Freitag, 17. Januar 2025

Kannst du davon leben?


Stell dir vor, du bist an einem Fest oder irgendeinem offiziellen Anlass, jemand fragt, was du beruflich machst, du sagst "Krankenschwester/Lehrerin/Polizistin/Architektin/Zahnärztin/Schreinerin/an dieser Stelle dein Beruf" und dein Gegenüber hakt nach und fragt dich: "Kannst du davon leben?" 

Blödes Stell-dir-vor-Beispiel, denkst du, so was fragt doch niemand.

Doch.

Wenn du Autorin bist. Oder Musikerin. Oder Bildhauerin. Oder Tänzerin. Dann kommt diese Frage meistens gleich nach der Frage nach dem Beruf.

Kürzlich hat mir das die Mutter einer jungen Frau erzählt, die einen tollen Beruf in der Kulturbranche hat. Einen, für den man sehr hart arbeiten muss, einen, für den man sehr viel können muss, einen, den nur sehr wenige Menschen ausüben und in dem man sehr lange bestehen und sich beweisen muss, bis man wirklich genug Geld damit verdient. Diese Mutter sagte zu mir: "Meine Tochter trifft das. Die Frage tut ihr weh. Passiert dir das auch?"

Yap, das passiert mir auch. Die Frage kommt fast immer, sobald ich sage, was ich arbeite. Wenn sie im Laufe eines längeren Gesprächs gestellt wird, geht es ja noch. Wenn sie ganz am Anfang kommt, ist das unhöflich, unanständig und übergriffig wie die Hölle. Es würde mir umgekehrt ja nie einfallen, meinem Gegenüber diese Frage zu stellen.

Natürlich können die wenigsten von uns Autor:innen, Musiker:innen, Bildhauer:innen usw. vom Beruf alleine leben. Das ist nicht unser Fehler, das liegt in der Natur der Sache. Wir wissen das auch und die meisten von uns beschweren sich nicht darüber, sondern suchen sich einen Brotjob, schlagen sich durch und kommen irgendwie klar. Das wissen auch die, die uns die Frage stellen. Also: Warum stellen sie sie dann? Um Salz in unsere Wunden zu streuen? Um uns zu zeigen, wie nutz- und brotlos unser Job ist? Um danach herumerzählen zu können, dass auch die xy nicht von ihrem Beruf Autorin leben kann? Um sich bestätigt zu fühlen?

Oder ist es Interesse an meinem Beruf? Das nehme ich nur jenen ab, die nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und mir die Frage nicht am Anfang stellen. Interesse wäre zu fragen: Was schreibst du? Warum? Was gefällt dir am Schreiben? Arbeitest du an einem Buch? Wann kommt es raus? Was ist das Schöne an deinem Beruf? Was ist das Schwierige an deinem Beruf?

Wahrscheinlich muss fast jede und jeder von uns mit einer berufstypischen Frage rechnen. Ihr kennt sie alle auch, diese Fragen, bei denen berufstypische Klischees bedient werden und ihr innerlich mit den Augen rollt. Da muss man durch. Ja. Aber ganz ehrlich: Die Frage nach dem Geld ist schon eine ganz eigene Kategorie, vor allem in einem Land wie der Schweiz, wo der unausgesprochene Konsens herrscht, dass man nicht über Geld redet. 

Zurück zur Mutter, die mir diese Frage gestellt hat. Sie wollte wissen, was ich antworte, wenn mir das passiert. Ob ich einen Rat für ihre Tochter hätte. Den habe ich: sich nicht kleinreden/kleinfragen lassen (siehe diesen Blogpost). Wir haben dann auch ein paar gute Antworten gefunden, falls diese Frage das nächste Mal gleich am Anfang gestellt wird:

"Ach, wissen Sie, die Million reicht einfach nicht so ganz ... Sie kennen das ja."
"Und wie sieht es bei Ihnen aus? Können Sie von Ihrer Arbeit leben?"
"Die staatlichen Subventionen sind wirklich krass geil. Davon lebt es sich locker."
"Und was ist Ihre sexuelle Ausrichtung?"

Bis jetzt habe ich noch keine dieser Antworten gegeben. Ich bin mittlerweile beim: "Ja, ich kann." (Und leider fühle ich mich auch gemüssigt zu erklären, dass das nur geht weil ... und dass das nicht alle können, weil ..., aber es ist so, dass ....) Wenn ich es mir jedoch so richtig überlege, werde ich nächstes Mal, wenn mir diese Frage gleich am Anfang gestellt wird, auf eine der obigen Antworten zurückgreifen. Aus Spass an der Freude. Um zu sehen, wie mein Gegenüber rot anläuft. Muss ja nicht immer ich diejenige sein, die etwas betroffen oder genervt aus der Wäsche guckt.

