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Sonntag, 2. Februar 2014

Geballte Wut

Ich habe viel gelesen die letzten Tage. Das letzte Buch, bevor ich mich wieder in meine eigenen Texte stürze, war Geballte Wut (mehr dazu siehe am Ende der Besprechung) von Petra Ivanov. Nun bin ich im Fall von Petra Ivanov sozusagen gefühlsmässig positiv vorbelastet. Will heissen: Ich mag ihre Bücher, ich mag ihre Art zu schreiben, ich mag es, wie sie mit ihren Figuren verschmilzt, ich mag die Themen, die sie aufgreift. Petra Ivanov gehört für mich zu den herausragenden Autorinnen der Gegenwart.

(Anmerkung: Damit bin ich nicht alleine. Wo immer ich auf meinen Lesetouren hinkomme und sie erwähne, beginnen Augen zu leuchten, stapeln sich die Superlative, entwickelt sich ein Gespräch über ihre Figuren und ihre Geschichten).

Geballte Wut ist ein mutiges Buch. Eines, vor dem Verlage schon mal zurückschrecken. Zum Glück ist Petra Ivanov beim Appenzeller Verlag sehr gut aufgehoben, einem Schweizer Verlag, bei dem individuell und mutig keine leeren Schlagwörter sind, sondern wörtlich zu nehmende Adjektive, die zu einem guten, speziellen und - wie ich jetzt einmal behaupte - einzigartigen Buchprogramm führen.

Geballte Wut ist ein mutiges Buch, weil es die Geschichte eines Jugendlichen erzählt, der ein verabscheuungswürdiges Verbrechen begangen hat, dessen Opfer zwar überlebten, aber ein Leben lang gezeichnet sein werden. Sebastian, der jugendliche Täter, kommt aus einem gutbürgerlichen Elternhaus, hat materiell alles.  Und dennoch wird er zu einem Täter, den wir - wäre Petra Ivanov nicht in ihn hineingeschlüpft wie in eine zweite Haut - nicht verstehen würden. Es ist auch so schwierig genug, ihn zu verstehen (es gelingt nicht immer), aber durch Petra Ivanov gewinnen wir Einblicke in sein Inneres, die Sebastian gegen aussen nicht zulässt. Beklemmend, wie er am Ende des Prozesses nach der Frage, ob er noch etwas zu sagen hat, in einen unendlichen Gedankengang eintaucht, den wir nachlesen können, am Ende jedoch nichts sagt.

Schon in früheren Büchern hat Petra Ivanov zu Bildern gegriffen, wenn sie ihre Jugendlichen etwas ausdrücken lassen möchte, für das sie keine Worte finden. Diesmal nimmt sie Billard zum Symbol, eröffnet damit die Geschichte und lässt sie auch damit enden. Dazwischen verlässt sie nie, nicht für einen Moment, die Perspektive. Sie bleibt in der Haut des Jugendlichen. In einer Erzählsprache, die keinen Moment unstimmig oder falsch klingt. Sie beschönigt nichts, sie erklärt nichts, sie analysiert nicht (die Analysen bekommen wir nur durch Sebastian vermittelt, wenn er über seine Therapiesitzungen berichtet). Nur die einzelnen Kapitel beginnen mit Gesetzesparagraphen und Regeln, fast so, als könne man mit dieser kühlen, amtlichen Sprache den Schrecken dämmen, das Unfassbare fassen, Sinn in das Unsinnige bringen.

Geballte Wut ist nicht nur ein mutiges Buch, es ist auch ein sehr gutes Buch. Eines, bei dem alles stimmt. Eines, das nicht so schnell wieder loslässt. (Würde ich hier Sterne vergeben, wären es fünf von fünf).
 
 «Die drei Richter starren mich schweigend an, genauso die Zuschauer und die Journalisten. Sie haben genug über meine Person gehört. Sie wissen, wer ich bin: Sebastian Bischof. 20 Jahre alt. Schreinerlehrling. Immer noch Jungfrau (das wissen sie hoffentlich nicht). Seit knapp zwei Jahren in einem Massnahmenzentrum untergebracht. Davor im Knast. Auf der Beobachtungsstation. Auf Abwegen. Jetzt wollen sie hören, was ich getan habe.»
Sebastians Leben ist eine einzige Abwärtsspirale. Seine Eltern sind von seinen schulischen Leistungen enttäuscht, Freunde hat er kaum. Eine Lehrstelle findet er nur dank der Beziehungen seines Vaters, eines Zahnarztes an der Zürcher Goldküste. Einzig im Billardspielen ist Seb wirklich gut. Als er dabei Isabella kennenlernt, scheint sein Leben eine Wende zu nehmen. Doch es kommt anders als erwartet. Statt auf sicheren Boden führt ihn diese Beziehung aufs Glatteis. Unfähig, sich aufzufangen, schlittert Seb geradewegs in eine Katastrophe.

PS: Petra Ivanov liest an der Buchmesse Leipzig. Die Termine findet ihr hier. Mein Tip: Hingehen und zuhören!

