Wenn mich jemand bei einer Lesung als "berühmte/bekannte Schweizer Jugendbuchautorin" vorstellte (ja, das gab's tatsächlich ab und zu), wusste ich nie so recht, wohin ich gucken sollte. Es kam dann schon mal vor, dass ich antwortete: "Also, so richtig berühmt bin ich dann auch wieder nicht."
Nehmen wir andere Fragen:
"Verkaufen sich deine Bücher gut?" - "Ich bin Jugendbuchautorin. Nische, ähm. Da ist es schwierig, viele Bücher zu verkaufen ..." blablabla.
"Sind Sie oft in den Medien?" - "Na ja, Jugendbuchautorinnen schaffen es normalerweise nicht in Medien ..." blablabla
"Kannst du vom Schreiben leben?" - "Ja, aber nur weil ich das Glück habe, viele Lesungen machen zu können ..." blablabla
"Du schreibst doch diese Kinderbücher. Lohnt sich das?" - "Na ja, es ist so ...." blablabla
Ich stoppe hier mal, weil das Muster deutlich erkennbar ist. Und ich vermute, dass ihr euch in diesen Antworten erkennt, auch wenn ihr keine Bücher schreibt. Vor allem, wenn ihr weiblich und etwas älter seid. Aber nicht ausschliesslich.
Wir gehen automatisch davon aus, dass wir kritisiert werden dürfen. Komplimente oder wertschätzende Rückmeldungen zu uns machen verlegen, wir hüpfen sofort in den Relativiermodus. Reden uns kleiner als wir sind. Sind uns das nicht einmal immer bewusst, so sehr ist es uns in Fleisch und Blut übergegangen. Wenn etwas gut klappt, schreiben wir es dem Glück zu, wenn uns etwas danebengeht, suchen wir die Schuld bei uns.
Selbst wenn man das Muster erkennt, ist es schwer, daraus auszubrechen. Jeder Tiefschlag, den wir einstecken, nehmen wir als ein "Siehst du, ich hab's ja gewusst."
So richtig bewusst geworden ist mir dieses Kleinreden vor ein paar Jahren. Ich musste so eine Art Autorinnen-Lebenslauf von mir einschicken. Da waren dann all meine Bücher, meine Preise aufgelistet, die Werkbeiträge, die ich erhalten habe. Die vielen Lesungen, die Workshops. Und ich sass da und dachte: DAS bin ich. Das ist ziemlich cool und ziemlich gut.
Und trotzdem werde ich als Autorin immer wieder zur Schildkröte. Das ist mein Bild von mir: Ich strecke den Kopf aus dem Panzer (neues Buch!) und warte von vornherein darauf, dass man mir auf die Rübe haut (schlechte Rezis, keine Rezis, schlechte Verkaufszahlen, fehlende Werbung ...), immer bereit, den Kopf sofort einzuziehen. So als Schutzmechanismus.
Wobei ich bei dem bin, was meine Berufskollegin Jutta das Gewicht der schlechten Erfahrungen nennt. Zu oft erlebt, zu oft verletzt, zu oft übergangen, zu oft enttäuscht. Ich gebe ihr völlig recht. Und weiss gleichzeitig, dass das den allermeisten Autor:innen (und vielen anderen in anderen Berufen) so geht. Je älter man wird, desto mehr dieser Erfahrungen hat man gesammelt, nach Gründen gesucht (bin ich zu laut, zu dick, zu "prolo", zu direkt, zu ... halt irgendwas mit "zu") und irgendwann steht man vor der Sinnfrage (Warum tue ich das überhaupt?) wie vor einer monströs dicken, endlos hohen Wand. Um weitere Enttäuschungen zu vermeiden, redet man sich vorsichtshalber schon mal so klein, wie man sich fühlt. Damit man dann eben nicht enttäuscht wird und ist.
Das ist verständlich. Aber: Das ist auch völlig bescheuert!
Jemand, den ich sehr mag, sagte kürzlich zu mir: "Das ist ein Generationenproblem, ein Problem, das vor allem Frauen in unserem Alter haben." Sie führte es darauf zurück, wie wir aufgewachsen sind, was man von uns erwartet hat, was das Bild von uns Frauen war, welches Bild wir vermitteln soll(t)en.
Ganz egal, welche Erklärung wir für unser Verhalten suchen und finden, eins ist sicher und eins ist klar: Es ist und bleibt beibt bescheuert. Je älter ich werde, desto stärker löse ich mich davon. Es ist ein langer Lernprozess, einer meiner Trampelpfade, die ich eingeschlagen habe und auf dem ich mittlerweile meistens gut unterwegs bin, jedes Jahr ein wenig besser.
Eine kleine Rückblende:
Vor ein paar Jahren, in einem Literaturhaus grad über der Grenze, also höchstens acht Kilometer entfernt, war ich an einer Lesung einer sehr lieben Autorenfreundin. Sie beantwortete eine Frage, schaute zu mir hin und sagte so was in der Art: "Meine Kollegin Alice kann Ihnen das bestätigen."
