Montag, 26. Oktober 2020

Lesungen in Zeiten von Corona - oder - Wie das so ist mit der Eigenverantwortung

Am letzten Freitagnachmittag bin ich von meiner Lesetour im Kanton Aargau zurückgekommen. Es war eine Tour, zu der ich am Montagabend statt mit der üblichen Vorfreude mit bangem Bauchgrummeln aufgebrochen bin. Den Grund für dieses Grummeln habe ich in meiner letzten Ya!-Kolumne beschrieben. Link: Lesungen in Zeiten von Corona. 

Ich übernachtete im Bed & Breakfast der Organisatorin der Lesetour. Weil ich der einzige Gast war, hatte ich das ganze obere Stockwerk für mich. Der Kühlschrank war gefüllt, die Kaffeemaschine wartete schon auf mich, es war alles da, was ich brauchte. Trotzdem schlief ich schlecht, weil ich am Dienstagmorgen zwei Lesungen mit je gut 60 Jugendlichen hatte. Würde der Abstand reichen? Würden sie Masken tragen? Würde lüften möglich sein?

Der Empfang war herzlich und distanziert, wobei sich das distanziert auf den Abstand bezieht, nicht auf die Herzlichkeit. Der Abstand zu den Jugendlichen war da, unter ihnen nicht; sie sassen dicht an dicht auf den Stufen der Aula, ohne Masken, ich hinter Plexiglas. In der Pause ging ich spazieren und saugte jede Menge frischer Luft in mich auf.

Auch am Mittwoch: herzlicher Empfang, wunderbare Betreuung, grosser Raum, rund 45 unschlagbar tolle Kinder mit Masken, extrem nette Bibliothekarinnen.

Aber am frühen Nachmittag dann die neusten Schweizer Fallzahlen. Ich hatte damit gerechnet, und dennoch erschrak ich. Wegen der Fallzahlen, viel mehr noch jedoch ob der Reaktion unserer Kantonsregierungen und Landesregierung. Beide taten mehr oder weniger ... nichts. Vor allem die Landesregierung. Die war „sehr besorgt“ wie seit Tagen schon und wollte die Situation „sehr genau und sorgfältig beobachten.“ Ich entschied, dass der Augenblick für die viel beschworene Eigeninitiative gekommen war und sagte die Veranstaltungen der kommenden Zeit ab.

Am Donnerstag sass ich wieder hinter Plexiglas, in einer Bibliothek, bei je zwei Mal zwei Schulklassen. Alle mit Maske, alle neugierig und voll dabei. Auch hier war ich wunderbar betreut. Am Freitag denn die letzten Lesungen. Aula, gut gelüftet, zwei Lesungen mit je ca. 60 Jugendlichen mit Maske. Die Bibliothekarin, die mich ursprünglich eingeladen hatte, konnte nicht dabei sein, weil sie in Quarantäne war. Eine sehr nette Kollegin sprang für sie ein.

Trotz all der sehr liebenswerten Bibliothekarinnen, Lehrer*innen und Schüler*innen war ich erleichtert, am Ende der Tour angekommen zu sein. In die letzte Lesung der Woche schlich sich eine leise Wehmut: Ich hatte erst gerade so richtig wieder angefangen mit den Lesungen nach dem Lockdown im Frühjahr – und jetzt war schon wieder Schluss. Denn nach den Lesungen am Freitag begab ich mich in meinen ganz persönlichen Lockdown. Heute bin ich doppelt froh darum, denn die neusten Zahlen sind schlicht beängstigend, vor allem jene der Hospitalisierungen. Die nächsten zehn Tage werde ich mich strikt von Menschen fernhalten, bis sicher ist, dass ich mich auf der Tour nicht angesteckt habe.

Was mich beschäftigt und nachdenklich macht: Schulen sagen die Termine nicht ab. Sie haben ihre Sicherheitsmassnahmen, denken jedoch nicht daran, dass ich (oder generell wir Autor*innen) auf einer Tour jeden Tag in anderen Schulhäusern bin, jeden Tag auf unzählige neue Erwachsene und Jugendliche treffe, dass ich anreisen und abreisen muss, meistens in vollen Zügen und Bussen, dass ich irgendwo übernachten und irgendwo auswärts essen muss. Wenn ich das nicht mehr verantworten kann und will, trage ich die finanziellen Konsequenzen. Ich will und kann mir das leisten, aber nicht alle Kolleg*innen können das. 

Bei den Schulen, denen ich abgesagt habe, bin ich mit meinen Absagen auf Verständnis gestossen. So sehr sie den Ausfall bedauern, sie können meine Entscheidung nachvollziehen. Ich habe aber nicht nur die Lesungen abgesagt, sondern auch sämtliche Workhoptermine der nächsten Zeit auf Eis gelegt, weil sie für mich mit Maske und Distanz einfach nicht funktionieren. 