Donnerstag, 30. Januar 2014

Familienpoker

Nach der schweren Kevin Brooks Kost war mir nach etwas Leichtem, Witzigem und dennoch Spannendem. Zeit also, den neuen Sunil Mann endlich zu lesen. Ich geniesse jede Zeile. Köstlicher Wortwitz, herrliche Dialoge (guckt euch den Trailer an, dann wisst ihr, was ich meine), schräge Einfälle, witzige Seitenhiebe auf die (Zürcher) Szenis, skurile, liebenswerte Figuren und eine prall gefüllte Geschichte. .

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PS: Und heute - nach total guten Morgenlesungen und einer Einladung zum Essen mit den Jugendlichen aus dem Kochkurs - auf dem Weg zum Hotel das neue Jugendbuch von Petra Ivanov gekauft: Geballte Wut. Darauf freue ich mich auch schon.

Mittwoch, 29. Januar 2014

Extrem verstörend

Ich habe tatsächlich das neue Jugenbuch von Kevin Brooks verpasst. The Bunker Diary erschien letztes Jahr und hat es geschafft, an mir vorbeizugehen. Für die Lesetour habe ich mir das eBook heruntergeladen und mich darin verloren, mit immer bangerem und beengterem Herzen. Am Ende hat es mich völlig verstört ausgespuckt. Ich ahnte worauf es hinausläuft, ist ja ein Kevin Brooks Buch, aber in seiner absoluten und totalen Konsequenz hat es mich überfordert. Ich hätte den Autor anschreien mögen. Ich wünschte mir, ich hätte das Buch nicht gelesen, oder zumindest nicht zu Ende gelesen. Ja, ich mag es düster. Aber das war mir zu viel. Nun muss ich irgendwie damit klar kommen. Denn: Es lässt nicht los. Es verfolgt. Es wirft Fragen auf. Für mich vor allem die Frage nach der Hoffnung. PS: Ich bin auf Lesetour und meine Handtaschenmaschine mag blogger nicht. Sie macht keine Absätze und ermöglicht mir keine Links. Deshalb auf diese Weise. The Bunker Diary - http://www.amazon.de/The-Bunker-Diary-Kevin-Brooks/dp/0141326123/ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1391025252&sr=8-2&keywords=kevin+brooks+bunker

Donnerstag, 2. Februar 2012

The Age of Less und das Überleben

Konsumwut. Die Konzentration auf immer weniger Weltkonzerne. Der Glaube an ein besseres Leben nur dank Wirtschaftswachstum. Eine Welt, die auf Geld, Geld, Geld und nochmals Geld baut. Das Einfordern von Leistungsbereitschaft und Flexibilität bis zum letzten gehechelten Atemzug. Der Schein, der das Sein schon längst verdrängt hat. Eine Welt, in der der stromlinienförmig Angepasste überlebt und jener, der von der Norm abweicht verdrängt wird. All dem möchte ich den Rücken kehren. Und ich weiss, dass ich damit nicht alleine bin. Es gibt Dinge, die jeder von uns tun kann, getreu dem Motto, dass man im Kleinen beginnen kann. Die Welt muss nicht so sein, wie sie ist. Wir können sie ändern. Nicht von heute auf morgen, nicht in einem grossen Knall, aber wir können Gegenpunkte setzen. Und viele Gegenpunkte erzeugen einen gesunden Gegenwind. Daran glaube ich.

Es gibt Bücher, die sich mit genau dieser Thematik auseinandersetzen und nachdem ich in einer Fernsehsendung auf den Autor von The Age of Less, David Bosshard, aufmerksam geworden war, ging ich hin und bestellte mir das Buch. Im Blindflug, ohne hineingelesen zu haben. Schon auf der zweiten Seite hatte ich genug. Nachfolgend ein Originalzitat mit Originalklammern, Originalkursivtext usw.

"Das mag für eine Welt noch durchgehen, in der es klare (Befehls-)Hierarchien und einige happy few - die wenigen Glücklichen - gibt. Aber nicht für eine Welt des (demokratischen oder autorität herbeibefohlenen) Massenwohlstandes, in der die Erwartungen der grossen Masse nach immer mehr Premiumisierung geweckt werden. "Even if you're not rich, you can fake it" war vielleicht das wichtigste Motto der letzten Jahrzehnte, wunderbar und repräsentativ dargestellt in den Untersuchungen von Michael Silverstein und Neil Fiske: Trading up: "The new American Luxury (2003). Denn das "Trading up" war auch - in der zeitgemässen Sprache der Finanzmärkte - ein sogenanntes "Leveraging" (wörtlich "aushebeln") von Erwartungen, und wer nun endlich einen BMW fuhr, Starbucks-Kaffee trank oder ein Boss T-Shirt trug, war fake rich - gefälscht reich.

Ich habe dann ziemlich lustlos noch eine Weile weitergelesen, mich gefragt, warum der gute Mann das Buch nicht gleich in Englisch geschrieben hat, viele Seiten überhüpft und dann bei den "Sieben Typen, die das Age of Less prägen" nur noch müde gelächelt. Kurz: Much less (better nothing) wäre "mehr" gewesen. Gelernt habe ich: Nie wieder kaufe ich ein Buch, ohne eine Leseprobe gelesen zu haben!

