Ich werde oft gefragt, wie ein typischer Arbeitstag bei mir abläuft. Bis Ende Dezember 2023 war die Antwort wenigstens für den ersten Teil des Tages klar: Ich stehe auf, werfe die Kaffeemaschine an, hole die Zeitung aus dem Briefkasten, mache mir einen Kaffee, stelle die Kaffeetasse neben die Zeitung, lese das Neuste von (sehr) nah und (sehr) fern und trinke dazu meinen Kaffee. Ein Ritual, das sich über Jahrzehnte nicht geändert hat. Bis meinem Zeitungsanbieter einfiel, dass es günstiger kommt, die Zeitung nicht per Frühzustellung sondern per Post zu verteilen. Einen Monat lebe ich nun schon ohne Zeitung am Morgen, und hätte ich nicht meine täglichen Morgenmails, die ich mit Jutta Wilke austausche, stünde ich ritual- und hilflos im Schilf der Verlorenen. Und nein, online Zeitung lesen ist Null Ersatz für das Lesen einer Printzeitung am frühen Morgen.
Nach dem ritualähnlichen Einstieg in den Morgen verläuft jeder Tag ein wenig anders. Ich würde euch jetzt gerne sagen, dass ich sehr diszpliniert und klar strukturiert an meine Arbeiten gehe, aber das wäre eine glatte Lüge. Manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt etwas tue und wenn ja, was. Wie oft und wie viel ich als Autorin arbeite. Wie oft und wie viel als Verlegerin. Ob ich daneben Projekte auf die Reihe bekomme, die ich mir vorgenommen habe. Ist das alles überhaupt messbar?
Kürzlich habe ich gelesen, wenn man an diesem Punkt sei, an dem man sich fragt: "Habe ich überhaupt was geschafft heute/diese Woche/diesen Monat oder habe ich mehr oder weniger nur prokrastriniert?", dann solle man sich mal aufschreiben/anschauen, was man so alles erledigt hat. Genau das habe ich gemacht, und die abgehakten Punkte in meinem Bullet Journal haben mir gezeigt, dass es gar nicht so wenig war: Ich habe lektoriert, geschrieben, zehn Lesungen gemacht, Termine wahrgenommen, war Sekretärin, Logistikerin und meine eigene Social Media Beauftragte, habe drei Handwerksprojekte umgesetzt, ein grosses und zwei kleinere, und habe mein Monatsziel von 170 gelaufenen Kilometer sogar leicht übertroffen. Bei Autor:innen auch wichtig: Die Zeit, die man in Gedanken bei seinen Figuren und seinen Geschichten verbringt, zeigen sich in keinem Arbeitsplan.
All diese oben erwähnten Tätigkeiten habe ich zu den verschiedensten
Tageszeiten ausgeübt. Ein konkretes Muster zeichnet sich nicht ab, ein
sich wiederholender Tagesablauf sowieso nicht. Ich glaube, das macht es schwierig zu erkennen, was man alles erledigt hat. Diese sehr unterschiedlichen Tagesabläufe sind aber auch genau das, was ich mag. Regelmässige Arbeitszeiten und Verpflichtungen kann ich mir längst nicht mehr vorstellen. Ich empfinde sie als viel zu einengend für mich.
Wichtig ist, sich nicht zu sehr zu verausgaben. Das habe ich jahrelang gemacht, wie so viele andere selbständig Erwerbende auch. Weil es für mich normal war, weil es zum Teil nicht anders ging, weil ich mir auch oft eingeredet habe "Wenn du jetzt absagst, bekommst du keine Anfragen mehr". Erst jetzt, wo ich älter (alt) werde, erlaube ich mir ein Zurückfahren meiner Aktivitäten, erlaube ich mir Arbeitsportionen, die ich bewältigen kann.
Und genau jetzt, wo ich meistens Zeit und Musse für meine Printzeitung hätte, liegt sie am Morgen nicht mehr in meinem Briefkasten. Zum grossen Glück habe ich Jutta Wilke und unser Morgenmail-Schreibritual. Die Morgenmail für heute ist längst geschrieben - die Arbeit wartet. Na, dann mal los! Hinein in einen Tag, der (k)ein typischer sein wird.
(Bild: Pixabay, TaniaRose)