Sonntag, 20. Dezember 2020

Ohne Filter

Ich mag hier gar nicht so viel schreiben. Das habe ich anderswo getan. Fast jeden Morgen habe ich meine Gefühle ungefiltert in die Tasten fliessen lassen und in Form von Morgenmails an meine Freundin Jutta Wilke verschickt. Für sie muss ich keinen Social Media Filter über mein Herz legen. Da kann und darf alles raus. Bei ihr und bei mir. Gestern haben wir unsere Mails auf die Sekunde zeitgleich abgeschickt, ohne es geplant zu haben. 

Es waren harte Wochen, in denen ich meine Grenzen erreichte. Es waren Wochen, in denen ich mein Vertrauen in dieses Land und seine Gesellschaft verloren habe. Es waren Wochen, in denen ich mich fragte, ob ich je auf irgendeinem Boden meiner Gefühlswelt ankomme, oder ob ich mich in einem endlosen Wurmloch befinde. Es gab und gibt Momente, in denen ich Angst habe, dass mein Herz bricht.

Und trotzdem.

Ich bin angekommen. Ob ganz unten oder im Auge des Sturms, das weiss ich nicht. Es ist eine grosse Ruhe in mir, am frühen Morgen glaube ich zuweilen sogar, sie in meinem Körper summen zu hören. Ich nehme diese Ruhe dankbar an. Und bette mein Herz darin.

Werdenbergersee, auch ohne Filter

Donnerstag, 19. November 2020

Eine Bratpfanne, ein kotzender Fisch, ein Video und Corona

Keine Bange, ich habe nicht den Verstand verloren. Mir geht es gut. Auch wenn der Titel dieses Posts wohl zu einem anderen Schluss führen könnte. 

Ich beginne mit der Bratpfanne und dem kotzenden Fisch. Beides gehört zum Inventar und Personal einer ganz speziellen Anthologie. Augenblicke heisst sie. Geschrieben haben die Texte Kinder und Jugendliche von der 4. bis zur 9. Klasse. Thema: Das Leben mit Corona. Ich hatte die grosse Freude und Ehre, Teil der Jury zu sein, welche die Texte ausgewählt und bewertet hat.

Entstanden sind die Geschichten während der ersten Coronawelle. Am nächsten Samstag hätte das Buch Premiere in einem Luzerner Kino. Ja, hätte. Konjunktiv. Denn die zweite Coronawelle hat den Anlass weggespült. Er findet aber trotzdem statt. Live auf YouTube. Am 21. November ab 14.00 Uhr.

Und damit komme ich - einen Tag zu spät - zur versprochenen Info über das Video, das mich 99 Trillionen Nerven gekostet hat: Ich habe einen kurzen Glückwunschclip für die Buchpremiere aufgenommen. Und dann tapfer gegen die Tücken meines neuen Filmbearbeitungsprogramms angekämpft. Das Resultat - samt Bratpfanne und Fisch - hänge ich euch ans Ende des Posts.

Vertiefte Einblicke in die Anthologie, meine Juryarbeit und ein Interview mit Carlo Meier, dem Herausgeber, findet ihr in meiner neusten YA-Kolumne auf Qultur. Hier der Link.

Wer die Buchpremiere am Samstag live verfolgen möchte und / oder den Jugendlichen beim Vorlesen ihrer Geschichten zuschauen und zuhören möchte, der folge bitte diesem Link.

Wenn ihr noch eine Lektüre für euch oder ein Weihnachtsgeschenk für eure Lieben sucht: Augenblicke, erschienen beim STORYPark Verlag, ist in allen online- und realen Buchläden erhältlich. Ich schlage euren lokalen Buchladen vor, ganz im Sinne von "Buy local". 


Montag, 16. November 2020

Corona, die Technik und ich

Die letzte Woche hat mich gleich mehrfach verschlungen:

Mich hat die Coronapolitik von Bund und Kanton in ein sehr tiefes Loch geworfen. Eins, das nur noch mit Zynismus und Sarkasmus auszuhalten gewesen ist. Aber es ist so: Wenn du zynisch und sarkastisch wirst, machst du dich und dein Seelenleben kaputt. Das wollte ich nicht. Deshalb habe ich heftig an meiner inneren Einstellung gearbeitet. Ich verhalte mich so, wie es für mich stimmt und vernünftig ist. Was andere entscheiden und tun, kann ich nicht beeinflussen, also lebe ich damit. Man könnte es gesunden Fatalismus nennen. Oder Gelassenheit. Ich ziehe die Gelassenheit vor, auch wenn ich mich nicht an die Meldungen der Todesfälle gewöhnen kann und mich das Verhalten der Menschen öfters grob irritiert (das ist jetzt sehr nett formuliert, aber ich will ja nicht mehr zynisch sein).

