Sonntag, 1. März 2015

1. Jugendliteraturtag Baden

Bei Anfragen für öffentliche Lesungen weise ich jeweils darauf hin, wie schwierig es ist, ein Publikum im Jugendliteraturbereich zu erreichen, nicht, um jemanden zu ver- oder gar abzuschrecken, aber es macht niemanden wirklich glücklich, wenn dann bei der Lesung 5 bis 10 Menschen (die Autorin, die Veranstalter und ein oder zwei Familienmitglieder mit eingerechnet) knapp die erste Reihe füllen. Für mich ist das weniger ein Problem, da ich keinen Grossaufmarsch erwarte; mir tun jeweils die Veranstalter leid, die viel Herzblut, Zeit und auch Geld in die Lesung investiert haben. Warum das so ist? Beim Wort "Jugendliteratur" fühlen sich Erwachsene (leider) nicht angesprochen, zumindest nicht in der Schweiz, wo die Jugendliteratur generell einen schweren Stand hat. Und Hand aufs Herz: Bei Jugendlichen steht so eine Lesung in der Freizeit nicht zuoberst auf der Prioritätenliste. (Bei Kindern sieht es etwas anders aus: Da kommen die Eltern mit den Kindern zusammen zur Lesung.)

Ich bin deshalb gestern zwar mit viel Vorfreude nach Baden an den 1. Jugendliteraturtag gefahren, aber nicht wirklich mit der Erwartung, ein grosses Publikum zu finden. Nicht an einem Samstag, nicht in der Freizeit der Jugendlichen, nicht ohne eine Klasse, die man bewusst eingeladen hat, damit die Ränge nicht leer bleiben. Mit etwas Glück, so habe ich gedacht, finde ich eine nette kleine Runde, mit der ich während der Lesung zusammensitze. Und dann trat ich in diesen wunderschönen Raum - mitten hinein in ein Gewusel. Traf auf engagierte Veranstalterinnen, auf freiwillige jugendliche Helfer hinter der Theke, auf Jungen und Mädchen, die einen ganzen Samstag in der Stanzerei Baden verbrachten, um mit den Icon Poets Geschichten zu würfeln, mit Juliane Blech Worte zu finden und zu verlieren, mir beim Erzählen und Lesen zuzuhören und am Ende von Michael Stauffer und Hans-Peter Pfammatter auf einen sprachlich-musikalischen Flug in eine verrückt-schräge Wortwelt mitgenommen zu werden. In den Pausen konnte man sich an einer Theke verpflegen, auf Sofas herumhängen und in Büchern schmökern, beim Buchstand vorbeigucken oder einfach zusammensitzen und reden und lachen.

Das Schönste: Rund herum glückliche Gesichter. Und ich dachte, was für eine wunderbare Belohnung das für den Mut der Veranstalterinnen ist, die es - schon beinahe wider die Vernunft - mit einem Jugendliteraturtag versuchten. Im Bewusstsein darum, vielleicht nur ein kleines Publikum zu finden. Ich bin sicher, es wird einen 2. Jugendliteraturtag Baden geben. Und ich hoffe, dass sich andere von diesem Mut anstecken lassen, und es ebenfalls versuchen. Nein, es ist nicht einfach, Jugendliche freiwillig für so etwas zu begeistern. Aber es kann funktionieren. Sehr gut sogar.

Dienstag, 24. Februar 2015

Jetzt aber! Vom Ideen spinnen.

Während ich darauf warte, dass das Manuskript zu Band 4 aus dem Lektorat zurückkommt und Herr Buchttrailermacher den Trailer für "White Sky" fertigstellt, erledige ich die Administration für meine nächsten Lesungen (der März wird ein heftiger Lesungsmonat!) und entwickle zusammen mit meinem Autorenkollegen Michael Hamannt ein Konzept für ein neues Projekt. Wir beide wollten schon vor Jahren gemeinsam ein Buch schreiben, waren dann aber mit eigenen Projekten bis über die Halskrause beschäftigt und fanden schlicht die Zeit nicht. Jetzt aber!

(Anmerkung: "Jetzt aber" scheint so etwas wie mein Motto des Jahres zu werden.)

Also: Jetzt aber! Michael und ich haben eine (tolle) Geschichte, die Figuren sind entworfen, die Perspektivenwahl geklärt. Es macht ungeheuer Spass, mit Michael in einem Ping-Pong-Austausch zu arbeiten. Es ist ein gegenseitiges Anspornen, ein Anstecken mit Ideen, ein "Au ja, und dann könnten wir ..." Ich geniesse diese Zusammenarbeit sehr. Sobald das Konzept fertig geschliffen ist, werden wir uns an die Leseprobe machen.

Gleichzeitig treiben mich eine alte und eine neue Idee um. Die alte stammt aus einem Konzept, das ich einmal für einen Verlag gemacht habe. Die Leseprobe dazu gefällt mir so gut, dass ich immer mal wieder darauf zurückkomme und an ihr weiterwerkle. Und dann ist da diese neue Idee, die mit Drachen. Die dreht sich auch in meinem Kopf. Vage noch, aber ich spüre, wie sie sich mehr und mehr einnistet.

Ob all dem vielen Ideen spinnen darf ich das Schreiben nicht vergessen. Im Oktober wartete eine Deadline auf mich. Noch liegt sie in weiter Ferne, guckt mich ab und zu schläfrig an und wendet sich dann wieder ab. Der friedliche Eindruck täuscht. Denn eigentlich ... eigentlich liegt der Oktober schon beinahe um die Ecke.

Montag, 23. Februar 2015

Vorlesen mit der Stoppuhr

Am 16. Mai lese ich auf Einladung der Schweizer Botschaft an der Buchmesse in Prag. Dazu musste ich mich a) für ein Buch und b) für zwei Lesepassagen à zehn Minuten entscheiden, die ins Tschechische übersetzt werden.

Für das Buch hatte ich mich schnell entschieden: #no_way_out,  mit dem ich den Hansjörg-Martin-Preis gewonnen habe. Bei den Lesestellen wurde es schwieriger. Normalerweise lese ich quer aus dem Buch vor, manchmal mehrere Seiten, dann aber auch nur eine Seite oder weniger. Den Rest fasse ich erzählend zusammen. Ein solches Stückwerk darf und kann ich dem Übersetzer nicht zumuten. Also sass ich heute Morgen mit der Stoppuhr da und las mir aus dem #no_way_out vor. Und da wurde es plötzlich ganz einfach und klar. Vor allem aber neu und schön. Weil ich die "leisen" Passagen nicht mehr einfach ausblenden kann, sondern mitlesen muss. Diese da, zum Beispiel:

"Ich wollte nicht darüber nachdenken. Ich wollte nie mehr über etwas nachdenken. Ich wollte auch keine Bilder und keine Stimmen in meinem Kopf. Es hätte etwas gegeben, das alles ausgelöscht hätte. Die Gedanken, die Bilder, die Stimmen, mich. Ich hätte nur ein Stück zurückgehen müssen. Bis zur Brücke. Achtzehn Meter hoch. Ein Sprung. Aus. Fertig. Stille. Für immer. Ich war zu feige dazu."