinahe nicht aus dem Staunen rauskamen. Wir streiften endlos lange über das Gelände, blieben immer wieder stehen, ich fotografierte wie wild und konnte gar nicht fassen, dass es so einen Ort wirklich gibt. Mein Tipp: hingehen und ansehen. Unbedingt.
Am Abend fand die Eröffnungsfeier statt. Viersprachig. Mit rätoromanischer Begrüssung. Die Feier wurde zu einer Würdigung der Solothurner Autorin
Gertrud Wilker, die dieses Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Leider ist ihr Werk in Vergessenheit geraten, aber dank einer engagierten Historikerin, die die Literaturtage an diesen Geburtstag erinnerte, durften wir diese spannende Autorin entdecken. Einerseits durch ihre Originaltexte, andererseits durch Interpretationen von Autor:innen, Übersetzerinnen und einer Illustratorin, die live Collagen schneidet. Ich sass wie gebannt auf meinem Stuhl und habe mich keine Sekunde gelangweilt oder das Gefühl gehabt, hier werde ein Pflichtprogramm heruntergespult. Dass das Catering danach der absolute Wahnsinn war, hat den Abend schlicht perfekt gemacht.
Am Freitag durfte ich Teil einer Podiumsdiskussion über Serien im Kinder- und Jugendbuchbereich sein. Der Saal war voll, das Publikum sehr interessiert, der Moderator hat perfekt durch den Anlass geführt. Mit mir auf dem Podium sassen Barbara Russlow und Katja Alves.
Zu keiner Zeit war ich vor einem der Anlässe nervös oder aufgeregt. Ich habe mich einfach nur gefreut darauf. Es war ein Miteinander, ein Aufeinander-Eingehen, ein Austausch mit und unter Begeisterten. Ich weiss, dass das viel zu schön klingt, um wahr zu sein, aber genau so habe ich es empfunden. Ich habe unendlich viel aus diesen Begegnungen mitgenommen.
Am Freitagnachmittag und Abend trafen wir noch einmal gute und liebe Berufskolleg:innen. Es war ein Heimkommen, ein Ankommen, ein Ernten von all dem, was in den letzten Jahren an Gutem gewachsen ist. Das hat all das Negative, das Schwierige, das Frustrierende, das Harte, das es in diesen Jahren als Autorin auch gegeben hat, relativiert, kleiner und weniger wichtig gemacht, hat mich spüren lassen, dass das, was ich tue, richtig und gut ist, dass man seinen Weg auch in einem sehr schwierigen Umfeld gehen kann. Aber auch, dass man die Wahl hat, wie man seinen Weg gehen will.
Den letzten Tag in Solothurn haben wir mit Wandern verbracht. Zwanzig Kilometer der Aare entlang. Ein Traum. Die Verleihung des Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreises habe ich sehr bewusst ausgelassen, weil sie mich an all das Negative der vergangenen Jahre erinnert hätte. Und so wurde der Tag zum perfekten Abschlusstag in Solothurn.
Mit nach Hause genommen habe ich das Brennen für meinen Beruf. Ein Brennen, wie ich es seit Jahren nicht mehr gekannt habe. Und einen ganz klaren Blick darauf, wie ich als Autorin weitermachen möchte. Dazu dann mehr in einem anderen Blogpost.
Ich wünsche euch Leidenschaft und viel Feuer für das, was ihr tut. Versucht zu brennen. Und wenn das nicht geht, sucht nach dem Funken, der euch daran erinnert, weshalb ihr mal mit dem angefangen habt, für das ihr vielleicht nicht mehr so brennen könnt. Denn wenn ihr den Funken findet, könnt ihr das Feuer wieder entzünden. Alles Gute. Tragt euch Sorge.