Jetzt sitze ich in der Wärme, draussen tobt ein doppelter Sturm: der eine um steigende Zahlen und Entscheidungen, die getroffen werden sollten, der andere ganz real, so ein richtiger Spätherbststurm mit einer Schneefallgrenze, die immer weiter runter kommt. 

Ich würde diesem Blogpost ein Happy End wünschen, aber ich denke, die Geschichte fängt erst so richtig an, und ich fürchte, sie könnte zu einem Drama werden.

Mittwoch, 7. Oktober 2020

Schreibworkshop Wortflügelschläge

Ein Schreib-"Schnupper"Abend

Freitag, 20. November 2020
Zürcherstrasse 9 b, 7320 Sargans

("Schnuppern" = Mal gucken, ob mir das gefallen würde; deshalb nur ein Abend;
den Kurs gibt es im Januar auch als Vierteiler)

 
Erlebe an diesem Schnupperabend, wie viel Fantasie in dir steckt und wie viel Freude das Schreiben machen kann. Tauche gemeinsam mit Gleichgesinnten in verrückte, kreative, witzige, poetische, ernsthafte Schreibspiele ein. Bringe Ideen zum Spriessen und Wörter zum Fliessen.

Was du mitbringen darfst (aber nicht musst):
 Unsicherheit und Hemmungen.

Was du mitbringen kannst:
 Das Vertrauen darauf, dass Ideen in Dir schlummern, die es nach draussen drängt.

Was du mitbringen solltest: Die Bereitschaft, dich auf die Übungen und die anderen Kursteilnehmer*innen einzulassen.

Kurskosten: CHF 70.00
Minimale Teilnehmerzahl: 5
Maximale Teilnehmerzahl: 8
Anmeldeschluss: 13. November 2020

Samstag, 3. Oktober 2020

Herbstspaziergang

Der Sturm hat sich verzogen, die Sonne vertreibt die Wolken, die Natur sieht aus wie frisch gewaschen. 




Donnerstag, 1. Oktober 2020

Wenn Lehrer morden

Ihr ahnt ja gar nicht, welch tiefe Abgründe in Lehrer*innen schlummern! Da wird ruchlos gemobbt, erbgeschlichen, gemordet und Nationalheld Wilhelm Tell kurzerhand zum Terroristen erklärt. Drei Vertreter dieser nur auf den ersten Blick harmlosen Berufsgattung waren gestern in der Liechtensteinischen Landesbibliothek anwesend und lasen aus der Anthologie Mord zur grossen Pause vor, deren 21 Geschichten rund um die Schule allesamt von schreibenden Lehrer*innen oder lehrenden Schreiber*innen aus der Schweiz, Deutschland, Österreich und dem Liechtenstein erdacht und in die Tastatur gehauen wurden. Organisiert, orchestriert, dirigiert oder auf gut Schweizerdeutsch "tätschmeischteret" hat das Ganze Daniel Badraun.

Gestern Abend anwesend (v.l.n.r.): Armin Öhri, Daniel Badraun und Tom Zai.

Armin Öhris Lehrer hat den perfekten Mord begangen (ich sage nur: Fitnesstracker!), geht danach unterrichten und schafft sich nun mit dem perfekten Kniff das perfekte Alibi, um danach das Erbe der verstorbenen alten Dame einsacken zu können. Ihr ahnt es: Diese perfekte Sache hat einen sehr perfekten Haken ...

Daniel Badraun schickt das Lehrpersonal eines ganzen Schulhauses in ein Gruselschloss zu einem teambildenden Workshop. Da wird kein Lehrerklischee ausgelassen, aber gar keins, sondern richtiggegend darin geschwelgt, mit einem herrlichen Wortwitz. Weniger witzig sind die Toten, die da plötzlich rumhängen und rumliegen. Dafür schon fast aberwitzig die Lehrerin, die vor all dem einfach buchstäblich die Augen verschliesst. Dass das Diktiergerät der Schulleiterin (oder war's die Schuldirektorin?) mitläuft, versteht sich in dieser Geschichte fast schon von selbst.

Und dann sind da noch der Wilhelm Tell und der Herr Lehrer Odermatter von Tom Zai. Ersterer war kein Held, sondern ein Terrorist, was Zweiterer locker und problemlos an einem Elternabend begründen kann, worauf eine moderne Hetzjagd in typischer Shitstormmanier durch die Social Media rauscht (von Dritterem akribisch protokolliert), bis dem Lehrer Odermatter seine kleinen Witze am Rande wegdröseln und er zur Armbrust greift. Ein typisch grossartiger textlicher Höllenritt von Tom Zai, inspiriert von Mani Matter (Sie hei dr Wilhelm Tell ufgfüert) und dem Song Go, tell it on the mountains, was bei Tom Zai dann zu Go, Tell is on the mountain mutiert.

