Dienstag, 1. September 2020

Von Lesungsabsagen und Honorarausfällen - oder - die Sache mit der Planungssicherheit

Die Ski-Destinationen hätten sie gerne. Die Sportclubs hätten sie gerne. Die Wirtschaft generell hätte sie gerne. Die Planungssicherheit. Doch die gibt es in Zeiten von Corona nicht. Und eigentlich hat es sie nie gegeben. Nur so etwas Ähnliches, nämlich die Gewissheit, dass normalerweise im Winter irgendwann irgendeine Schneemenge liegt, auf der man den Wintersport ausüben kann. Dass Fussball und Eishockey und andere Sportanlässe üblicherweise stattfinden usw. Ganz verlassen konnte man sich darauf nie, man dachte und handelte aufgrund von Erfahrungswerten und verliess sich auf einen gefühlten Normalfall.

So etwas wie Planungssicherheit gibt es in einem Autorenleben eigentlich nicht. Auf jeden Fall weniger als anderswo. Du weisst nie, wann und ob du für dein nächstes Buch einen Vertrag bekommst, ob und wie viele Lesungen du haben wirst, ob unerwartet nicht doch noch Einnahmen auftauchen, mit denen du nicht gerechnet hast. Die Planungssicherheit bei Autoren stand also schon immer auf wackligen Beinen.

Dann kam Corona, und Planungssicherheit wurde für sehr viele zu etwas, das es nicht mehr gab. Versicherungen zahlten mit Hinweis auf das Kleinstgedruckte nicht. 

Zum Glück schnürte unsere Landesregierung gleich zu Beginn des Lockdowns ein finanzielles Hilfspaket, in dem zu meiner Überraschung ausdrücklich auch die Kulturschaffenden enthalten waren. Zu meinem privaten Glück hatte ich in den Vorjahren genügend verdient und versteuert, um den Honorarausfall für meine 42 abgesagten Lesungen erstattet zu bekommen, von der SVA in Form von Erwerbsersatz. Plötzlich war ich Autorin auf dem Hochseil MIT Netz und doppeltem Boden. Im Gegensatz zu ganz vielen Berufskolleg*innen im In- und Ausland, die vom Teilausfall bis zum totalen Ausfall alles hatten und von denen nicht wenige finanziell am Abgrund stehen.

Die Meldefirst für das Hilfsprogramm endet am 20. September. Damit bin ich wieder ungesichert auf dem Hochseil unterwegs. Lesungsanfragen für die zweite Jahreshälfte habe ich. Bestätigte Termine auch. Mein Workshop morgen findet trotz krankheitsbedingten Abmeldungen von Kursteilnehmenden statt. Die weitere Zukunft hängt von den Corona-Fallzahlen und den damit verbundenen Massnahmen ab. Der Rest steht planungsunsicher in der Zukunft.

Und die sieht so aus: Vor mir liegt eine Vereinbarung für eine Lesungswoche, die ich unterschreiben soll. Mit einer Klausel am Ende.

xyz (Veranstalter) übernimmt die Kosten nicht, falls die Lesungen coronabedingt nicht stattfinden könnten.

Ich verstehe den Veranstalter voll und ganz. Aus seiner Sicht. Er hätte Ausgaben, ohne etwas davon zu haben. Es gibt aber auch die Sicht von mir Autorin. Und die sieht so aus: Ich weiss nicht, ob die Lesewoche stattfinden wird und ob ich in dieser Woche Geld verdienen kann und werde. Trotzdem muss ich mir diese Woche beruflich und privat freihalten. Dafür trage ich, wenn die Lesungen ausfallen, das ganze finanzielle Risiko alleine, falls die Corona Hilfsmassnahmen nicht verlängert werden.