Dann hat mich die Technik bis in meine letzte Nervenzelle herausgefordert. Und das gleich an zwei Fronten. 

Mein altes Filmschneideprogramm ist gleichzeitig mit meinem alten PC gestorben. Ich fand das nicht tragisch, weil ich mir Photoshop sowieso neu kaufen musste und es gleich in der erweiterten Version tat, nämlich zusammen mit dem Filmbearbeitungsprogramm. Dass ich mich in dieses erst einmal einarbeiten muss, war mir klar. Dass ich dabei das eine oder andere Hindernis überwinden muss, war mir auch klar. Aber dass Film- und Tonspur meiner Videos NICHT übereinstimmten, das hätte ich nicht erwartet, weil sich die Filme auf allen anderen Portalen, auf denen ich sie geöffnet habe, völlig normal abspielen liessen. Ich brauchte rund acht Stunden und gefühlte 99 Trillionen Nerven, bis ich eine Lösung fand. Danach fühlte ich mich wie die Königin der Welt, weil ich a) durchgehalten und b) selber auf die Lösung gekommen war. Und dann schnitt ich das Video, das ich bis gestern Abend einsenden musste (mehr dazu am Mittwoch).

Das zweite Technikproblem hat mit meinen Online-Lesungen zu tun. Je nach Schule werden andere Programme verwendet, je nach Programm verläuft nicht alles reibungslos beim ersten Mal. Deswegen machen die Schulen und ich einen Testtermin aus. Dieses Mal findet die Lesung über Microsoft Teams statt. Ich hatte eine Einladung, konnte auch chatten, aber eine Videokonferenz? No way. Bis ich herausfand, dass Firefox und Microsoft sich wohl so spinnefeind sind, dass das mit Firefox gar nicht geht. Also wechselte ich auf Microsoft Edge, aber auch hier gab es Hürden zu nehmen. Als die Lehrerin und ich uns endlich sehen konnten, haben wir beide so was wie ein kleines Hallejuja gerufen. Nun sind wir parat. Die Lesung wird morgen stattfinden.

Was mir in dieser Zeit sehr geholfen hat: Die Spaziergänge in der Natur, zusammen mit mir sehr lieben Menschen.

Extrem gut läuft es an einer anderen Baustelle. Ich habe mir Ende Oktober vorgenommen, jeden Wochentag 60 bis 90 Minuten mit dem Buchsatz von deadendcom zu verbringen. Was soll ich sagen? Es funktioniert prima. Ich komme voran. Heute bin ich bei Seite 220 von 288 angelangt. Während ich also fast täglich ein Stück weiterkam, hat die Agentur bürosüd das Buchcover fürs Self Publishing parat gemacht. Ich verwende auch in diesem Fall - wie bei den Lost Souls - das Originalcover. Für die Self Publishing Ausgabe muss es überarbeitet werden (altes Verlagslogo und alte ISBN raus, CARGO44 Logo und neue ISBN Nummer rein). Einmal mehr war die Zusammenarbeit mit bürosüd eine Freude: schnell, freundlich, unkompliziert.

Fazit: Mir geht es gut, ich habe eine Menge gelernt und ich komme voran. Ich finde, das sind gute Nachrichten :-)

Mittwoch, 28. Oktober 2020

dead.end.com reloaded - oder - choose happy

Ich weiss gar nicht mehr so genau, wann der Thienemann-Verlag dead.end.com aus dem Programm genommen hat. Was ich weiss: Es war zu einer Zeit, als ich paradoxerweise bei Lesungen vermehrt auf dead.end.com Klassensätze gestossen bin. Leider erfuhr ich einmal mehr erst vom Ende eines Buches, als der Verlag schon fast keine mehr hatte. Ich habe dann die wenigen Exemplare gekauft, die noch bei Thienemann lagerten und habe auf meiner Webseite auf meinen kleinen Notvorrat hingewiesen. Heute sind nun die letzten Exemplare an eine Schule weg.