Nach der Lesung kam eine Vertreterin des Literaturhauses, eine bestimmt sehr belesene Frau, auf mich zu und fragte: "Sie sind Autorin? Sollte ich Sie kennen?" Ich eierte und laberte ziemlich ungeschickt herum, sagte was von Nische, andere Zielgruppe, andere Art Buch und dann "Nein." Und der Abend war für mich gelaufen. Nicht einmal unbedingt, weil die Frage sehr unhöflich formuliert gewesen war, sondern weil meine Antwort so dermassen beschämend ausgefallen war. Sie war beschämend und vor allem oberbescheuert. Ich hätte nett lächeln und antworten sollen: "Ja." Mit einem Punkt dahinter. Ohne blablabla.
Heute würde ich das tun. Heute würde ich sie stehen lassen mit dieser Antwort und hoffen, dass sie sich schlecht fühlt und nicht ich. Vielleicht wäre ich auch nett und würde nach meinem "Ja" darauf warten, dass sie mich fragt, wer ich bin und was ich mache.
Ich will weiter dazulernen. Weil man nicht überheblich ist, wenn man sich genau den Stellenwert zugesteht, den man hat. Weil es nicht eingebildet oder unangebracht ist, zu seinen guten Eigenschaften und seinen Erfolgen zu stehen. Weil Schildkröten zwar total tolle Tiere sind, aber ich es satt habe, nur darauf zu warten, meinen Kopf in den Schutzpanzer zu stecken, um nicht verletzt zu werden oder Wunden von Verletzungen zu lecken.
Ich nehme mir auch zunehmend die Freiheit, einen grossen Bogen um Menschen und Institutionen zu machen, die mir nicht gut tun. Das bedeutet nicht, dass diese Menschen oder Institutionen schlecht sind, es bedeutet nur, dass sie für mich nicht gut sind. Ich habe auch gelernt, nicht dort Anerkennung zu suchen, wo ich sie sowieso nicht finden werde. Wenn man erst einmal so zu leben begonnen hat, merkt man, um wie viel besser dieses Leben wird.
Rückschläge und Abstürze sind vorprogrammiert. Das liegt in der Natur der Sache. Wichtig ist, auf seinem eingeschlagenen Pfad zu bleiben, das Herz offen und den Kopf in den Wind zu halten. Ich wünsche uns allen, die auf diesem Weg sind, viel Glück und viele gute Erlebnisse und Begegnungen.
4 Kommentare:
Hallo Schildkröten-Freundin! Hach, wie gut ich all diese Blablabla-Antworten kenne. Willst du meine Lieblingsversion von fürchterlichem Blabla meinerseits hören? Auf die Frage, ob man mich kennen müsse (werde ich auch öfter gefragt), antworte ich oft ohne nachzudenken: "Nein, sicher nicht. Ich schreibe NUR Kinderbücher!" AAAARGGGGGHHHHH... wir arbeiten dran. Versprochen! Liebe Grüße Jutta
Oh ja, und wie wir daran arbeiten! Und wir werden das schaffen!
Genau auf den Punkt gebracht. Ich habe allerdings bis anhin gedacht, dass Alice Gabathuler wirklich keinen Grund hat, sich klein zu machen. Und so kommt es wohl gar nicht drauf an, wie oft ich schon gelobt und Preise gewonnen habe oder eben nicht: Selber muss ich mich lieben, mir auf die Schulter klopfen und mir Preise verleihen.
Alles Gute!
Liebe Babajeza
Ich denke ja manchmal auch, dass das völlig verrückt ist. Und ich arbeite ganz fest daran :-) Ermuntere alle, sich nicht kleinzumachen und habe trotzdem Phasen, in denen ich mich unglaublich klein und wacklig fühle. Beruflich hängt es wohl damit zusammen, dass man als Kinder- und Jugendbuchautorin schlicht einen tieferen Stellenwert hat als Autor:innen, die für Erwachsene schreiben, vor allem, wenn man nur (im Sinne von ausschliesslich) für Kinder und Jugendliche schreibt. Wenn du den Kommentar von Jutta Wilke liest, wirst du erkennen, dass wir in Momenten, in denen wir kalt erwischt werden, uns sogar selber eine Stufe unter die Autor:innen von Erwachsenenbüchern stellen. Dass das ziemlich dämlich ist, wissen wir schon. Eine bekannte deutsche Autorin hat einmal gesagt, Jugendbuchschreiben müsse sie sich leisten können. Sie habe ganz viele andere Projekte im Bereich Schreiben, die ihr Geld einbringen, um sich bewusst dieser Altersgruppe zuwenden zu können. In der NZZ am Sonntag lobte ein Journalist einen Autor dafür, sich in den Jugendbuchbereich gewagt zu haben, wo man doch dort so gar keine Blumensträusschen (dieser Begriff ist von mir, weil mir das Wort entfallen ist) gewinnen kann. Und so gehe ich als Jugendbuchautorin oft sehr trotzig durchs Leben, halt wirklich wie so eine alte unsichtbare Schildkröte, jederzeit darauf gefasst, eins auf den Deckel zu bekommen oder übersehen (und überfahren) zu werden. Da hilft dann wirklich nur das Privatleben, in dem ich mich wunderbar aufgehoben fühle, in dem ich geliebt und "gesehen" werde. Am Rest arbeite ich. Ganz fest!
Herzliche Grüsse
Alice
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