PS: Die Frage, die meistens gleich nach der Verdienstfrage kommt ist entweder "Und? Wie verkauft sich dein neues Buch?" oder "Wie oft hat sich dein am häufigsten gekauftes Buch verkauft?" Die ist übrigens auch nicht viel besser ...

Freitag, 10. Januar 2025

In Zeiten wie diesen


Der Blogpost für heute war schon geschrieben. Parat zum Veröffentlichen. Doch das geht nicht. Nicht, bevor das hier gesagt ist.

Mag sein, dass man mit Lügen, Betrügen, Täuschen und Geld der mächtigste Mann der Welt wird. Mag sein, dass man mit tonnenweise Kohle die Weltpolitik aufmischen kann. Mag sein, dass man heute vor allem dann jeman(n)d ist, wenn man ein rücksichtloses Arschloch ist.

Moralische Werte: In die Tonne getreten.
Mitgefühl und Empathie: Was für Loser.
Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt: Lachnummern.

Das könnte man denken, wenn man sich die Welt so anschaut. Aber wir werden nicht so geboren. Wir lernen, so zu werden. Wir werden, was uns vorgelebt und eingetrichtert wird. 

Und deshalb: Lasst uns den Mut haben, in einer grausamen Welt ein mitfühlendes Herz zu bewahren. Lasst uns versuchen, menschliche Werte vorzuleben. Lasst uns versuchen, positive Vorbilder zu sein. Lasst uns einstehen für das, was uns wichtig ist. Gerade in Zeiten wie diesen.

Anfang Jahr haben Menschen auf Insta ihr Wort für das Jahr 2025 gesucht. Meins ist Liebe. Was ist deins?

Freitag, 3. Januar 2025

Lesungen: Leseförderung oder Showakt?

Wichtige Info vorab: Im folgenden Blogpost geht es um Schullesungen für Jugendliche, also jene Altersgruppe, in der viele in ihrer Freizeit nur noch selten oder gar nie freiwillig zu einem Buch greifen.

Wenn jeweils die Resultate der Pisastudie veröffentlicht werden, schreien die Politik- und die Medienlandschaft kollektiv auf, fragen sich, was schief läuft und delegieren das Problem - wie so vieles - an die Schule. Was dabei gerne übersehen wird und worüber leider auch nicht oft berichtet wird: Unzählige Schulen und Lehrpersonen im ganzen Land arbeiten seit langem an einer nachhaltigen Leseförderung.

Ein Teil dieser Leseförderung können Autorenlesungen sein. Ich erlebe sehr viele tolle Lesungen mit engagierten Lehrpersonen und neugierigen Jugendlichen. Die meisten dieser Lesungen sind in längerfristige Lese- und oder Schreibprojekte eingebettet, die Autorenlesung ist ein Teil davon. Das ist für mich Leseförderung pur. Mehr dazu weiter unten, denn es gibt auch die anderen Lesungen.

Jene, wo die Sportlehrerin oder der Mathelehrer die Klasse begleiten und mir oft begeistert rückmelden, dass sie die Lesung genossen haben. Das ist schön für sie - aber ich frage mich dann immer, ob und wie die Jugendlichen die Lesung im Deutschunterricht nachbesprechen, wenn die zuständige Lehrperson gar nicht an der Lesung war. Manchmal wissen die Jugendlichen nur, dass sie jetzt "Lesung" haben, wo wohl irgendjemand vorliest, aber wer und warum, entzieht sich ihrer Kenntnis. Es gibt diese Momente, in denen bis zu 60 Jugendliche in einen Saal stürmen und sich unter lauten Zurufen und geräuschvollen Stühlerücken hinsetzen; Lehrpersonen kommen irgendwann auch dazu, setzen sich ebenfalls hin, ohne mich auch nur anzuschauen, geschweige denn, mir kurz "Grüezi" zu sagen. Mit etwas Glück nicken sie mir zu, wenn sie denken, dass alle da sind und erwarten dann von mir, dass ich die nötige Ruhe im Raum schon hinbekomme. Es kommt auch immer noch gelegentlich vor, dass Lehrpersonen während der Lesung am Handy rumdaddeln oder sich in etwas anderes vertiefen. Damit signalisieren sie mit jeder Faser ihres Körpers: Was da läuft, ist nicht wichtig. Ich frage mich dann jeweils, ob da wohl irgendwo noch das Häklein hinter "Leseförderung" gefehlt hat und denke mir, dass man als Schule sein Geld auch einfach zum Fenster hinauswerfen kann. Denn ganz ehrlich: Eine solche Lesung ist eine (teure) Alibiübung ohne tieferen Sinn und Zweck, ein reiner Showakt mit Erzählungen über das Schreiben, über die Entstehung von Büchern mit fesselndem Vorlesen. Das kann lustig und / oder spannend sein, Nachhallen tut da jedoch meistens nicht viel. Versteht mich nicht falsch: Lesungen sollen unterhalten und Freude und Spass machen, aber kein Autor und keine Autorin sollten zum programmfüllenden Pausenclown (gemacht) werden.