Ich weiss auch gar nicht mehr so genau, wann ich die Arbeit am dead.end.com Buchsatz für das Self Publishing unterbrach. Wahrscheinlich im Sommer, als es heisser wurde. Auf jeden Fall vor dem Implodieren meines PCs. Als ich die Datei dann auf dem neuen System öffnete, verschnetzelte es sie, weil sämtliche lizenzfreien Schriften, die ich mir im Laufe der Jahre auf mein altes Maschinchen geladen hatte, weg waren. Schnell zeigte sich: Eine der Schriften war für immer weg. Blöderweise die Titelschrift im Buchinnern. Damit pulverisierte sich ein grosser Teil des Layouts. Die Zeilen am Ende der Buchseite spielten verrückt. Ich seufzte einmal tief, schloss die Datei wieder und verschob die Arbeit auf später.

Jetzt - wo die letzten Notfallexemplare weg sind - ist dieses Später da. Ich habe mich heute Morgen wieder an den Satz gemacht, habe Schriftgrössen und Abstände neu definiert und formatiert und den Fliesstext von Neuem perfekt sitzend gemacht. 25 Seiten habe ich in diesen ersten 60 Minuten geschafft. Viel länger will ich im Normalfall die täglichen Arbeitseinheiten für diesen Buchsatz nicht machen. Es kann also noch eine Weile dauern, bis das Buch wieder erhältlich ist, aber ich arbeite daran. 

Weil ich mir Schriften, Schriftgrössen, Abstände usw. immer IRGENDWO aufschreibe, habe ich eine Tendez, diese wichtigen Informationen entweder sehr lange suchen zu müssen oder gar nicht mehr zu finden. Das soll ab heute anders werden. Ich schreibe mir all diese Schriften und Zahlen in mein neues, wunderschönes choose happy Notizbuch. 

 Choose happy ist übrigens auch das Motto, an dem ich mich in diesen verrückten Zeiten orientieren will. Es gelingt mir nicht immer. An manchen Tagen rollt der neue Corona-Alltagswahnsinn über mich weg wie eine riesige Welle, ich verliere den Boden unter den Füssen und bin ausschliesslich damit beschäftigt, wieder auf die Beine zu kommen. Nicht, weil ich Angst vor Corona habe (ich habe Respekt vor dem Virus, aber keine Angst), sondern aus Frust darüber, wie unsere Landes- und Kantonsregierungen sehenden Auges in die Katastrophe gerannt sind. Und über all die Menschen, die die Situation auf die allzu leichte Schulter nehmen und das Gefühl haben, sich an keine Sicherheitsmassnahmen halten zu müssen.

Zum Glück bin ich umgeben von wunderbaren Menschen, die diesen neuen Alltag mit mir leben und sinnvoll füllen. Einer dieser Menschen ist Jutta Wilke. Ich tausche mich seit Wochen fast jeden Tag in Morgenmails aus. Das hilft, Gefühle und Geschehen zu reflektieren und einzuordnen und vor allem auch, beruflich motiviert zu bleiben. Mein Tipp: Versucht es mal. Vor allem, wenn ihr wie ich alleine zu Hause arbeitet und tagsüber weit und breit keine Menschenseele ist, die euch zuhört oder / und in den Arm nimmt.

Vor allem: Tragt euch und euren Lieben Sorge. Das ist wichtig in Zeiten wie diesen.

Montag, 26. Oktober 2020

Lesungen in Zeiten von Corona - oder - Wie das so ist mit der Eigenverantwortung

Am letzten Freitagnachmittag bin ich von meiner Lesetour im Kanton Aargau zurückgekommen. Es war eine Tour, zu der ich am Montagabend statt mit der üblichen Vorfreude mit bangem Bauchgrummeln aufgebrochen bin. Den Grund für dieses Grummeln habe ich in meiner letzten Ya!-Kolumne beschrieben. Link: Lesungen in Zeiten von Corona. 

Ich übernachtete im Bed & Breakfast der Organisatorin der Lesetour. Weil ich der einzige Gast war, hatte ich das ganze obere Stockwerk für mich. Der Kühlschrank war gefüllt, die Kaffeemaschine wartete schon auf mich, es war alles da, was ich brauchte. Trotzdem schlief ich schlecht, weil ich am Dienstagmorgen zwei Lesungen mit je gut 60 Jugendlichen hatte. Würde der Abstand reichen? Würden sie Masken tragen? Würde lüften möglich sein?

