Eben surfst du noch die perfekte Welle - und dann spuckt dich das Leben an den Strand. Nachdem du herausgefunden hast, wo oben und wo unten ist, setzt du dich hin, spuckst den Sand aus deinem Mund und fragst dich, wie das geschehen konnte. Hast du es kommen sehen? Warst du zu übermütig? Hast du eine falsche Bewegung gemacht?
Okay, sei ehrlich, du hast es kommen sehen. Es gab Anzeichen. Dinge, die an dir nagten. Ganz konkret: Das Schreiben der Verlage, ob du - anonym natürlich - freiwillig auf einen Teil der VG-Wort Beiträge an dich verzichtest und sie dem Verlag überlässt. Darüber hast du dir so deine Gedanken gemacht, zusammen mit ganz allgemeinen Gedanken über die Branche, in der du arbeitest. Zum Beispiel darüber, dass JEDER in dieser Branche erwartet, von der Kinder- und Jugendliteratur leben zu können und zu dürfen. Ist ja logo. Für alle. Ausser für jene, die die Texte schreiben (oder die Illus liefern). Wenn ihr auf die Pointe zu diesem Witz wartet - es kommt keine. Allenfalls noch diese: Wenn man nicht zu den Bestseller-Autoren gehört, wird es immer schwieriger, sich als Autorin / Autor seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Du machst dir also so deine Gedanken zu den Briefen, die du bekommst, triffst deine Entscheidung, denkst es sei gut. Und dann bist bescheuert genug, dich hoffnungsfroh auf ein klärendes Gespräch einzulassen, das ebenfalls mit den Umständen deines Berufs als Jugendbuchautorin zu tun hat, allerdings in einem ganz anderen Bereich. Nach diesem Gespräch bist du dermassen durch den Wind, dass du auf dem Weg zu einer Versammlung in Zürich am Gebäude vorbeiläufst und das erst fünf Minuten später bemerkst. Sprich: Du bist wirklich durch den Wind. Und du fühlst dich klein und zittrig.
Aber du denkst immer noch, es zu packen. Die Versammlung ist toll. Mit deinem Verlag da bux läuft es hammermässig gut. Du arbeitest mit tollen Verlegerkollegen und Autoren, bekommst Wahnsinnstexte und freust dich jetzt schon wie ein Kind auf das Herbstprogramm 17. Dein Self Publishing Projekt kommt voran. Eigentlich, so denkst du, haderst du nur mit einem Teil des Berufs.
Wirklich? Ja. Das Blöde: Es ist ein ziemlich entscheidender Teil.
Du sitzt am Strand, spuckst eine weitere Ladung Sand aus dem Mund, siehst die Wellen da draussen und willst dich wieder auf dein Surfbrett stellen. Hey, du kannst das! Lass dich nicht unterkriegen. Musst nur wieder weggkommen vom Strand. Zurück auf die Wellen.
Stattdessen hängst du an Twitter und liest jeden Tag fassungsloser, was der neue Präsident in Amerika so alles von sich gibt. Stopp, sagst du dir. Du kannst Amerika nicht ändern. Kommst ja nicht mal von deinem Strand weg.
Du willst da aber weg. Legst dich aufs Brett und paddeldst hinaus, den Wellen entgegen. Keine Kraft in den Armen. Du kehrst um, sitzt im Sand und überlegst dir, den Rest deines Lebens als Gärtnerin zu verbringen. Oder Verlegerin. Oder Self Publisherin. Oder Näherin. Oder Möbelrestaurateurin.
Damit hast du immer noch ein Problem an der Backe. Weil du eigentlich gerne schreibst. Nur: Willst du wirklich Kinder- und Jugendbücher schreiben? Eine rhetorische Frage. Weil die Antwort ein Ja ist.
Also: Dann leb damit, dass deine Arbeitsbedingungen beschissen sind. Dass du ein Jahr an einem Buch arbeitest und damit so viel verdienst, wie du als Verkäuferin in zwei Monaten bekommst - wenn du Glück hast. Leb auch damit, dass die Kinder- und Jugendliteratur in der Schweiz einen Stellenwert hat, der ... ähm ... Stellenwert? Nö, auf dieser Skala gibts für dich nur Minuszahlen, bestenfalls eine knallharte Null.
STOPP: Wisch dir das Salz aus dem Gesicht und hör auf zu jammern. Das hast du von Anfang an gewusst. Niemand hat dir Illusionen gemacht. DU wolltest das so. Also schwing dich verdammt noch mal auf dein Surfbrett und paddle wieder raus. Ist Himmel noch mal dein Beruf.
Statt zu paddeln entscheidest du dich, dir was Gutes zu tun. Etwas, mit dem du sowieso keine Kohle verdienst, das dich aber glücklich macht. Fürs Gärtnern ist es noch zu früh. Also fragst du einen Autorenkollegen, ob du mit ihm ein Interview machen darfst für deinen youtube-Kanal. Denn genau das ist es, worauf du jetzt Lust hast. Der Kollege auch. Du machst ab.
Am Vormittag, an dem du losfährst, ist schönstes Wetter. Du sitzt in der Bahn, einen Kaffee und dein Tagebuch vor dir und sortierst dein Leben aus. Guckst aus dem Fenster. Siehst Seen und Berge. Fühlst, wie die Energie zurückkommt. Weisst auf einmal wieder sehr genau, was du willst. Notierst dir das. Einfach für den Fall der Fälle. (Oder anders gesagt: Falls du das bei der Rückkehr an den Strand wieder vergessen hast.)
Du triffst deinen Kollegen. Redest, filmst, begeisterst dich total für sein Projekt. Bekommst ein paar Dinge bestätigt. Unter anderem, dass ... lassen wir das. Aber auch: Dass wir einen tollen Beruf haben. Dass wir genau das machen, was wir machen wollen. Dass wir dabei ziemlich frei sind. Viel freier als viele andere. Dass es so viele gute Dinge an unserem Beruf gibt. So unendlich viele gute Dinge. Und wir zum Rest eine Einstellung finden müssen, mit der wir leben können.
Du fährst nach Hause. Glücklich. Voller Energie. Nimmst mit Herrn Ehemann eine Auszeit, gehst wandern, ackerst dich im Gelände ab, bringst deinen Körper an und über seine Grenzen und fühlst dich stark. Stark genug, um an den Strand zu gehen, das Surfbrett zu packen, zu den Wellen hinauspaddeln und dich aufs Brett zu stellen. Dann surfst du los. Den Wind im Gesicht. Den Mut im Herzen. Der Strand ist weit weg. Du reitest deine Wellen. Und du weisst: Das Leben wird dich noch unendliche Male an den Strand spucken. Aber jetzt, jetzt fliegst du übers Wasser und das Leben ist gut.
EDIT (einen Tag später): Wie's so ist im Leben: Es hat mich schon heute auf die Probe gestellt. Ich habe eine Entscheidung getroffen - und dazu nicht mal die Notizen für den Fall der Fälle gebraucht. (Ich muss mir die nicht nur ins Tagebuch, sondern auch unter die Haut geritzt haben.)
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