Nachfolgend ein paar Tipps, wie eine Lesung Teil einer guten Leseförderung werden kann:

Eine gute Vorbereitung

Zur Vorbereitung kann man ein Klassenprojekt rund um das Buch starten. Wenn man sich dazu entscheidet, eine Autorin oder einen Autor einzuladen, liest die Klasse ein Buch oder zumindest Textpassagen aus Büchern des Gastes, macht sich schlau, wer er/sie ist, versucht sich vielleicht sogar selber am Schreiben. Der Austausch mit dem Autor/der Autorin ist dann mehr ein Werkstattgespräch, das einer echten Neugier entspringt. Die Lesung wird zum Erlebnis, aus dem man etwas mitnehmen kann. (Mehr zur Lese- und Schreibprojekten in einem separaten Blogpost.)

Gruppengrösse bei Lesungen: 

Am tollsten sind Lesungen in einzelnen Klassen, denn da wird der Austausch persönlicher, gehen die Gespräche tiefer. Das ist - je nach Budget oder Anzahl Schülerinnen und Schüler einer Schule - nicht immer möglich. Nehmen mehrere Klassen an einer Lesung teil, spielt die Gruppendynamik eine Rolle. Ich kann mich an eine Lesung erinnern, in der mir die Lehrperson vor der Lesung geschrieben hat, wie gut die Klasse vorbereitet ist, wie viele Fragen sie hat. An der Lesung waren dann mehrere Klassen, Fragen kamen fast keine. Als ich nach der Lesung zu den Jugendlichen sagte, ich hätte mich so sehr auf ihre Fragen gefreut und sie dann vermisst, meinten sie, da seien halt auch solche in der Lesung gewesen, vor denen sie sich diese Fragen nicht zu stellen wagten. Wer also mit seiner Schule Lesungen plant, tut gut daran, sich zu überlegen, ob und welche Klassen man zusammen in die Lesung schickt.

Es gibt Schulen, an denen auch grosse Gruppen kein Problem sind. Kürzlich sassen mehr als 60 Jugendliche in einer Lesung. Alle hatten ein Buch von mir gelesen, nicht alle dasselbe. Alle hatten Fragen zu den verschiedenen Büchern. Spannende und auch kritische Fragen (ich liebe das!). Es waren total erfüllende Minuten, in denen ich den Abschluss eines langen und intensiven Leseprojekts bilden durfte. Es gibt eine Schule, an der ich immer mal wieder lese, wo die Schule gleich die ganze Aula mit weit mehr als hundert Jugendlichen füllt - und es ist jedes Mal ein tolles Erlebnis. Viel Showakt mit Einblicken ins Schreiben und Vorlesen (der grösse der Gruppe geschuldet), aber auch immer ein witzig-interessanter Austausch mit den Jugendlichen. 

Lesungsort:

Toll ist es natürlich, wenn die Lesung in der Schulbibliothek oder der lokalen Bibliothek stattfinden kann, umgeben von Büchern. Das geht jedoch nicht immer. Bei einzelnen Klassen findet die Lesung oft im Schulzimmer statt, wenn es mehrere Klassen sind, in der Aula. In beiden Fällen ist es gut, wenn Bücher der eingeladenen Autor:innen ausgestellt werden, wenn Resultate von Klassenprojekten ausgestellt werden usw. Auch immer eine gute Idee: die lokale Bibliothekarin zur Lesung einladen. Ein absolutes No-Go ist die Turnhalle, auf der alle auf dem Boden sitzen. Das wird zu fast 100% NICHT funktionieren.

Autor:innen finden:

Kantonale Stellen organisieren Lesetouren wie Schule und Kultur, ein tolles Angebot für Schulen und Bibliotheken. Vielleicht passt aber der Zeitraum nicht? Oder der Autor/die Autorin, die man gerne einladen würde, steht nicht auf der Liste? Dann kann man sich jederzeit direkt an den Autor/die Autorin wenden oder beim Verlag nachfragen.

Dieser Post ist der Auftakt zu einer Reihe über das Thema Lesungen. Wenn ihr also eine Frage zu Lesungen habt oder einen Aspekt vertiefen wollt, meldet euch bitte in den Kommentaren.