Dieser Veranstalter informiert wenigstens über das Risiko, das ich eingehe. Viele Lesungen im Frühjahr wurden einfach abgesagt, ohne ein Wort über einen Honorarausfall. Ein einziger Veranstalter hat gefragt, wie er mich entschädigen kann, ein oder zwei haben die Lesungen auf den Herbst geschoben, ein Lesungsveranstalter hat sich massiv für "seine" Autor*innen eingesetzt (danke, Richi, ich weiss das extrem zu schätzen!). Ich gehe davon aus, dass ich im schlimmsten Fall auch im Herbst einfach Absagen bekommen werde, vielleicht sogar kurzfristige, und dass die meisten Veranstalter automatisch und selbstverständlich davon ausgehen, dass sie das Honorar dann auch nicht bezahlen müssen, auch nicht wenigstens einen Teil davon.

Nein, ich will mich nicht beklagen. Ich habe immer gewusst, worauf ich mich einlasse, ich weiss es auch jetzt. Mein Verständnis für Veranstalter, die selber finanziell zu kämpfen und zu beissen haben, ist sehr gross. Trotzdem müssen für die Zukunft Lösungen gefunden werden, die beiden Seiten gerecht werden. Zum Beispiel Lesungsverträge mit klaren Vereinbarungen, die die beiden Parteien miteinander aushandeln. Dabei müssen wir einander die Luft zum Leben lassen. Es nützt ja nichts, wenn Veranstalter keine Lesungen mehr organisieren, weil sie nicht für etwas bezahlen wollen, dass dann nicht stattfindet. Es hilft aber leider den Autor*innen genauso wenig, wenn sie das ganze finanzielle Risiko alleine tragen müssen. Ideen sind gefragt. Vielleicht habt ihr ja Lösungsvorschläge. Dann schreibt sie doch unten in die Kommentare.

1 Kommentar:

Jutta Wilke hat gesagt…

Liebe Alice,
ich gehöre (aus Deutschland) zu denen, die von den weggebrochenen Veranstaltungen genau 0 Cent gesehen haben, sprich, mir sind seit März sämtliche Lesungen und Schreibworkshops abgesagt worden, nach einer Entschädigung hat nicht ein einziger Veranstalter gefragt und wenn ich es mal gewagt habe, nachzufragen, wurde ich ausgelacht. Dafür sei nun wirklich kein Geld da. Für mich heißt das, dass ich seit März auf etwa zwei Drittel meiner Gesamteinnahmen verzichten musste. Zwei Drittel deshalb, weil ich etwa ein Drittel mit meinem Nebenjob in einer Buchhandlung bestreite. Hätte ich diesen Nebenjob nicht, wären wir (drei Kinder und ich) vermutlich verhungert.
Ich habe aus der Situation gelernt. Denn jetzt kommen langsam weitere Anfragen, vereinzelt, für den Herbst. Und immer mit dem Nebensatz: "... falls coronabedingt ausfällt, dann zahlen wir nicht"
Normalerweise habe ich bisher gerade mit Schulen keine "richtigen" Verträge geschlossen, sondern die Lesungsvereinbarung wurde recht locker telefonisch oder per Mail getroffen. Jetzt habe ich mir Verträge gebastelt,die ich bei Anfragen den jeweiligen VEranstaltern dann zuschicke. Und in diese Verträge schreibe ich ein Ausfallhonorar von 50 % hinein. Damit komme ich aus meiner Sicht den Veranstaltern entgegen und sie aber auch mir, wir treffen uns in der Mitte. Noch habe ich keinen dieser Verträge verschickt, die Anfragen sind noch sehr verhalten. Aber ich bin gespannt, ob sie überhaupt unterschrieben werden oder ob ich dann gleich aus dem Rennen bin. Das ist nämlich das andere Problem hier in Deutschland: Es stehen viel zu viele AutorInnen in der Warteschleife, die liebend gernd auch für unterirdische Konditionen Lesungen veranstalten und jede Lücke gerne und sofort füllen.
Wir werden sehen. Aber zu letzterem bin ich nicht mehr bereit. Denn das mir das Wasser aktuell mehr als bis zum Hals steht, hat eben auch damit zu tun: mit der oft nicht vorhandenen Wertschätzung, die meinem/unserem Beruf entgegengebracht wird.

Liebe Grüße
Jutta