Der Empfang war herzlich und distanziert, wobei sich das distanziert auf den Abstand bezieht, nicht auf die Herzlichkeit. Der Abstand zu den Jugendlichen war da, unter ihnen nicht; sie sassen dicht an dicht auf den Stufen der Aula, ohne Masken, ich hinter Plexiglas. In der Pause ging ich spazieren und saugte jede Menge frischer Luft in mich auf.

Auch am Mittwoch: herzlicher Empfang, wunderbare Betreuung, grosser Raum, rund 45 unschlagbar tolle Kinder mit Masken, extrem nette Bibliothekarinnen.

Aber am frühen Nachmittag dann die neusten Schweizer Fallzahlen. Ich hatte damit gerechnet, und dennoch erschrak ich. Wegen der Fallzahlen, viel mehr noch jedoch ob der Reaktion unserer Kantonsregierungen und Landesregierung. Beide taten mehr oder weniger ... nichts. Vor allem die Landesregierung. Die war „sehr besorgt“ wie seit Tagen schon und wollte die Situation „sehr genau und sorgfältig beobachten.“ Ich entschied, dass der Augenblick für die viel beschworene Eigeninitiative gekommen war und sagte die Veranstaltungen der kommenden Zeit ab.

Am Donnerstag sass ich wieder hinter Plexiglas, in einer Bibliothek, bei je zwei Mal zwei Schulklassen. Alle mit Maske, alle neugierig und voll dabei. Auch hier war ich wunderbar betreut. Am Freitag denn die letzten Lesungen. Aula, gut gelüftet, zwei Lesungen mit je ca. 60 Jugendlichen mit Maske. Die Bibliothekarin, die mich ursprünglich eingeladen hatte, konnte nicht dabei sein, weil sie in Quarantäne war. Eine sehr nette Kollegin sprang für sie ein.

Trotz all der sehr liebenswerten Bibliothekarinnen, Lehrer*innen und Schüler*innen war ich erleichtert, am Ende der Tour angekommen zu sein. In die letzte Lesung der Woche schlich sich eine leise Wehmut: Ich hatte erst gerade so richtig wieder angefangen mit den Lesungen nach dem Lockdown im Frühjahr – und jetzt war schon wieder Schluss. Denn nach den Lesungen am Freitag begab ich mich in meinen ganz persönlichen Lockdown. Heute bin ich doppelt froh darum, denn die neusten Zahlen sind schlicht beängstigend, vor allem jene der Hospitalisierungen. Die nächsten zehn Tage werde ich mich strikt von Menschen fernhalten, bis sicher ist, dass ich mich auf der Tour nicht angesteckt habe.

Was mich beschäftigt und nachdenklich macht: Schulen sagen die Termine nicht ab. Sie haben ihre Sicherheitsmassnahmen, denken jedoch nicht daran, dass ich (oder generell wir Autor*innen) auf einer Tour jeden Tag in anderen Schulhäusern bin, jeden Tag auf unzählige neue Erwachsene und Jugendliche treffe, dass ich anreisen und abreisen muss, meistens in vollen Zügen und Bussen, dass ich irgendwo übernachten und irgendwo auswärts essen muss. Wenn ich das nicht mehr verantworten kann und will, trage ich die finanziellen Konsequenzen. Ich will und kann mir das leisten, aber nicht alle Kolleg*innen können das. 

Bei den Schulen, denen ich abgesagt habe, bin ich mit meinen Absagen auf Verständnis gestossen. So sehr sie den Ausfall bedauern, sie können meine Entscheidung nachvollziehen. Ich habe aber nicht nur die Lesungen abgesagt, sondern auch sämtliche Workhoptermine der nächsten Zeit auf Eis gelegt, weil sie für mich mit Maske und Distanz einfach nicht funktionieren. 

Jetzt sitze ich in der Wärme, draussen tobt ein doppelter Sturm: der eine um steigende Zahlen und Entscheidungen, die getroffen werden sollten, der andere ganz real, so ein richtiger Spätherbststurm mit einer Schneefallgrenze, die immer weiter runter kommt. 

Ich würde diesem Blogpost ein Happy End wünschen, aber ich denke, die Geschichte fängt erst so richtig an, und ich fürchte, sie könnte zu einem Drama werden.