Ich habe mich lange mit der sehr engagierten Filialleiterin unterhalten. Es war ein gutes Gespräch, aus dem viele gute Ideen rangewachsen sind. Unter anderem haben wir auch darüber gesprochen, wie man das Schweizer Jugendbuch besser präsentieren könnte.
Am Nachmittag fuhr ich nach Pontresina ins Engadin. Dort deponierte ich mein Gepäck, rief Autorenkollegin Romana Ganzoni an, die in Celerina wohnt, und kündigte an, zu Fuss zu unserem Treffen zu kommen. Von Pontresina nach Celerina sind es nämlich nur rund 60 Minuten. Was ich zu jenem Zeitpunkt noch nicht wusste: Es sollten meine letzten Schritte auf Gras- und Wanderwegboden sein.
zwischen Pontresina und Celerina
bei Celerina
Am Abend begann es zu scheien, und ich wachte am Dienstagmorgen im Winterwunderland auf.
Die Lesung am Dienstagmorgen in Pontresina war ein Highlight. Herzlichen Dank an alle Beteiligten. Ich machte mich völlig beschwingt in Richtung Hotel auf - und dort machte ich einen Fehler. Ich checkte meine Social Media Accounts. Kollege Sunil Mann verkündigte freudig, nach elf Büchern auf der Autorenliste von TV srf aufzutauchen. Ich freute mich riesig für ihn, machte aber leider den zweiten Fehler: Ich checkte, ob ich vielleich auch ... natürlich nicht. Und blöderweise ging mir das an die Nieren. 20 Bücher geschrieben. 2 Preise gewonnen. 3 Auszeichnungen erhalten für Texte, die von Radio srf zu Hörserien vertont worden sind. Und auf der AutorInnenliste: die üblichen Verdächtigen. Und ja, das habe ich als genau so bitter empfunden, wie das jetzt klingt.
(Eine Anmerkung in Klammer: Ich habe von mehr als einem Schweizer Autorenkollegen / Schweizer Autorenkollegin den Rat bekommen, einfach mal ein Erwachsenenbuch zu schreiben, irgendeins, im Notfall einen Regionalkrimi, egal was, einfach irgendwas - damit ich auf das Regal mit den Schweizer AutorInnen komme. Diese Klammeranmerkung wird weiter unten noch eine Bedeutung haben.)
An der Nachmittaglesung kündigte mich die nette Bibliothekarin in Zuoz mit den Worten an: "Es ist schön die berühmte Schweizer Autorin Alice Gabathuler bei uns zu haben." Worauf ich sie korrigierte. Ich sei zwar Autorin, aber nicht wirklich Schweizer Autorin, und berühmt auch nicht wirklich, sondern eher so eine Zweitklassautorin, weil ich weder auf Listen auftauche noch in diesen schönen Regalen mit Schweizer AutorInnen. Und überhaupt, wer mich finden wolle, müsse mich schon unten im Keller oder in der kleinen Ecke hinter den Kinderbüchern suchen.
Wir haben herzhaft darüber gelacht. Und dann verriet mir ein Mädchen, dass sie meinen #no_way_out schon drei Mal gelesen hat. Ein anderes Mädchen sagte mir, sie habe alle vier Bände der Lost Souls Reihe schon zwei Mal gelesen. Ich habe vor Ergriffenheit beinahe geweint. Und dann war da auf dem Bahnsteig in Zuoz noch dieser Junge, der auf mich zukam und fragte: "Sie sind doch Frau Gabathuler. Sie haben vor ein paar Jahren bei uns gelesen. Ich habe ein Buch von ihnen gelesen und dann noch viele andere von ihnen. Ich finde ihre Bücher toll."
Jetzt bin ich nicht so sicher, ob mir das Karma all diese netten Rückmeldungen geschenkt hat, oder Sunil Manns Engel Gabriel, oder das Schicksal. Es ist egal. Ich lag am Abend im Bett und schrieb mir ein Manifest:
1. Du schreibst KEIN Buch für Erwachsene, nur damit du aufs Regal kommst.
2. Wenn du als Jugendbuchautorin nicht auf dieses verdammte Regal mit den Schweizer AutorInnen kommst, bist du halt eine Ausserirdische oder eine Wahlschottin.
3. Wenn du als Jugendbuchautorin in deinem Land von den Institutionen nicht ernst genommen und / oder ignoriert wirst (es gibt Ausnahmen, eine grosse ist Pro Helvetia), dann bist nicht du schuld, sondern die Institutionen.