In die gleiche Thematik passt das Jugendbuch Überleben, in dem ein Mulitmillardär seine Famile vor dem Atombombenangriff in den endlos grossen, endlos luxuriösen Bunker verfrachtet, den er über Jahre gebaut hat, in der Gewissheit, dass der Atomkrieg eines Tages Realität werden würde. Dabei bleiben ein Zwillingsbruder und die Grossmutter schon am Anfang auf der Strecke. Das Buch setzt im Jahr sechs ein. So lange lebt die Familie schon im Bunker. Es zeichnet sich ab, dass die Vorräte nicht die ganzen fünfzehn Jahre halten werden. Der Vater arbeitet auf Hochtouren an Ersatzlösungen, die der Ich-Erzähler nach und nach enthüllt und damit ziemlich viel Grauen freilegt. Immer deutlicher und grösser werden die Risse, die durch die Familie gehen und schlussendlich geht es ums nackte Überleben.

Ich habe das Buch verschlungen, obwohl es ein paar kleine (nicht sehr störende) Haken hat und mir das Finale fast zu viel ist. Was für ein Kontrast zu The Age of Less, das an seinen Ansprüchen scheitert. Wenn es darum geht, welches Buch in Bezug auf Klarheit und Aussagekraft weit vorne liegt und dem Leser mehr bietet, ist die Antwort für einmal glasklar.

Dienstag, 10. Januar 2012

Wie ein Flügelschlag

Ich hatte Post in meiner Mailbox. Betreff: "Guck mal." Weil ich immer gerne gucke, wenn jemand, den ich sehr mag, mich dazu auffordert, ging ich also gucken. Und jetzt sage ich euch: GUCKT MAL! Aber nicht nur. LEST AUCH. Es lohnt sich. Versprochen.

Montag, 9. Januar 2012

Memory Error

Die letzten zwei Bücher, die ich gelesen habe, waren Bücher für Erwachsene. Eine blöde Bezeichnung: Bücher für Erwachsene, nicht wahr? Vielleicht sage ich es anderes rum: Es waren keine Jugendbücher. Das macht die Sache noch viel blöder. Denn: Jugendbücher sind immer auch Bücher für Erwachsene. Aber das ist ein Thema für sich ... (und ich kann mich an anderer Stelle dann mal über die Bezeichnung "Jugendbuch" auslassen).

Gelesen habe ich:

Kevin Brooks, Schlafende Geister. Seinen ersten Erwachsenenroman. Ich habe lange überlegt, ob ich das Buch lesen soll. Ich habe gezögert. Und ich hätte es vielleicht bleiben lassen sollen. Zu viele Klischees. Hart, aber fast durchgehend ohne diese wahnsinnige Poesie, die seine - auch harten - Jugendbücher so besonders macht.

Lisa Unger, Für immer sollst du schweigen. Ich stand am Bahnhof und bemerkte, dass ich kein Buch hatte. Also ging ich mir eins suchen. Das war gar nicht so einfach. Ich liebe Krimis und Thriller, aber ich habe die Nase voll von Serienkillern, die so blutig wie möglich (auch Kinder) misshandeln und schlachten. Ich mag auch keine saufenden Ermittler mehr, die irgendein Elend ertränken müssen (genau so einen hat Kevin Brooks leider). Kurz bevor ich aufgrund der Klappentexte aufgab (blutdrünstige Serienkiller / saufende Ermittler) fand ich das Buch von Lisa Unger. Ich las die erste Seite und dachte: Na ja, zur Not geht das ja. Es ging dann viel mehr als zur Not, weil es weniger um das Verbrechen als um die Figuren ging, die sich im Leben verheddert haben. Zudem kann die Frau wirklich gut schreiben.

Aber so richtig satt hat mich keines dieser Bücher gemacht. Weshalb ich als nächstes zu einem Jugendbuch griff. Ich kaufte das Buch, weil mir der Titel und der Klappentext gefielen. Fertig gelesen habe ich es noch nicht, ich bin noch nicht einmal in der Hälfte, aber ich kann jetzt schon sagen: DAS ist ein Buch, das mir unter die Haut geht. Es hat mir bewusst gemacht, was den anderen beiden fehlt. Es ist messerscharf und total unsentimental geschrieben, das Thema packt, die Figuren sind so echt, dass man sich fragt, ob die Geschichte eine wahre Geschichte ist. Das ist, was ich lesen möchte. So möchte ich schreiben. So und nicht anders. Und so ist das Buch auch ein Wegweiser für mich. In diese Richtung soll meine Schreibreise (weiter)gehen.

Das Buch heisst Memory Error. Geschrieben hat es T.A.Wegberg, eine Autorin, von der ich noch nie gehört habe. Leider. Wenn ihr dem Link folgt, klickt auf "Blick ins Buch". Es lohnt sich.