Sprache als Spiel. Sprache als Experiementierfeld. Sprache als Lawine, die mitreisst. Ich habe mich prächtig amüsiert. Solltet ihr irgendwann die Chance haben, eine Lesung aus dem Buch Mord zur grossen Pause in der Nähe zu haben: Geht hin. Es lohnt sich.

Mord zur grossen Pause
Herausgeber: Daniel Badraun
Gmeiner Verlag

Viel Spass!

Mittwoch, 30. September 2020

Hallo Frau Autorin, da sind Sie ja wieder

Im Laufe der letzten Jahre hat sich mein beruflicher Fokus verschoben, weg vom Schreiben hin zum Verlegen. In der ersten Jahreshälfte arbeite ich bei unserem da bux Verlag als Lektorin und bereite danach die fertigen Texte für den Satz vor (definitiv setzen tut sie dann mein Verlagskollege Tom Zai). Gleichzeitig müssen im März und April die Gesuche um einen Projektbeitrag geschrieben werden. Nach einer kurzen Verschnaufpause im Frühsommer stehen im Hochsommer die kostenlosen Unterrichtsmaterialien auf dem Programm, und ab dem September gilt die Hauptaufmerksamkeit dem offiziellen Start der neuen Edition. Zwischen die Verlagsarbeiten schiebe ich Lesungstermine, einzeln oder ganze Wochen. Das geht an die Substanz; zum Schreiben bleibt kaum Zeit.

Ab Ende September wird es für mich ruhiger. Die Autor*innen der nächsten Edition schreiben an ihren Geschichten, Verlagskollege Stephan Sigg macht weiterhin fleissig PR und pflegt Kontakte, und Tom Zai und seine Frau sind auf Hochtouren mit dem Versand beschäftigt, denn der Release einer neuen Edition führt stets zu einem regelrechten Ansturm auf unsere Bücher. Während also meine Verlagskollegen immer noch sehr eingespannt sind, habe ich endlich die Ruhe und die Zeit zum Schreiben.  

Noch selten habe ich diese Schreibzeit so genossen wie dieses Jahr. So sehr, dass ich gestern Morgen in meiner Morgenmail an Jutta Wilke geschrieben habe, dass ich mich endlich wieder als Autorin fühle. Das möchte ich auskosten und dabei gleich auch versuchen, disziplinierter zu schreiben. Dabei greife ich zum selben Trick wie Jutta: Ich schreibe am Morgen. Administrative Arbeiten lege ich auf den Nachmittag, das Einkaufen und die Gartenarbeiten auch. Ich will mich voll auf das Schreiben konzentrieren, in den Fluss kommen. Wie früher, als ich stundenlang geschrieben habe. Dabei bin ich sogar irr genug, Grüntee zu trinken, obwohl ich ihn grässlich finde (na ja, und dazwischen meinen Kaffee, denn ohne geht es einfach nicht). Und wenn’s draussen garstiges Wetter ist, zünde ich auch mal die Kerzen an. Das Dilemma, an welcher Geschichte ich zuerst schreiben will, habe ich umgangen, indem ich an zwei – völlig verschiedenen – Texten parallel arbeite und bei Spaziergängen immer mal wieder die schon vorhandenen Ideen für die nächsten Geschichten weiterspinne und sortiere. 


Ganz ohne Unterbrechungen geht das natürlich nicht. Der Herbst ist auch immer Lesungszeit. Und neu zudem Workshopzeit (dazu mehr in einem der nächsten Blogposts). Diesen Herbst halten sich die Termine im Rahmen. Ich bin einer Einladung aus dem Kanton Aargau gefolgt und werde zum ersten Mal bei den Stadtbasler Lesungen dabei sein. Deshalb habe ich 2020 die Einladung zu den Zentralschweizer Lesungen nicht annehmen können. Drei Lesetouren sind einfach zu intensiv. Dafür reicht es jetzt auch für die eine oder andere private Anfrage, die ich früher öfters schweren Herzens abgelehnt habe, weil der Terminkalender einfach zu voll war. Und: zum Schreiben (ich glaube, das sagte ich schon ...)

Bis Ende Jahr möchte ich das Schreiben in den Vordergrund stellen. Für nächstes Jahr habe ich die Weichen so gestellt, dass ich nebst der Verlagsarbeit, die Anfang Januar wieder mit den Lektoraten beginnt, Zeit zum Schreiben haben werde. Dazu gehört, dass ich in der ersten Jahreshälfte nur zwei Lesetouren machen werde: eine im Kanton Aargau und eine in der Ostschweiz. Der Fokus wird auf einzelnen Lesungen liegen, die ich besser einteilen kann. Es ist ein riesiger Unterschied, ob ich einmal in der Woche einen Tag in Sachen Lesung oder Workshop unterwegs bin oder ob ich eine Woche intensiv auf Lesetour bin.

Mein nächster Anlass wird eine Schreibwerkstatt am 13. Oktober sein. Bis dahin bin ich Autorin. Einfach nur Autorin. Ich freue mich auf jeden einzelnen Tag dieser Schreibzeit.