4. Wenn das nächste Mal irgendein Witzbold aus deiner weiteren Verwandt- oder Bekanntschaft eine Bemerkung in der Art: "Ah, die Verslibrünzlerin // Du bist doch die, die Märli schreibt. // Wisst ihr, Alice schreibt so Tom und Jerry / Hucki und seine Freunde Geschichten, dann bleibst du nicht mehr nett und lächlest darüber hinweg (Grüsse an Romana und einen Riesendank!!!), sondern du redest mal eine Runde Klartext.
5. Du bist stolz darauf, eine Zweitklassautorin aus der Kellerecke zu sein, die Jugendbücher schreibt. Und du bleibst so eine. Jetzt erst und grad recht. HA! (Superwomanpose!) ...
(Anmerkung in Klammer: Ich hätte da diesen Erwachsenenkrimi auf meiner Maschine; wenn der fertig wird, veröffentliche ich ihn im Self Publishing unter Pseudonym und tu so, als sei ich Schottin).
6. (ähm ... das ist nicht zitierfähig - für jene, die mich kennen, das ist der Teil, in dem ein imaginärer Finger eine wichtige Rolle spielt)
Heute Morgen habe ich auf dem Weg von Pontresina in die Landschaft geschaut (der es egal ist, ob ich auf dem Regal mit den Schweizer AutorInnen stehe), habe fleissig fotografiert und mich übers und am Leben gefreut.
auf dem Weg zum Bahnhof in Pontresina
See in St. Moritz (ohne Filter, Farbaufnahme, es gab einfach heute Morgen keine Farben)
Nach der zweiten Lesung gab's Komplimente für die Krawallnacht. Eine Lehrerin liest die Bücher gerade mit einer Klasse, die überhaupt nicht gerne lesen - und die Geschichte von Alina und Kilian toll finden.
Und damit komme ich zu einem Fazit: Wir Jugenbuchautoren begeistern auf (zum Teil nicht gerade prickelnd toll bezahlten) Lesetouren Jugendliche für Bücher, bringen sie ihnen nahe, legen den Boden für späteres Lesen. Ich wünschte mir, all die Leute, die über uns hinwegsehen, würden nur einmal ein paar Minuten bei uns in einer Lesung sitzen und sehen und wertschätzen, was wir tun.
Aber Achtung, es gibt nicht viele von uns und es werden auch nicht unbedingt mehr. Wer was werden will, hier in der Schweiz, der schreibe Erwachsenenliteratur oder Kinderbücher. Aber ganz sicher keine Jugendbücher. Vor allem nicht "nur" (im Sinne von ausschliesslich).
Ich habe fertig.
Ich habe fertig.
1 Kommentar:
Liebe Alice,
ich -Jugendliche, Leseratte mit zu wenig Zeit und zu viel Stress- möchte jetzt doch einmal auf einen Deiner Blogeinträge antworten. Begeistert habe die die Lost Souls verschlungen. Mehrfach. Blue blue eyes, into black und die anderen Lieder liefen bei mir in Dauerschleife. Ich habe dann in der Stadtbücherei (nicht in der Schweiz sondern in einer Mittel-Großstadt in Deutschland) und im Buchladen nach mehr Büchern gesucht und auch einige gefunden. Mordsangst und Schlechte Karten fand ich toll, Hundert Lügen, wie auch die Lost Souls, schmerzhaft, manchmal kaum auszuhalten aber einfach so wunderschön, wichtig und gut. Auch Hundert Lügen habe ich mehrfach gelesen und daraufhin liefen bei mir wieder die Buch-Lieder in Dauerschleife - Dragon, The man who sold the world, Stormbringer und die anderen.
Vielen vielen Dank für Deine Bücher. Insbesondere die Lost Souls begleiten mich fast täglich, auch Manon und die ganzen großartigen Figuren, die scheinbar zufällig auftauchen - ob das ein Murphy ist, ein Elvis-Friseur oder einer der vielen anderen freundlichen Menschen, nach denen ich inzwischen immer Ausschau halte.
Ich freue mich wie verrückt auf Band 5 der Lost Soul, obwohl auch wieder diese Unruhe mitschwingt - was passiert diesen wunderbaren Menschen noch?
Alles Liebe und hör bitebitte nicht auf mit dem Schreiben!
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