Montag, 31. Mai 2010

Landeplatz der Engel

Schon der Titel dieses Buches ist gewaltig. Das Cover gefällt mir auch ausgesprochen gut. Und der Text auf der Rückseite ist eine einzige Leseeinladung:

"Wo sind wir überhaupt?"
"Keine Ahnung."
"Verarsch mich nicht. Ich denk, du weisst, wo wir hinwollen?"
"Woher soll ich das wissen? Wir fahren. Das reicht."

Zwei Jungs on the road.
Ziel offen. Ärger vorprogrammiert.

Worum es geht? Um das da ...

„Scheiß was drauf.“ Das ist der Satz, mit dem Mirco in Fabians Leben platzt. Mirco, der coole Junggangster, der gerne die Nerven kitzelt. Fabian, Sohn aus gutem Haus, dem die Nerven einen Streich spielen. Zwei, die nicht zusammenpassen. Zwei, die sich die Lippen blutig schlagen. Zwei, die nicht wissen, wohin. Aber das mit Vollgas. Eine rasante Spritztour beginnt. Durch den Kopf. Durch das Herz. Durch die Stadt. Und weiter. Zum Landeplatz der Engel. Vielleicht.

... und noch viel mehr. Das Lesen wird zu einer Reise durch ein kompromisloss ehrliches Buch, ein Buch, in dem kein einziger falscher Ton zu finden ist, ein Buch, dessen Sprache und Handlung unter die Haut bis ins Herz dringt und einem den Atem nimmt. Keinen Moment lang wird da für Fabian, der unter dem Tourette-Syndrom leidet, die Mitleidsfahne an den Mast gehängt, keinen Moment lang wird mit dem moralischen Zeigefinger auf den Kleinkriminellen Mirco gezeigt. Mirco nennt Fabian Yalla, nach einem Zungentick von ihm. Und der Autor schafft es, Fabian seine Behinderung völlig unsentimental beschreiben zu lassen. In Worten, die der Krankheit ein Gesicht geben.

Und wieder einmal finde ich es schade, dass Jugendbücher in der Kinder- und Jugendbuchabteilung "weggeschlossen" werden. Dass Bücher wie Landeplatz der Engel keinen Eingang in die Abteilung der Erwachsenenliteratur finden. Dass sie nicht in Feuilltons vorgestellt werden, obwohl ein Buch wie Landeplatz der Engel Literatur vom Feinsten ist. Um Meilen besser als vieles, was mir der Feuillton als lesenswert unterjubeln wollte. Deshalb sei wieder einmal an all die guten Jugendbuchautoren erinnert, die Bücher schreiben, die auch für Erwachsene sehr, sehr lesenswert sind.

Meine absolute Lieblingsstelle ist übrigens auf S. 243/244, wo Mirco Yalla (Fabian) erklärt, dass ganz viele Leute einen Schaden haben, er bei ihm einfach offensichtlicher ist als bei anderen. Das klingt dann so:

"... Dann hast du ein Haus und ein Auto und fährst damit zur Arbeit und bringst deine Schreihälse in den Kindergarten und grillst abends und verstopfst die Fussgängerzone samstags. Wenn du es aber merkst, dann tut es weh und du musst was tun. Und manche flippen eben aus und machen den grössten Mist. Kettensäge oder so. Aber das sind nur die Schlimmsten, die schaffen es bis in die Zeitung. Ich glaube, jeder hat irgendwo so eine Kettensäge. Aber bei den meisten sägt sie nur so still rum. Im Bauch oder im Rücken oder im Herz oder in der Seele, wenn die überhaupt Platz für eine Kettensäge hat, ich weiss es nicht. Als du mir erklärt hast, wie das funktioniert in deinem Kopf, oder eben nicht funktioniert, da hab ich gleich an die Kettensäge gedacht. Wenn sie in deinem Gehirn säbelt, hast du echt die Arschkarte gezogen, da merken es die anderen am schnellsten. Das lässt sich nicht unter den Tisch kehren. Keine Ahnung. Yalla, jetzt mal ehrlich, du bist nur ein bisschen beschissener dran als alle anderen, weil alle mitkriegen, dass du da drinnen nicht alles unter Kontrolle hast. Aber die anderen haben es auch nicht, weisst du, wenn die Kettensäge hier drinnen, im Herz ist, wenn sie da sägt, dann ist es genauso schlimm. Ich weiss das."

Hier geht's zur Leseprobe von Landeplatz der Engel.

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